In einem Monat muss „jede“ Internetseite mit Altersfreigaben versehen werden, wie aus Kino und Fernsehen bekannt. Oder so ähnlich. Eigentlich sollte inzwischen jeder davon gehört haben. Der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag wird derzeit erneuert und es macht sich Panik breit im Internet. Lauter schlimme Änderungen, das Netz wird unfrei, chinesische Zustände, alles schon gelesen in den letzten 24 Stunden. Und dass die Grünen unter Zwängen leiden. Aber das nur nebenbei.
Es ist – wie immer bei rechtlichen Themen – gar nicht so einfach, sich eine umfassende Meinung zu bilden. Ich hab es mit Sicherheit auch noch nicht getan, derzeit schreiben hunderte, tausende Leute mit mehr oder weniger Ahnung von der Materie über das Thema. Da will ich nicht sicher sein, bereits jetzt den Stein der Weisen gefunden zu haben, bzw. im Recht zu sein.
Der JMStV trieft nur so vor absurden Wischi-Waschi-Regelungen mit teils beachtlichen Konsequenzen. Zweifelsohne wird bei einer konsequenten Umsetzung und der üblichen Abweichung mancher Gerichte von der Sichtweise ihrer Kollegen ein ziemliches Wirrwarr entstehen und der ein oder andere Seitenbetreiber wird schwer zu knabbern haben an einer Umsetzung der neuen Richtlinien. Wahrscheinlich stellen tatsächlich einige Betreiber ihre Seiten ein (manche tun es jetzt schon), gut tun wird dieses Machwerk dem Internet sicher nicht, und da ich das Netz ganz gerne habe, bin ich nicht gerade begeistert davon.
Natürlich ist dieser Quatsch fürs Internet untauglich. Ich stehe als Blogger sowieso stets mit einem Bein im Knast, so lange ich unmoderierte Kommentare zulasse, da ist es nicht gerade erbaulich, verlinkte Seiten auch noch daraufhin abklopfen zu dürfen, ob jemand Bilder von der letzten Fortpflanzung veröffentlicht. Aber neu ist das nicht wirklich.
Neu ist der Stress, der auf einen zukommt, wenn man als ernsthaft um den Jugendschutz bemühter, und Abmahnungen verhindern wollender Seitenbetreiber dennoch ein vielschichtiges Angebot für verschiedene Altersgruppen anbieten will. Denn die so großzügig angebotene „freiwillige“ Kennzeichnung der Seiten ist hinten und vorne nicht durchdacht. Das Selbst-Einschätzen soll bisweilen böse nach hinten losgehen, weil kaum jemand die Gabe mit sich bringt, dies zu tun. Durchs Netz geistert diesbezüglich die Geschichte von dem Test des AK Zensur, bei der ein Tierheim entgegen der eigenen (sicher nicht unberechtigten) Einschätzung das Label Ab 18 bekam, weil es Bilder eines gequälten Hundes zeigte. Will man diesbezüglich sicher sein, müsste man das die FSK übernehmen lassen, was mal eben ab 4.000 € jährlich kostet. Ist natürlich auch nicht gerade für jeden aus der Portokasse zahlbar. Ausnahmen von der Pflicht, den Zugang einzuschränken, obwohl alles böse ist, gibt es für Nachrichten und Angebote, die sich mit dem Zeitgeschehen befassen – wobei man selbst da nicht umhin kam, die unfassbar wässrige Einschränkung zu machen, dass dies nicht gilt, wenn „offensichtlich kein berechtigtes Interesse gerade an dieser Form der Darstellung oder Berichterstattung“ besteht. Das ist zwar kein unsinniger Einschub (reisserische Berichterstattung), aber wie der Rest einfach unklar definiert.
Begeistert sein kann man auch wegen der Regelung, dass der Jugendschutzbeauftragte von gewerblichen Seiten jetzt rund um die Uhr erreichbar sein muss. Und gewerblich ist eine Seite mehr oder weniger schon mit dem Einbinden eines Flattr-Buttons.
Alleine die Vorstellung, dass Kindern damit geholfen sein könnte, dass deutsche Pornoseiten nur noch von 23 bis 6 Uhr online sind (Welche Zeitzone eigentlich?) zeugt irgendwie davon, wie erbärmlich dilettantisch auf höchster Verantwortungsebene noch immer mit „dem Internet“ umgegangen wird.
Was also halte ich nun vom neuen Staatsvertrag, was bedeutet das für mich, für sashs-blog.de und GNIT?
Die Antwort ist auf alle Fragen die gleiche:
NIX!
In der allgemeinen Panik werden nämlich meines Erachtens nach auch einige Dinge vergessen und übersehen:
Zum einen sind nicht alle jetzt verkündeten Weisheiten wirklich neu, zum anderen betrifft es keineswegs ALLE Blogger. Ich selbst sehe mich vorerst von der ganzen Geschichte beispielsweise kaum betroffen. Die harten Einschränkungen wie z.B. Zugangssperren, Alterskennzeichnung, zeitlich beschränkte Verfügbarkeit etc., gelten nur für Seiten, die Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung gefährden können.
Was JUGENDgefährdend ist, ist wirklich extrem scharf umrissen und tangiert meinen Blog dann doch eher selten, da ich z.B. die Tendenz habe, die anschauliche Schilderung meiner Weichteile zu unterlassen. Einschränkungen hierbei sind so neu nicht, Deutschland hat auch bisher ein sehr strenges Jugendschutzgesetz.
Meine Seiten könnten damit schlimmstenfalls als ungeeignet für KINDER unter 12 Jahren gelten. Die daraus entstehende Verpflichtung, dafür Sorge zu tragen, dass Kinder dieser Altersgruppe meine Seiten „üblicherweise“ (Zitat §5 Abs. 1 JMStV) nicht wahrnehmen, besteht auch nach dem neuen Vertrag nur darin, Angebote für Kinder von den restlichen Inhalten zu trennen. Das bedeutet:
Ich habe Glück, dass sich meine Seite nicht explizit an Kinder richtet. Würde sie es tun, sollte ich sicher einige Formulierungen hier überdenken, weil ich den Kinderteil vom eigentlichen Blog trennen müsste. Mit anderen Worten: Mich hindert der JMStV-E jetzt daran, künftig hier Artikel für Kinder zu schreiben. Doof, aber verkraftbar.
Die vielgescholtene und meines Erachtens nach auch völlig überzogene Regulierungswut des Paragraphen 5 aus dem JMStV-E betrifft ausschließlich Angebote, auf die es zutrifft, dass sie die Jugend in ihrer Entwicklung gefährden. Zugegeben: Diese Einschätzung ist nicht besonders leicht, Tatsache dürfte aber auch sein, dass man, wenn man jetzt Ärger mit der Kennzeichnung hat, davor rein theoretisch auch welchen hätte bekommen können.
Ebenso braucht niemand einen Jugendschutzbeauftragten, der ihn bisher nicht gebraucht hat. Denn bis auf die Tatsache, dass selbiger jetzt die Möglichkeit hat, unglaublich viel Kohle für Bereitschaftszeit zu verlangen, hat sich an dieser Stelle im Vertrag nicht viel geändert.
Denn, so albern, rückständig, verkorkst, falsch und zutiefst überarbeitungswürdig ich manche Dinge im Jugendschutz finde: Wir haben ihn heute schon. Dass ich hier keine Bildaufnahmen mit meiner persönlichen Bewerbung zur Weitwichs-Olympiade veröffentliche, begründet sich nicht nur in der Nichtexistenz dieser Sportveranstaltung, sondern auch in der Tatsache, dass ich es natürlich ohne Unzugänglichmachung für Kinder gar nicht zeigen dürfte. Und an den Regelungen, was man alles zeigen darf, hat sich im Grunde nichts geändert. Und wahrscheinlich ändert sich auch kaum was dran, dass es keiner kontrolliert.
Eigentlich dürfte der Blogger, der über sich, sein Leben, die Politik und seine eigenen (jugendfreien) Bilder philosophiert, von der Änderung gar nichts merken. Einzig Gedanken machen muss man sich nun mal so langsam. Das heißt aber wirklich nicht, dass ich in irgendeiner Form dafür bin:
Der JMStV-E ist meiner Meinung nach mal wieder ein schöner Beweis dafür, wie man Geld und Zeit opfern kann, um mit dem Ergebnis Millionen Menschen in eine rechtliche Grauzone zu packen, Panik zu schüren, das eigene Unwissen zur Schau zu stellen und darauf auch noch stolz zu sein.
Ich selbst komme wohl um die gröbsten Probleme herum.
Hier noch ein paar informative Links:
Ein Text gegen die Panik (leider gerade nicht erreichbar, hoffentlich später wieder!)
Vergleich der alten und neuen Fassung des JMStV (pdf)
Nachtrag:
Auch Udo Vetter kommt im Law Blog weitgehend zur selben Einschätzung wie ich und klärt unter anderem darüber auf, dass ich auch mein eigener Jugendschutzbeauftragter sein kann. Juhu, das ist doch mal was kleidsames fürs Visitenkärtchen!
Noch ein Nachtrag:
Im Pottblog wird diese laxe Herangehensweise bemängelt und anders bewertet (via Twitter)