Irrlichtern mit bild.de

Dass bild.de gerne über unerklärliche Phänomene berichtet, ist nicht neu. Genauso wie die meisten der Phänomene selbst. Heute sind die Orbs dran. Unter dem Titel „Das Geheimnis der Orbs – Woher kommen die kleinen weißen Flecken auf Fotos?“ wird grob resümiert, was alles von Spinnern in die Flecken – die so ziemlich jeder kennen dürfte – reininterpretiert wurde. Die Antwort steht detailliert bei Wikipedia und war dort seit der Artikelerstellung am 9. Januar 2007 schon als Effekt bei der Fotografie eingetragen. Dieser scheint heutzutage sehr gut erklärt und wird bisweilen sogar absichtlich hervorgerufen.
Damit aber nicht genug. Der bild.de-Artikel beruft sich auf  einen Artikel im „angesehenen“ Berliner Tagesspiegel, auf den natürlich nicht verlinkt wird. Das wäre auch zu kontraproduktiv, denn der Tagesspiegel-Artikel nimmt sich des ganzen Okkultismus um die Flecken mit sehr ironischem Unterton an und verweist deutlich auf die wissenschaftliche Erklärung, die vereinfacht mit „Lichtreflektionen von Staubkörnern“ selbst für Laien nicht sonderlich aufregend aufbereitet werden kann. Außerdem wäre es wahrscheinlich peinlich für die Unkreativen Bilderlinge, wenn der geneigte Leser ohne Umweg erfahren würde, dass der Titel des Artikel – huch – auch „Das Geheimnis der Orbs“ lautet.

Und nun machen die Schreiberlinge von bild.de etwas recht perfides: Sie nutzen den unverlinkten Artikel, um ihre Geisterstorys glaubwürdiger zu machen.

bild.de schreibt nämlich:
„Woher stammen die rätselhaften Kugeln? Dieser Frage ging der angesehene Berliner „Tagesspiegel“ diese Woche nach. „In Altbauten oder verwunschenen Häusern fotografiert man Orbs am häufigsten“, heißt es dort. Die spannende These: Sind es verwaiste Seelen, die sich von dieser Welt noch nicht lösen konnten?“

Nun der fragliche Part im Tagesspiegel-Original:
„In Altbauten oder verwunschenen Häusern fotografiert man Orbs am Häufigsten – das ist im Internet zu lesen. Es ist voller Zeugnisse dieses „okkulten Phänomens“. In den Tiefen des Webs endet der Spuk aber auch. Denn die wissenschaftliche Erklärung der Orbs ist eine runde Sache – und überzeugend dazu.“

Hier wird also suggeriert, der angesehene Tagesspiegel vertritt die These, es handele sich um Seelen, die (das finde ich ja die geilste Theorie, die kurz darauf folgt) die Kugelform wählen, um energiesparender zu reisen.

Danach vermeldet bild.de, dass „Mystery-Forscher“ Hartwig Hausdorf die Theorie „bestätigt“. Dabei sagt der anscheinend auch „nur“: „Tatsächlich gibt es die Idee…“ Natürlich graben sie noch einen anderen Esoteriker aus, der der Meinung ist, Orbs seien Wesen. Dummerweise hat der auch noch in Physik promoviert und verleiht dem ganzen mit einem eigens geschriebenen Buch so etwas wie „wissenschaftliche Untermauerung“.

Zum Schluss lassen die Bildianer allerdings auch nichts anbrennen, erwähnen die wissenschaftliche Erklärung, die sie widerum als Behauptung abtun.

Die letzten Zeilen bei bild.de:
„Oder ist das alles nur schnöder Staub? Fotoexperten behaupten, dass erst seit dem Siegeszug der Digitalkameras auch die Orbs in Massen auftreten. Weil das Blitzlicht sehr nah an der Linse angebracht sei, würden viel öfter als früher Staubpartikel sichtbar. Aber werden wir nicht alle irgendwann zu Staub..?“

Der letzte Satz wäre zwar für Lyrik nicht unpassend, ich frage mich allerdings, ob sich die Autoren mal überlegt haben, was sie da eigentlich geschrieben haben. Der Artikel endet so mit der These, dass es zwar schon alles Staub sein könnte, aber das ja nicht bedeute, dass es nicht dennoch die Toten sein könnten. Physikalisch und biologisch grenzwertig, denke ich – und selbst die Esoteriker sollten von der Idee angepisst sein.
Aber was soll’s?
Die Frage „Woher kommen die weißen Flecken auf Fotos?“ wollte sicher eh niemand beantwortet haben, oder?

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