Das Internet. Unendliche Weiten…
Puh! Seit etwa 15 Jahren weiss die Menschheit, dass das Internet ganz toll und einzigartig ist, und seit rund 2 bis 5 Jahren zudem noch, dass es total böse und schlimm ist. Ich schreibe hier eigentlich immer frisch von der Leber weg, und das in dem Wissen, dass das Netz nicht vergisst. Auch ich hab schon Sachen gelöscht, weil sie mir im Nachhinein dann doch zu privat waren und andere nicht, obwohl viele denken, ich sollte es vielleicht.
Ja, das Netz ist ein großer Kinderspielplatz, dessen ganzer Nutzen – sowie dessen Gefährlichkeit – sich einem aber erst als „Erwachsener“ erschließt. Kein Spiegel-Artikel zum Thema lässt ja die ahnungslosen Kinder aus, die sich nackt und betrunken bei Facebook zeigen, und dann Blogeinträge über die Kreditkartennummer ihrer Eltern schreiben. Oder so ähnlich. Das sind jetzt eher die Ecken des Netzes, in denen ich mich nicht herumtreibe, aber durch einen aberwitzigen Zufall (über die Suchanfragen hier in meinem Blog) bin ich gerade beim Vollspaten des Jahres gelandet.
Der werte Fridolin (Name geändert) hat nämlich einen Blog aufgemacht. Nicht irgendeinen, sondern den „Fridolin-liebt-Gudrun-Blog“. Gudrun heisst natürlich auch anders. Das Prinzip sollte allerdings klar sein.
Da ich – Generation Scheidungskinder lässt grüßen – trotz anhaltender guter Erfahrungen nur begrenztes Vertrauen in die Haltbarkeit von Beziehungen habe, lässt sowas bei mir fast alle Alarmglocken klingeln und reizt irgendwelche Rezeptoren in meinem Hirn, die veranlassen, dass ich spontan ein mildtätiges Grinsen aufsetze und in mich hereinflüstere: „Sie an, ein Idiot…“ Ozie kennt das auch – von ihrer Arbeit im Callcenter. Sobald jemand schnuckelhase_und_manuel@freeweb.com als Email-Adresse hat – und die auch noch angibt! – fällt es einem einfach schwer, sich vernünftig zu unterhalten. So viel sollte man über das Netz inzwischen gelernt haben.
Aber gut, wir waren bei Fridolin. Ich konnte nicht anders und musste hinschauen. Wie das eben auch bei Autounfällen ist. Was soll ich sagen? Grandios. Als erstes fiel mir in diesem völlig dahingerotzten Freehost-Blog ein Text auf, aus dem ersichtlich wurde, warum der Blog nicht „Fridolin-und-Gudrun-lieben-sich-gegenseitig“ heisst. Eine Ex-Freundin also! Fridolin, in meinen Augen noch ein tapferer Recke gegen das Machotum, schrieb den Inhalt seines kompletten Gehirns aus Kopf und Hose und beweinte das Dahinscheiden seiner Beziehung mit Gudrun. Inklusive „Mir ist so schlecht, dass ich ständig kotzen muss“ und all dem, was man früher höchstens privat in ein Tagebuch schrieb, das mit 2 Vorhängeschlössern gesichert und mit Totenköpfen bemalt war.
Ihr wisst schon – der eine Band, der nach zwei Monaten und 58 Einträgen in Romanlänge feierlich auf einer Waldlichtung dem Feuer übergeben wurde, während man die andere Hand in der Hose der nächsten Holden hatte und ihr was vorlog von wegen da stünden nur Dinge über einen „guten Freund“ drin, der nun leider entschlossen hat, die eigene Mutter zu schwängern und auf Adolf Hitlers Rückkehr via Ufo zu warten.
„OK, mutig!“, dachte ich mir.
„OK, völlig bekloppt!“ war dann ohne Übergang der nächste Gedanke, denn ich war auf der Profilseite des tapferen Recken, und dort fand sich nicht nur seine dörfliche Adresse, sondern auch ein verpixeltes Webcam-Foto, dessen Qualität leider gut genug war, um einen groben Überblick über die Akne-Plantage unterhalb der Brille des tapferen Fridolon zu geben. Das Alter war auch angegeben: 15.
Eigentlich hätte ich an dieser Stelle die Seite verlassen müssen, und irgendwas vernünftiges lesen. Irgendwas weniger peinliches. Meinetwegen den nächsten yoursweetpinkbunnyknuddelsstuff-Blog, einen Wikipedia-Eintrag über Zuckerrüben oder einen Briefwechsel zwischen Atheisten und dem Papst. Tat ich aber nicht. Ich kann nicht verleugnen, dass mein Voyeurismus auch zu solch früher Stunde schon hellwach ist. Wacher als ich selbst offenbar.
In der Hoffnung, dass es sich um einen alten toten Blog handelt, habe ich auf Archiv geklickt und mit ehrlichem Mitleid festgestellt, dass der Blog erst vor einem Monat begonnen wurde. Aua! Die anderen Einträge schienen nicht weniger theatralisch und aus irgendwelchen – sicher tief in meiner Psyche verankerten – Gründen habe ich einen zweiten Eintrag aufgemacht. Dort förderten dann die Kommentare das ganze Ausmaß der Katastrophe zutage. Denn: Gudrun kennt diesen Blog und kommentiert auch darin!
9 Monate waren die beiden zusammen. Wow! Das hätte ich nun nicht unbedingt erwartet, da die durchschnittliche Halbwertszeit einer Beziehung in diesen jungen Jahren doch weit mehr gegen Null strebt als gegen 4 Monate. Für einen kurzen Moment streifte mich einmal mehr ehrliches Mitleid, doch mit meiner nächsten Entdeckung starb es. Endgültig.
„Ja, ich hätte vorher schon schreiben können, dass es eine Fernbeziehung war“, lässt Fridolin wissen. Man habe sich auch nur einmal gesehen – via Webcam versteht sich.
In diesem Moment wusste ich, dass ich darüber schreiben muss. Als therapeuthische Maßnahme. Aus Notwehr. Gefahr im Verzug!
Dass sie sich nie getroffen haben, weiss Fridolin auch zu erklären. Schließlich zerbrach das junge Glück bereits vor den Sommerferien, und folglich hatte er – nicht wie der neue Lover Mopsi (Name auch geändert) – die Möglichkeit, einfach mal zu ihr zu fahren. Zumal der neue schließlich nur knapp eine Stunde zu ihr fahren müsste, er jedoch fünf. Das ist natürlich eine tragische Geschichte, und es ist nur zu logisch, dass er seiner Flamme, der holden Gudrun, ausrichten ließ, sie solle Mopsi doch bitte nicht küssen, weil ihn das in den Selbstmord treiben würde.
Gudrun selbst antwortete in den Kommentaren, dass er dies doch eh nicht mitbekommen würde, und seine Ausrede mit den Sommerferien ein wenig dünn sei, da schließlich allerlei andere Ferien den bisherigen Verlauf ihrer Beziehung gepflastert hätten. Zumal Mopsi fast drei Stunden zu ihr benötige, und Fridolin wenn es hochkommt, vier.
Wer nun glaubt, die Geschichte wäre schon auf dem Höhepunkt, wer glaubt, all dies sei die Krönung der pubertären Verirrungen eines Menschen, der sich vom Schicksal so richtig hart durchgenommen fühlt, wer glaubt, Fridolin könnte da nicht noch einen draufsetzen – der irrt!
Im letzten Beitrag, den ich zu lesen wagte – so langsam tränten mir auch die Augen vor Lachen – erfuhr ich dann, dass Fridolin derjenige war, der die Beziehung der Zeitaufwändigkeit zugunsten von Computerspielen beendet hatte, und jetzt natürlich viel schlauer sei, jetzt da seine holde Gudrun den blöden Mopsi mit den Küssen beehrt, die ihm eigentlich zuständen…
Nichts von dem wird das Netz der Netze wieder verlassen! Kein Anderer wird so nett sein, und die Namen ändern. Ja, es juckt ja geradezu in den Fingern, die Seite lokal zu speichern… wahrscheinlich ist der Selbstmord von Fridolin tatsächlich eine Option.
Wenigstens weiss ich jetzt, wo die Medien hierzulande recherchieren, wenn sie „tief im Netz“ wühlen und „ein buntes Potpourri an Perversionen“ zutage fördern, dessen einzige Schlußfolgerung sein kann: Zensieren! Ganz abschalten! Nutzer internieren!
Puh!