So, nun ist es amtlich: Ich bin noch krank. Schöne Scheiße!
Ehrlich gesagt war mir das natürlich – woher nur? – durchaus schon vorher bewusst. Bis nächsten Mittwoch bin ich krankgeschrieben, und soweit ich das derzeit abschätzen kann, ist es auch gerechtfertigt. Ich bin immer noch verdammt platt, und ich würde mich sogar privat hüten, ein Auto in dem Zustand zu lenken. Also hat das auch im Namen des Geldes wenig Sinn. Von – geschäftlich unbedeutenden – humanitären Kleinstverbrechen wie angesteckten Kunden mal ganz zu schweigen…
Also war ich vorher wieder beim Onkel Doktor, und es war deprimierend zu sehen, dass ich für die simple Verlängerung der Krankschreibung wesentlich länger warten musste als zur Diagnose.
Ich mag Arztpraxen nicht. Das hat nicht einmal mit den Ärzten zu tun, schließlich hatte ich bisher bei meiner – oft durch den Zufall bestimmten – Wahl immer Glück. Nein, mir sind Wartezimmer ein Graus! Ich gehöre zu den Menschen, die im Krankheitsfall eines am besten vertragen können: Ruhe. Und Ruhe meint hier weniger die Abwesenheit von Tätigkeiten oder gar Lärm. Ruhe meint insbesondere die Abwesenheit anderer Menschen. Wenn ich mich unwohl in meinem Körper fühle, mag ich es nicht, irgendwo auf dem Präsentierteller zu sitzen. Wenn ich Schmerzen habe, ist das letzte was mir fehlt, jemand der mich komisch anschaut, weil ich mein Gesicht verziehe. Im Gegenzug zu meiner sonst recht ausgeprägten exhibitionistischen Ader fällt Leid bei mir definitiv ziemlich weit in den Bereich, der gemeinhin Privatsphäre genannt wird.
Und heute musste ich also fast 2 Stunden in einem Zimmer verbringen, in dem 10 Leute vor mir an der Reihe waren. Wenn es nötig wäre, Schwächen meines Arztes zu benennen, so würde ich wohl als erstes die Zeitschriftenauswahl im Wartezimmer kritisieren. Es schmerzt schon genug, dass die meisten Ärzte dieser Republik im Focus offenbar einen adäquaten Ersatz für seriöse Nachrichtenquellen sehen – das gänzliche Fehlen solcher Schriften schmerzt dann noch mehr. Ich bin durchaus bereit, mich ein wenig vom klischeehaften männlichen Rollenbild zu lösen, aber was hätte ich in diesen 2 Stunden für ein hirnrissiges Schundblatt wie die Auto-BILD gegeben. Wohlwissend, dass ich alles, was darin geschrieben steht, wieder vergessen kann, hätte ich doch gerne ein wenig über Themen gelesen, die mich interessieren. Die Auswahl im Wartezimmer allerdings reichte wirklich nur von Gesundheitszeitungen bis zu sogenannten „Frauenzeitschriften“. Und obwohl ich mir nun in den zwei Stunden ziemlich hirnrissige als Artikel getarnte Werbeanzeigen über Rheuma, Fußpilz und Sonnenbrand durchgelesen habe, weiss ich wirklich nicht, welch fatale Notlage mich dazu bewegen sollte, das „goldene Blatt“, „Freundin“, „Brigitte“ oder dergleichen zu lesen. So habe ich mich neben dem Lösen sinnloser gedanklicher Rechenspielchen (Wie groß ist eigentlich die Wahrscheinlichkeit, dass gerade im Wartezimmer wirklich erst alle Frauen und dann erst die Männer aufgerufen werden?) auch noch mit einer äußerst seriös anmutenden Broschüre beschäftigt, die zum Ergebnis kam, dass Kaffee ausschließlich positive Wirkungen auf die Gesundheit hat. Nur so, falls es meine Kollegen interessieren sollte…
Letztlich hat es sich wirklich als gut herausgestellt, dass ich nochmal da war, und das vor allem aus einem Grund: Die letzte Krankschreibung hatte mein Arzt nicht wie ausgemacht auf den 10.10., sondern nur auf den 11.10. rückdatiert. Kleiner Fehler, aber für mich bares Geld…
Ich hab zu Krankenscheinen – euphemisierend Arbeitsunfähifgkeitsbescheinigungen genannt – ein zwiegespaltenes Verhältnis. Ganz ehrlich! Im Grunde sind sie ja nichts weiter als Unterdrückungswerkzeuge. Natürlich verschaffen sie einem Arbeitnehmer Schutz vor dem Chef – aber das ist auch nur deswegen so, weil eigentlich niemand niemandem vertraut.
Ganz ehrlich: Ich hab während meiner Schulzeit desöfteren blau gemacht. Das hat ziemlich extreme Maxima in der 11. Klasse gehabt, wo ich irgendwann festgestellt habe, dass ich jeden 5. Tag gefehlt habe. Nichts, weswegen ich heute gerühmt zu werden gedenke – aber eigentlich zeigt es die Verlogenheit solcher Maßnahmen. Mein Gott, mein Arzt hat selbst zu wenig Schlaf als Argument für eine Arbeitsunfähigkeit erachtet. 2 Tage lang… und jetzt stellt euch mal vor, was der mir gegeben hat, wenn noch ein bisschen „persönlicher Stress“ dazu kam. Was sagt den der gelbe Schein da noch aus?
Aber ich denke, in der heutigen Gesellschaft ist es wichtig, dass es solche Ärzte gibt. Wirklich! Denn Stress kann wahnsinnig enervierend sein, und es gibt Arbeiten, die enorm drunter leiden, wenn man nicht wirklich fit ist. Und ganz ehrlich: Auch wenn es täglich zigtausendfach gut geht: Ich zähle das Autofahren dazu.
Nun möchte ich aber noch was anderes klarstellen: Ich bin kein unfairer Arbeitnehmer! So schwülstig es klingt: Ich bin froh, gerade meine Chefs als Chefs zu haben, und nur weil ich mal ein bisschen gestresst von meiner Umwelt bin und Kopfschmerzen deswegen habe, renne ich nicht zum Arzt. Dann mache ich unentgeltlich frei und in aller Regel kriegt nicht einmal jemand mit, dass ich „krank“ bin. Wenn ich zum Arzt gehe, dann hat das per se schon etwas zu sagen. Denn den Stress gebe ich mir nicht für ein paar Euro.
Und da sind wir einmal mehr bei dem Punkt, an den ich seit einem Jahr immer wieder komme: Ich bin verdammt froh darüber, dass ich genau den Job mache, den ich mache. Im Falle einer ernsten Krankheit – wie jetzt – ist es zwar mit finanziellen Einbußen sehr stressig, wenn man mal krank ist. Aber für mich zählt die Freiheit wesentlich mehr. Die Freiheit, mal nicht zu arbeiten, auch wenn es mir nur „ein bisschen“ schlecht geht – ohne dass ich deswegen einem Arzt das Wartezimmer vollhusten muss.
Wahrscheinlich ist das alles sehr zu meinen Ungunsten so wie es ist. Aber die gelben Scheine sind doch eigentlich nichts anderes als die roten und die grünen und die… es ist eigentlich nur Geld. Und eine subtile Form von Misstrauen…
Ach so: Eigentlich wollte mich mein Doc gleich bis übernächsten Montag krankschreiben.