Der Krankentransportblog von Ingmar hat gerade so eine nette Geschichte über einen dementen Fahrgast online, dass ich da in nichts nachstehen will. Und wenn es gerade keine Taxi-Geschichte gibt, die ich zum Besten geben will, dann kann ich doch mal wieder Vergangenheitsbewältigung betreiben. Die beste KBV-Tour ever…
Weihnachten. Vor 5 oder 6 Jahren…
Weihnachten war beim Behindertenfahrdienst das, was Silvester im Taxigewerbe ist – nur ohne Stress! Die Bezahlung war an Heiligabend natürlich dieselbe wie sonst auch, aber die Trinkgelder stiegen in astronomische Höhen. Erst einmal sind natürlich so oder so alle entspannt und freuen sich aufs Fest, und zudem hat jeder Mitleid, dass es Leute gibt, die zu dieser Zeit arbeiten müssen… dabei hab ich natürlich genau deswegen sehr gerne an Heiligabend gearbeitet.
Ich hatte Abends eine Tour sowohl hin als auch zurück – was bei Familienbesuchen ja auch sinnig ist. Der Verein hat mir die Adresse der Leute wie üblich schon ein paar Tage vorher gegeben und so hatte ich eine Menge Zeit, mich zu informieren, wie ich am besten fahren könnte. Das war auch überhaupt kein Kunststück, denn ich sollte eine alte Frau zu ihrer Tochter bringen, und wie mir map24 verriet, musste ich sie aus dem Altersheim bei mir zuhause ums Eck in den Stuttgarter Westen bringen. Eine Sache von vielleicht 15 Minuten mit Ein- und Ausladen. Die Straße im Westen kannte ich zwar nicht, aber sie ging von einer Hauptstraße ab und war gerade mal 50 Meter lang. Und im Gegensatz zu Berlin gibt es in Stuttgart auch keine doppelten Straßennamen. Wie schwer soll es also sein?
Ich bin überpünktlich im Heim aufgeschlagen, hatte nicht einmal das schlechteste Auto dabei und ich war hocherfreut, dass mir die Pflegekräfte die alte Dame schon fix und fertig gerichtet hinstellten. Sie warnten mich vor, dass sie dement sei und ich nicht auf ihr Geplapper hören sollte.
Ich bin also in den Westen gegurkt, hab die Straße auf Anhieb gefunden und hab mich auf Trinkgeld gefreut. Klingt vielleicht makaber, aber es war ja Heiligabend.
Also stand ich dann Sekunden später vor dem Haus und hab nach der Klingel gesucht. Das hat sich als etwas schwierig erwiesen, denn es befand sich dort kein Name, der auch nur annähernd etwas mit dem auf meinem Zettel zu tun hatte. Das ist ein ungutes Zeichen…
Nun hatte ich damals ja noch nicht einmal ein Handy, und dabei hatte ich schon gar keins. Also musste ich irgendwie das Rätsel auf eigene Faust lösen. Zunächst dachte ich: Hausnummer falsch. Statt 21 vielleicht 27. Oder 12? 27 gab es gar nicht, bei 12 tauchte der Name auch nicht auf. Mist!
Also hab ich an andere Lösungen gedacht. Also es ist die Adresse des Freundes der Tochter… vielleicht steht der Name da ja gar nicht auf der Klingel. Dabei hatte ich zwar einen Hinweis „klingeln bei…“, aber man kann sich vor Aufregung, im Stress oder sonstwie auch vertun und den eigenen Namen angeben.
Also hab ich an einer beliebigen Klingel geklingelt und den dümmsten Fehler gemacht, den man machen kann: Ich hab mich gemeldet mit:
„Hallo, ich bin vom Körperbehindertenverein…“
„Danke, kein Interesse!“
Haben die gedacht, ich sammele Spenden. An Heiligabend! In Stuttgart! Aber ich hab tatsächlich Leute gefunden, die sich mein Problem angehört haben. Ich hab gefragt, ob sie den Namen schon mal gehört haben, ob die Leute vielleicht bei einer anderen Hausnummer zu finden wären. Keiner hatte eine Ahnung.
Zwischendrin musste ich natürlich immer mal wieder zu meiner Kundin zurück, die langsam auch den Aufstand probte und in mir nicht nur zahllose Verwandte vermutete, sondern teils auch absurde Vorstellungen von unserem Ziel hatte. Sie fragte mich, ob die Post denn schon zu hätte und ob ihr Mann gleich kommt – all sowas.
Wenn ich ihr erzählt habe, dass wir zur Tochter fahren, war sie auch sofort begeistert und sie wollte mir immer den Weg beschreiben, was aber kaum was brachte, da sie immer nur meinte, ich solle nach der Apotheke rechts abbiegen, es aber nicht verstehen wollte, dass ich gar nicht wusste, um welche Apotheke es sich handelt.
Und da stand ich nun: Ohne Handy in einer kalten Winternacht mit einer dementen Seniorin im Schlepptau, die an der Apotheke rechts abbiegen wollte.
Also hab ich beschlossen, ins Heim zurückzufahren. Was sollte ich tun? OK, Telefonzelle wäre vielleicht eine Lösung gewesen, aber ich wusste auch nicht so recht, welchen Angaben ich noch trauen sollte und wollte lieber das Personal befragen. Zumal der Rückweg ja auch nur Minuten dauerte.
Als ich im Heim angekommen bin, bin ich nicht mehr sonderlich herzlich empfangen worden. Die Tochter war nämlich schon am Telefon und beschwerte sich lautstark über die Unverschämtheit, dass ich noch nicht da sei. Ihre arme Mutter und überhaupt und sowieso.
Immerhin kamen wir dann auf die Lösung des Rätsels. Mein Zettel enthielt keine falsche Adresse. Nö. Nur etwas… unvollständig. Sprich: Irgendein Idiot im Büro hat vergessen, die Kleinigkeit zu erwähnen, dass ich gar nicht nach Stuttgart muss, sondern in eines der umliegenden Käffer.
Nun hatte ich das Problem, dass ich nur rudimentäre Kenntnisse darüber besaß, wie ich überhaupt in dieses Kaff komme. Von der Lage der Straße mal ganz abgesehen. Also hab ich mir das Ganze von einer ziemlich aufgeregten Frau am Telefon erklären lassen und mich abermals auf den Weg gemacht. Bis zur Ortsgrenze ist das ganz gut gelaufen, aber im Ort hab ich mich hemmungslos verfranzt. Letztlich kam mir besagter Freund der Tochter mit dem Auto entgegen und lotste mich zu ihrem Haus.
Dass mir das alles furchtbar unangenehm war – nach so viel Trubel, mit zweieinhalb Stunden Verspätung… das kann man sich sicher denken. Immerhin hatten die Leute Erbarmen und waren mehr als nur nett. Sie haben sich entschuldigt, befanden, dass es ja nicht meine Schuld gewesen sei und entließen mich mit stattlichen 5 € Trinkgeld. Was für mich den Peinlichkeitsfaktor natürlich noch enorm erhöhte. Ich konnte im Ausgleich nur anbieten, die Rücktour nach hinten zu verlegen, damit wenigstens noch etwas aus dem vergurkten Abend für sie werden könne. Ich glaube, eine halbe Stunde haben wir die Rückfahrt nach hinten verschoben. Nicht gerade ein guter Ausgleich, aber wer will die Verwandtschaft auch bis 2 Uhr Nachts an der Backe haben?
Auf der Rückfahrt war ich wirklich sauer! Die ganze Geschichte hat mich wahnsinnig angekotzt, und fast noch mehr die Tatsache, dass ich in den folgenden 2 Tagen auch keine Sau erreichen würde, der ich mal meine Meinung sagen könnte. Hatten ja alle frei bis auf die paar Fahrer, die das Weihnachtsgeschäft schmissen.
In dieser glänzenden Laune, bewaffnet mit lauter Musik und wilden Mordfantasien bin ich in einen mir eigentlich wohlbekannten Blitzer gerauscht, und mein Tacho zeigte mir an, dass ich gute 20 km/h zu schnell war. Super! Vielleicht Punkte!
Mein Tag war sowas von gelaufen, das könnt ihr mir glauben!
Die Rücktour hat das Ganze dann wirklich wieder wettgemacht. Ich war pünktlich da, und die Gastgeber haben mir noch einen Tee aufgedrängt. Sie haben sich ehrlich gefreut, dass ich die Arbeit an dem Tag mache und wir haben gemeinsam verabschiedet, dass wir uns beim Verein deswegen beschweren. Es gab nochmal 5 € und zudem eine kleine Flasche hausgemachten Ouzo von ihrer letzten Griechenlandreise für mich und allgemein viele nette Weihnachtswünsche. Die Frau kam zufrieden wieder im Heim an, und ich hatte nur eine halbe Stunde später Feierabend als geplant.
Die Beschwerde beim Verein fiel recht glimpflich aus, aber mein Stundenzettel für den Monat ist dennoch ein paar virtuelle Stunden umfangreicher ausgefallen, die ich definitiv an Lebenszeit verloren habe. Und von dem Blitzer kam nie etwas…