Ich gebe es zu: Oliver Santen nervt mich ein wenig mehr als die meisten anderen Bild-Schreiberlinge. Ich mag in den Augen vieler vielleicht ein hoffnungsloser Idiot sein, weil ich links bin, aber ich verstehe einfach die Gewichtung mancher Urteile von Menschen nicht. Ich bewerte es eben einfach anders.
In seiner neusten Kolumne schreibt Santen: „Streikt uns nicht kaputt!“ und es geht um von ver.di angekündigte Streiks bei den Piloten. Es ist meines Erachtens nach ok, wenn man sich als Urlauber ärgert, dass der Flug ausfällt. Es ist legitim, sich zu beschweren, wenn man geschäftliche Termine deswegen nicht wahrnehmen kann – keine Frage. Aber was soll es bitte heissen, wenn Santen schreibt: „Der Streik gegen Urlauber hat Methode.“?
Hier liegt meines Erachtens nach wieder ein künstlich geschaffener Kausalzusammenhang vor: Beim Streik sind unter anderem auch Urlauber geschädigt, deswegen richtet sich der Streik also gegen die Urlauber. Das ist – und das behaupte ich eiskalt ohne von ver.di Bonbons zu kriegen – einfach Quatsch! Indirekt mag sich ein Streik gegen Urlauber richten, aber nicht gegen die Urlauber als Personen, sondern als Einnahmequelle des bestreikten Unternehmens. „Zugegeben, das Streikrecht ist eine legitime Waffe im Kampf zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern“, schreibt Santen weiter. Das dachte ich auch. „Aber dürfen wir im Zeitalter der Mobilität zulassen, dass die Hauptschlagader unseres Lebens mal eben gekappt wird?“, so die – nicht sonderlich unparteiische – Frage Santens. Ich verstehe seinen Standpunkt zwar, ich kann ihm sogar eine gewisse Sinnigkeit nicht absprechen, aber wenn ein Streik an sich legitim ist, das aber bei Piloten nicht ok ist… was ist dann das legitime Mittel bei Piloten?
Und wenn wir gerade überlegen, wer alles nicht streiken darf, wie geht es weiter? Die bei den Energieunternehmen bediensteten Leute dürfen sicher auch nicht streiken, wir haben ja auch irgendwie das Energiezeitalter – und zudem das Automobilzeitalter, das Computerzeitalter, das Globalisierungszeitalter, das Dienstleistungszeitalter, das Handelszeitalter, das Internetzeitalter, das… schafft den Arbeitskampf doch ganz ab!
Ich meine, Sreik ist nicht irgendein Druckmittel, es ist die letzte Waffe der Arbeitnehmer, die noch gesetzlich ist. Danach haben die Arbeitgeber noch die Ausschließung, und dann ist Ende, dann wird alles weitere unter Terrorismus subsummiert.
Wie sollen sich also Piloten beispielsweise sonst wehren, wenn sie sich unter Wert verkauft fühlen? Santen fordert, dass der Verkehr als Motor der Gesellschaft vom Arbeitskampf grundsätzlich ausgenommen werden sollte. Nette Idee, was verspricht sich unser Held denn davon?
Ich gebe mal eine Prognose ab, wo sein Szenario aller Wahrscheinlichkeit nach irgendwann hinführt: Die Jobs werden immer beschissener bezahlt, bald will sie keiner machen, und wenn dann ganz ohne Streiks die viel geliebte Mobilität ins Wanken gerät, holt man sich billige Piloten aus Übersee und meckert, dass die Ausländer uns die Arbeitsplätze wegnehmen und gar nicht so gut geschult sind wie die Deutschen.
Soll man sich vor einer derartigen Weitsicht verbeugen? Sie bejubeln?
Wer jetzt aber denkt, Santen hätte damit sein Pulver verschossen, der bekommt zum Abschluss noch einen Nachschlag: „Es darf nicht länger sein, dass Urlauber, Geschäftsreisende und Pendler zu Geiseln von Lokführern oder Piloten werden.“
Mit Verlaub, Geiseln befinden sich in der Gewalt der jeweiligen Gruppen. Ihr Leben ist abhängig von ihnen. Mit anderen Worten: Tagtäglich sind die armen Urlauber, Pendler und Geschäftsreisenden „Geiseln“ der Fahrer und Piloten, der Führer und Transporteure. Daran denkt niemand. Wenn die Leute doch so wichtig sind – als Motor der Gesellschaft – warum haben sie es dann nötig, für mehr Lohn zu streiken? Warum zahlt niemand diesen wichtigen Leuten mehr Geld? Ich finde diese Frage viel wichtiger als die Frage, wer wann unter welchem Streik leidet – selbst wenn es für den Einzelnen manchmal Einschnitte bedeutet.
So lange der Arbeitsplatz die einzige Möglichkeit ist, ein Leben zu finanzieren, so lange wird man sich um gerechte Bezahlung streiten müssen. Ein Streik ist nicht nur im abstrakten Sinne legitim, sondern er zeigt den betroffenen Unternehmen auch ganz klar auf, wie wichtig die Mitarbeiter sind. Angebot und Nachfrage, Marktwirtschaft und Kapitalismus, Themen, die Santen sicher feuchte Träume bescheren, funktionieren nunmal so.
Ich will nicht ernstlich polemisch werden zum Schluss, aber wer fliegen will, muss auch die Löhne der Piloten akzeptieren. Und meiner Meinung nach haben Unternehmen, deren Erfolg nur darauf beruht, dass sie den Angestellten zu wenig Geld zahlen, keinerlei Existenzberechtigung. Und diesen Satz schreibe ich – wenn man mal darüber nachdenkt – sogar im Sinne aller Kapitalisten da draussen. Denn: Wer soll denn all die Waren und Dienstleistungen kaufen, wenn nicht die Massen der Arbeiter und Angestellten? Und wenn die kein Geld haben…
Aber gut, genug für jetzt!
das was du schreibst muss nicht unbedingt mit politisch linker gesinnung zu tun haben. viele denken so, wie du und ich halte das für vollkommen richtig und nachvollziehbar. die löhne in unserem land sinken immer mehr. dagegen verdienen arbeitnehmer im ausland für gleiche qualifikation und gleicher tätigkeit, (wobei sie teilweise dabei sogar noch mehr freizeit haben und sich mit weniger verwaltung herumschlagen müssen), wesentlich mehr. nicht grundlos brechen so viele „gute“ alle zelte im heimatland „D“ ab, um sich im ausland zu verwirklichen. wenn man sich fragt aus was oder wem die aktuellen arbeitnehmer im schnitt so bestehen: unterbezahlte qualifizierte oder nicht qualifizierte aus zeitarbeitsfirmen die noch günstiger zu halten sind. die arbeitsleistungen des einzelnen werden demnach imo kaum noch richtig anerkannt. sich dann über diverse streiks aufzuregen halte ich für maßlos unverschämt!
Was ich mit das Absurdeste finde, ist im Übrigen, wie wichtig Arbeitnehmern bei Zeitarbeitsfirmen der Umgang mit Kündigungsschutz ist. Ich meine, in der netten Fabrik, in der ich anderthalb Wochen gearbeitet habe, haben Festangestellte (Nicht-Qualifizierte natürlich) 7,50 € brutto auf die Stunde bekommen, und für uns Zeitarbeiter haben sie 15 € dafür abgedrückt. Davon haben wir natürlich auch nur die tariflich garantierten 6,42 € gesehen. Und da soll ich dran glauben, dass es um die Kosten geht?
ja eben. das kommt in unserem kreise natürlich auch oft zur sprache. zumindest als thema. daran etwas zu ändern wird wahrscheinlich schwierig sein…entwicklungstechnisch. allerdings reicht es teilweise schon, wenn ein paar leute davon wissen und gleichzeitig erkennen, wovon sie sich wirtschaftlich abzugrenzen haben. nicht jeder muss das unterstützen. klingt zwar auch einfach, was es nicht ist, aber es ist schon mal recht positiv, wenn das ein paar leute -so wie du- erkennen und öffentlich ansprechen.
…wenngleich die Öffentlichkeit hier natürlich etwas begrenzt ist. Klar muss man das nicht unterstützen, aber leicht ist es wirklich nicht. Naja, wenigstens darf man sich noch beschweren 🙂