Würden wir nur alle HatzIV kriegen!

Wie alle Jahre wieder scheint sich die Bild erneut auf „HartzIV-Betrüger“, „Abzocker“ und „Schmarotzer“ einzuschießen. „Der große HartzIV-Report“ bei bild.de zeigt heute unter der fetten Headline „So einfach ist es, den Staat zu bescheißen“, wie Markus M. mit Schwarzarbeit seinen Reichtum als Arbeitsloser vervielfacht – oder so. Immerhin bekommt der gute Mann 610,44 €. Über die Richtigkeit der Angaben will ich besser gar nicht nachdenken, es würde mich nicht verwundern, wenn bildblog bald einen Artikel dazu veröffentlicht…
Etwas erstaunt hinterlassen mich solche Artikel bei bild.de immer, weil sie – ob jetzt aus ihrer Statisten-Datenbank oder doch wirklich von der Straße – immer wieder die schlimmsten Vollhonks der Republik finden. Markus M. streckt die Zunge raus, posiert mit 4 Handys oder chillt gemütlich vor zwei Flachbildschirmen, wobei man natürlich erfährt, dass er noch einen hat.
„Auch sonst ist er bestens ausgerüstet:“, liest man da: „Waschmaschine, Spülmaschine, DVD-Player, Satellitenempfänger, zwei Rechner, drei Bildschirme, Scanner, Drucker.“
„Das ist ja ungeheuerlich!“, mag sich der ein oder andere Bild-Leser denken, schließlich haben HartzIV-Empfänger doch gefälligst von Wasser und Brot zu leben, und wenn sie schon einen PC haben müssen, dann doch bitte einen alten – sie wissen schon – nix mit DVD und so!
1000 Euro, so verrät uns Markus M., verdient er angeblich schwarz dazu. Zugegeben, von 1600 € netto könnte ich auch ganz gut leben. Aber wie macht er das denn jetzt. „So einfach ist es, den Staat zu bescheißen“ hieß es doch in der Überschrift. Ach ja: Markus M. versucht „Sozialdetektiven“ zu entkommen, indem er mit der U-Bahn erstmal in die falsche Richtung fährt und immer „in letzter Sekunde“ aus dem Wagen springt. So einfach ist es also! Wenn man einmal mehr (wir gehen ja davon aus, wir sind so dämlich!) bild.de glauben, dann liegt die – geschätzte – Missbrauchsquote bei 15 Prozent der Fälle. Das wären – bleiben wir bei den bild.de-Infos – 15% von 6,1 Mio. Menschen.
915000 HartzIV-Betrüger bevölkern also unser Land. Rund jeder neunzigste Bundesbürger also springt – und wer hat das noch nicht beobachtet – immer ganz schnell aus der Straßenbahn. Natürlich erst, nachdem er sinnlos kreuz und quer durch die Stadt gefahren ist.
Nein, natürlich schreibt bild.de nicht, dass das so ist. Aber sie schreiben auch nicht das Gegenteil. Hier werden wieder einmal besonders extreme Idioten vorgestellt und mit einem Verweis auf die Zahlen suggeriert, dass alle so skrupellos, schlimm oder sonstwas sind. Dass „ungerechtfertigter“ Bezug von Sozialleistungen aber auch sehr niederschwellig sein kann (z.B. mal 50 € zu wenig Nebenverdienst angegeben, um nicht in Zukunft alle Bezüge zu verlieren und alles neu zu beantragen) oder gar aufgrund der nicht immer einfachen Gesetzeslage versehentlich vorkommt – das wird natürlich unter den Tisch fallen gelassen.
So prollig und arschlochmäßig Markus M. auch sein mag (wenn es ihn denn so gibt): Ob er von den 610 € vielleicht wirklich nicht leben kann, das wird nicht thematisiert. Meiner Meinung nach gehört das aber mindestens dreimal so oft in einen „großen HartzIV-Report“ wie die Hackfresse irgendeines geltungssüchtigen Idioten, der alleine sicher nicht das Sozialgefüge zum Einsturz bringt.
Aber darüber kann man sich natürlich nicht so schön echauffieren, wenn man es gerne einfach hat.

Leave a Comment

Filed under Medien, Politik

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert