Nicht mehr neu…

Der neunte Oktober 2008 ist nun vorbei. Damit ist nicht nur meine Beziehung ein rundes Jahr älter, der legendäre Party-Kater ein rundes Jahr länger her – ich bin nun auch schon seit genau einem Jahr in Berlin. Seit einem Jahr lebe ich nicht mehr in meiner Heimatstadt, und außer einem einzigen (sehr schönen) Abend hat es nicht einmal für Besuche dort gereicht. Ich finde, ein Jahr ist ein schöner Zeitraum, ein erstes Fazit zu ziehen. Ich teile es in ein paar Unterkategorien ein, damit es leichter lesbar ist.

Die Stadt an sich
Berlin ist im Vergleich zu Stuttgart erdrückend groß. In gleichem Maße ist es stellenweise extrem hässlich – an anderen Ecken jedoch auch extrem schön. Wenn ich sagen würde, ich habe schon viel von Berlin gesehen, dann würde ich lügen. Aber nicht zuletzt wegen meines Lernens hat die Stadt schnell an Bedrohlichkeit eingebüßt. Ich lebe inzwischen gerne in Berlin, ich fühle mich hier tatsächlich zu Hause. inzwischen wirkt die Stadt durch meine Stadtplankenntnisse fast schon überschaubar für mich – was natürlich noch ein paar Jahrzehnte (so dieses Kapitel so lange dauert) eine Illusion sein wird.

Die Wohnung
In einen Marzahner Plattenbau sind wir gezogen – aus einem zweihundert Jahre alten Bau im gemütlichen Stuttgarter Osten. Vom Regen in die Traufe? Mitnichten. Die alte Wohnung war realistisch betrachtet eine Bruchbude – so sehr wir sie auch geliebt haben. Hier haben wir mehr gerade Wände, mehr Stauraum, mehr Platz pro Person, die Dusche ist durchgehend warm, und durch die vielen Möglichkeiten um uns herum haben wir uns sogar den ein oder anderen Einrichtungsluxus erlaubt, den wir bis dato nicht hatten. Im Gegenzug dazu sind die Kosten pro Person um gute 50 Euro gesunken, die Einkaufslage hat sich enorm verbessert, und bei Umzügen aller Art oder einem gebrochenen Bein weiss man sogar den Aufzug zu schätzen. Die Energiebilanz hat sich ebenfalls verbessert, und die einzigen Nachteile der neuen Wohnung und ihrer Lage sind schnell genannt:

  • Man braucht einen Schlagbohrer, auch wenn man nur ein Bild aufhängen will
  • In die „City“ brauchen wir nun 30 statt 15 Minuten (dafür muss man das eigentlich nie)
  • Der Bau ist hellhörig (dafür beschwert sich aber auch niemand)
  • Keine Kneipe, die zur Stammkneipe taugt, liegt in Torkelweite
  • Die Leute gucken skeptisch, wenn man Marzahn als Wohnort angibt

Die WG
Die Wohngemeinschaft selbst hat sich am meisten gewandelt. Statt fünf Leuten sind es nun nur noch drei. Planmäßig. De facto im Moment noch vier. Das Zerwürfnis mit Ralf hat in so kleiner Runde natürlich tiefere Furchen gerissen als das in einer großen WG der Fall ist, aber ab nächstem Monat wird es stimmungsmäßig dann auch wieder top sein. Grundsätzlich gestaltet sich das Leben in einer kleineren WG der Absprachen wegen einfacher. Auf den häufigen Besuch müssen wir natürlich inzwischen verzichten, da der Freundeskreis sich zumeist noch im Süden befindet. Dafür ist der Besuch, wenn er hier ist, auch gleich längere Zeit anwesend.

Beziehung
Das gestrige Jubiläum hieß nicht nur „drei Jahre Beziehung“, sondern voll ausgeschrieben „drei Jahre Beziehung ohne irgendwas, was ein normaler Mensch als Streit bezeichnen würde“. Mehr muss ich wohl nicht dazu sagen!

Freunde
Glücklicherweise nicht der Totalausfall, den ich befürchtet hatte. Ich bin zuversichtlich, trotz meiner Unfähigkeit, mich zu melden, all die Leute, die ich Freunde nenne, nach bisweilen monatelanger Funkstille dennoch in den Arm nehmen zu können, als wäre es erst letzte Woche gewesen, dass man sich gesehen hat. Erste Ergebnisse scheinen positiv zu sein 🙂

Familie
Die ist dank meiner Mutter (Cuxhaven) inzwischen weitläufig zerstreut, und bis auf gelegentliche Abende mit meinem Bruder fehlt mir nicht viel. Ich denke, in der Familie bei mir herrscht Einigkeit darüber, dass man sich nicht jede Woche sehen muss, und es dann um so schöner ist. Ansonsten wohnt Ozies Familie größtenteils in der Gegend, an den entsprechenden Feiern mangelt es also nicht…

Arbeit
Beschissen! Muss ich so sagen. Bis auf eine Besichtigung eines asozialen Arbeitsplatzes und einer einwöchigen Schnupperwoche im Kurs „Wie beute ich mit Zeitarbeit auf möglichst idiotische Art Arbeiter aus“ bin ich hier zu noch nichts gekommen. Seit mehr als einem halben Jahr lerne ich auf die Ortskundeprüfung, und ich hoffe, dass das bald ein Ende haben wird. Ich freue mich nämlich tierisch auf meine neue Arbeit als Taxifahrer. Aber bislang hangel ich mich von allen Seiten gestützt durchs Leben. Ich bin zwar grundsätzlich froh, dass mir das so reibungsfrei möglich ist, aber für einen Menschen, der sich drei Wochen lang psychisch darauf vorbereiten muss, seinen Vater anzuschnorren und Amtsbesuche hasst, ist das einfach kein Leben. Zumal ich natürlich ein paar Euro mehr gebrauchen könnte…

Sonstiges
Immerhin habe ich es dadurch geschafft, endlich mal einen Blog vernünftig ausdauernd zu führen, und das wird sich so schnell nicht wieder erledigen – da bin ich optimistisch. Wenn ich bedenke, dass ich nach meiner Prüfung einen Job sicher habe, mit dem ich mein Leben finanzieren kann, und der mir Spass macht, dann muss mein persönliches Fazit doch lauten, dass ich zufrieden bin. Ja, eigentlich sogar glücklich. Ich habe ein zwar kleines, aber bald wieder intaktes soziales Umfeld, eine liebenswerte Freundin, mit der ich mir problemlos ein ganzes Leben vorstellen kann und bin in absehbarer Zukunft auch finanziell wieder „obenauf“. Alles, was ich selbst beeinflussen kann, sieht eigentlich bestens aus. Zumindest für mein Gefühl. Insofern bereue ich es kein bisschen, nach Berlin gezogen zu sein – und das alles, ohne darauf rumzuhacken, wie spießig Stuttgart ist, oder wie toll die Kneipen hier in der „coolsten Hauptstadt der Welt“ sind. Und das ist doch viel wert.

4 Comments

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4 Responses to Nicht mehr neu…

  1. Sash, beglückwünsche dich zum Einjährigen. Dann hoffe ich nur noch, dass du die Ortskundeprüfung bestehst, damit dein Glück hundertprozentig wird…
    Aber feiere das nicht wieder so dolle…

  2. Ich bin guter Dinge, dass das wird. Danke für die frommen Wünsche. Was das Feiern angeht, das sieht man, wenn es soweit ist 🙂

  3. Bröder

    Ja, die gemeinsamen Abende fehlen mir auch, dass muss ich zugeben. jedoch fehlt es mir eh an der Zeit solche Dinge zu tun. Ich bin aber jetzt mal optimistisch das wir uns wiedersehen, bevor die Mauer wieder steht, du in Scheidung lebst und ich Millionär bin. Allerdings finde ich es auch gut das noch keine 1 in der Jahreszahl sein wird!

    Das Wulle auf dich!

  4. Quatsch net rum, frag Tobi, ob du am Freitag mit hoch fahren kannst! 🙂 Nee, ich kenn dat Problem ja!
    Aber: Was zur Hölle ist das Wulle? Wollt ich nur mal wissen, wenn es auf mich ist…

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