Na das passt ja wie die Faust aufs Auge: Kaum zieht mal wieder eine Auswahl deutscher Männer testosteronstrotzend im Kampf gegen andere Nationen durch fremde Kontinente, wird das an der Heimatfront gleich mit den Nazis verglichen.
Seien wir für einen Moment ehrlich: Natürlich KANN man den obigen Satz so stehen und wirken lassen. Ob man das jedoch faire Berichterstattung über die Fußball-WM nennen kann, darf bezweifelt werden.
Was ist passiert?
Katrin Müller-Hohenstein hat während der Halbzeit-Berichtserstattung des ersten WM-Spiels mit deutscher Beteiligung über das zweite Tor gesagt:
„Und für Misoslav Klose ein innerer Reichsparteitag, jetzt mal ganz im Ernst. Das er heute hier trifft!“
Und nun ist er da, der Nazi-Skandal. Super.
Ganz im Ernst: Ich finde es bekloppt!
Die meisten dürften inzwischen wissen, dass ich bei rechter Präsenz gerne eine linksradikale Spaßbremse bin. Ich attestiere mir gerne die völlige Befreiung von Nationalstolz, ein wachsames Gehör bei rechten Tendenzen und Lust auf Diskussionen darüber. Und noch viel schlimmer: Ich hoffe meist, dass eine andere Mannschaft als die Deutsche gewinnt, weil es oftmals wesentlich sympathischere oder engagiertere gegnerische Mannschaften gibt, denen ich einen Sieg gönne. Von der gelegentlichen Befriedigung, noch nicht völlig Mainstream zu sein, mal ganz abgesehen.
Aber aufzuspringen wegen dieser Bezeichnung? Würde mir nicht einfallen.
Denn es ist – so unbekannt sie einem im Einzelnen sein mag – eine Redensart. Klar, die geschichtlichen Hintergründe waren unschön, und wenn es hier tatsächlich um Nazi-Propaganda gehen würde, wäre meine Meinung eine andere. Aber Redensarten haben ihren Ursprung oftmals in den dunklen Zeiten der Geschichte. Und in Anbetracht der Tatsache, dass das „Dritte Reich“ von einigen Leuten da draussen noch live erlebt wurde, also noch nicht ewig her ist, ist es wenig verwunderlich, dass sich sprachliche Artefakte noch weit verbreitet wiederfinden.
Mir persönlich würde es zwar nie in den Sinn kommen, diese Redewendung zu benutzen, aber unbekannt war sie mir deswegen nicht. Ich selbst hab sie soweit ich weiss, hauptsächlich von meiner Mutter gekannt, aber alleine die Tatsache, dass sie innerhalb der Familie bereit war, die Arbeit ihrer Kinder in der Antifa mit den Worten „Ist doch gut, dass mal jemand was macht gegen Nazis“ zu verteidigen, sollte Beweis genug sein, dass nicht nur harte Rechtsaußen-Schaumschläger sich dieser Wortwahl bedienen.
Ganz ehrlich: Vielleicht wäre es angenehmer, wenn man Alternativausdrücke verwenden würde. Aber Sprache funktioniert nicht mit Verboten. Ebensowenig wie politische Überzeugung.
Ich bin auch nicht immun gegen „political correctness“, aber ich finde insbesondere im sprachlichen Bereich sollte man sich nicht irgendwelchen Tabus unterordnen. Ich denke, es schadet der Sprache und ihrer so verdammt spannenden Fortentwicklung. Es ist doch traurig, nun zu sehen, dass hunderte Blogger in teilweise wahrscheinlich absurder Wortklauberei nach der bösen Intention der Frau Müller-Hohenstein suchen, und dabei völlig vergessen, dass es nicht um Politik ging und auch nicht um einen Vergleich mit Politik.
Ich kenne ja auch die Gegenargumente. Natürlich kann Sprache herabwürdigen, beleidigen und verletzen. Aber gerade im Wissen, dass ein Totschweigen der deutschen Geschichte fatale Folgen haben könnte, sollte man sich nicht aufregen, wenn das ein oder andere Bonmot auch fern der eigentlichen Bedeutung als geschichtlich interessantes und überprüfbares Mahnmal in die aktuelle und vielleicht zukünftige Sprache Einzug hält.
Natürlich ist es schade, dass damit das ein oder andere Mal das Wort „Reichsparteitag“ in positiven Zusammenhängen verwendet wird. Aber je weiter sich hier das Subjekt des Anstosses von der Intention des Benutzers entfernt, desto spannender werden die Aha-Erlebnisse derer sein, die der Verbindung auf den Grund zu gehen gedenken. Die, die z.B. diese Redewendung mit heimlicher Genugtuung verwenden, mal was Böses gesagt zu haben, das nicht unter einen Paragrafen gegen Volksverhetzung fällt, werden sich ohnehin Ersatzbefriedigungen suchen, bis man ihnen das Reden komplett verbietet.
Obwohl – oder gerade weil? – ich einfach nur locker aus dem Handgelenk schreibe, tut es mir weh, gelebte Sprache denen zu überlassen, die sie dann wirklich missbrauchen für ihre Instrumentalisierungen. Natürlich wurden Worte oft geschaffen, um Grenzen zu ziehen und Menschen auszuschließen. Aber wie schön ist es im Gegenzug zu sehen, dass die Sprache alleine auch wieder den Weg zurückfindet. Ist es nicht ein Erfolg der Aussöhnung, dass das böse Wort „Nigger“ in Amerika zunächst auch von den Schwarzen untereinander verwendet wurde, und sich inzwischen auch weiße Mittelstandkiddies mit HipHop-Ambitionen gegenseitig mit „Hey Nigger“ begrüßen?
Die Reflexe sitzen bei uns Linken tief. Verständlich, wollen wir doch eigentlich alles Übel im Ansatz bekämpfen. Wie oft hab ich hier im Blog schon ein „Gott sei Dank“ in „Glücklicherweise“ umgeschrieben, weil ich als überzeugter Atheist nicht mit Fanatikern um Worte streiten wollte. Aber es ist doch albern! Worte sind nur schlecht, weil sie in der Vergangenheit eine bestimmte Bedeutung haben. Was also nützt es, an dieser festzuhalten, und den Worten die Chance zu nehmen, auch positives zu vermitteln? Wie schön wäre es, eine unendliche Sprachfülle für positive Erlebnisse zu besitzen und eine vergleichsweise eingeschränkte für Negatives – anstatt umgekehrt?
Und bevor wir hier völlig vergessen, worum es ging: Es war wirklich ein grandioser Auftritt der deutschen Elf! Es hat Spaß gemacht, zuzusehen, und auch wenn mein Weltmeister-Favorit Uruguay bliebt, wünsche ich den Deutschen dennoch viel Erfolg, wenn sie so weiterspielen!