16. November 2010 · 07:36
Also ich weiß ja nicht so recht. Axel Fischer, seines Zeichens Mitglied einer ominösen Schwarzgeld-Sekte, fordert ein „Vermummungsverbot im Internet“. Nun ist er damit eine Art One-Hit-Wonder bei twitter geworden, quasi also auf dem Niveau eines zerbrochenen Blumenkübels angelangt.
Er schreibt auf seiner Facebook-Seite, es könne nicht sein, dass sich
„viele Bürger in Foren oder anderen Einrichtungen des Netzes hinter selbstgewählten Pseudonymen verstecken und sich so vermeintlich jeglicher Verantwortung für Äußerungen und Verhalten entziehen.“
Er lobt den neuen Personalausweis als prima Methode, eine Identifizierung im Netz vorzunehmen, und all das wäre nicht nur der Qualität der Diskussionen in Foren und Blogs, sondern letztlich der Demokratie zuträglich. Warum das? Bürger könnten, wenn sie identifizierbar sind, z.B. beim Bundestag im Netz an Umfragen, Diskussionen und eventuell sogar Entscheidungen mitwirken.
Im Gegenzug fordert er einen „Radiergummi“, mit dem man seine Äußerungen in den Weiten des Netzes auch irgendwann wieder rückgängig machen kann.
Das Thema hat natürlich eine grundsätzliche Brisanz, umso trauriger, dass sich ausgerechnet Paradiesvögel wie Herr Fischer auf Seiten der Politik dazu äußern, bzw. wie er sich äußert, obgleich er Vorsitzender der Enquête-Komission „Internet und Digitale Gesellschaft“ ist. Man muss ihm lassen: Wenn man sich seinen Text durchliest, um ein Referat über Medien in der achten Klasse zu schreiben, dann könnte man sich seiner Position eventuell wohlwollend anschließen. Ab Klasse 9 sollte es eng werden.
Kritikpunkte gibt es viele, und ich will mich ein wenig darüber auslassen. Habt ihr Zeit mitgebracht? Ich schon, denn ich bin krankgeschrieben. Meine hauptsächlichen Angriffspunkte wären das Weltbild, die Unwissenheit und die Albernheit.
Das Weltbild
Das Internet mag für viele fantastisch sein, ein Traum, ein El-Dorado, eine Philosophie oder nur viel Speicherplatz für Pornos. Tatsächlich ist es ein Medium. Im Grunde werden Daten von A nach B geschoben, verändert, ausgegeben, wiedergegeben. Wie jedes Medium ist das Internet damit vor allem eine Möglichkeit, die verfassungsrechtlich garantierte und dennoch sogar von der CDU hochgehaltene Meinungsfreiheit zu nutzen, indem man miteinander interagiert. Ob via Text, Ton oder Bild, im Grunde geht es um Meinungsaustausch.
Alleine die Tatsache, dass Herr Fischer denkt, die Meinungsfreiheit könne so gefährlich sein, dass man deswegen die Grenzen eines Mediums einschränken müsse, finde ich unglaublich.
Dass gewisse Formen des Miteinanders nicht in Ordnung sind, das will ich nicht anzweifeln. Dass diese bereits jetzt geahndet werden können – meist auch, wenn sie anonym im Internet auftreten – spielt bei solchen Ideen naturgemäß selten eine Rolle. So scheint Herr Fischer offenbar davon auszugehen, dass anonyme Spinner im Internet ernster genommen werden als auf der Straße.
Wer sich ein bisschen öfter als nur zu Propagandazwecken vor einem Wahltermin in den Weiten des Netzes umsieht, wird sehen, dass sich die Problematik der Verschlechterung der Diskussionen meist selbst reguliert. Viele der bekannten Blogger bloggen nicht anonym, und ebenso werden in Diskussionen dämliche Kommentare unter Pseudonymen in der Regel nicht ernst genommen. Wo Anonymität tatsächlich gepflegt wird, erfüllt dies meistens einen Zweck (und wenn er für den einzelnen Außenstehenden noch so unerklärlich bleiben mag) oder ist schlicht Ausdruck einer Laune oder der Kreativität. Im Falle tatsächlicher Rechtsverstöße existieren weitergehende Maßnahmen zur Identitätsfeststellung, und wie ich gerne einmal mehr betonen möchte: Ein Land, in dem man tatsächlich mit 100%iger Sicherheit Verbrechen verhindern könnte, wird lebensunwert. Aber es kann ja sein, dass Fischer das erreichen will, wer weiß.
Das Unwissen
Als Vorsitzender einer entsprechenden Enquête-Kommission mit immerhin eigenem Facebook-Profil fällt Herr Fischer schon dadurch auf, dass er er trotz einiger näherer Erläuterungen wie so viele Digital Immigrants „das Internet“ als Ganzes angeht. Dass die Anonymität sich unterschiedlich gestaltet, je nachdem, was ich im Netz so vorhabe, ist gewiss keine Erkenntnis, die ihm neu sein dürfte. Inwiefern es den politischen Diskurs auf den Webseiten des Bundestags verbessert, wenn in Sashs Taxiblog die Leser nur noch mit Klarnamen kommentieren dürfen, bleibt ein wenig im Dunkeln.
Inwiefern der neue Personalausweis nPA jetzt so eine große Chance sein soll, endlich die Anonymität im Netz aufzugeben, wundert mich auch, schließlich ist er bewusst so gestaltet worden, dass er ohne die Übermittlung von personenbezogenen Daten eine Identifikation, also eine so genannte „pseudonyme Kennung“ erlaubt.
Gleichermaßen naiv (vielleicht aber auch extrem berechnend) ist er mit den Begriffen Vermummungsverbot und Anonymität umgegangen. Denn weder gilt das Vermummungsverbot irgendwo außerhalb von Veranstaltungen, noch bedeutet die damit verbundene Möglichkeit der Überprüpfung der Identität eine vorausgehende Offenlegung derselben. Was so markig klingt, hat in Wirklichkeit kaum miteinander zu tun.
Weiterführende Fragen, die ich im Rahmen einer tieferen Diskussion auch gerne mal erklärt haben würde, wäre zum Beispiel die danach, ob Ausländer dann beispielsweise in deutschen Onlineshops einkaufen können, welchen Internet-Status Deutsche im Ausland haben, und ob es legal wäre, wenigstens auf ausländischen Servern maskiert rumzurennen?
Die Albernheit
Fischer verteidigt sich zwar damit, dass das alles gar nicht neu sei, vermischt aber selbst munter Begrifflichkeiten. Seine Forderungen nach der Abschaffung der Anonymität im Netz bedeutet nicht ein aus der wirklichen Welt adaptiertes Vermummungsverbot, sondern wäre sinngemäß eher die Pflicht, beim Spazierengehen und beim abendlichen Umtrunk ein Namensschild zu tragen.
Gewiss leidet mancherorts die Qualität der Diskussionen unter Anonymität. Auch wenn ich eine verflachung politischer Diskurse beispielsweise für wenig zweckdienlich halte, kann ich daran nichts schlimmes finden. Es ist doch völlig in Ordnung, und seit Ewigkeiten Usus, dass in bestimmten Umfeldern Klarnamen erforderlich sind. Keiner kann unter dem Namen „Papa Schlumpf“ für das Amt des Bundeskanzlers kandidieren (außer Papa Schlumpf, aber das wäre höchst unwahrscheinlich) und so verlangt auch der Bundestag online einen Klarnamen. Versandhändler verlangen online wie offline eine Bestätigung über die Identität der Kunden, und alles was dazu noch gesagt werden sollte, ist dass die Läden offenbar mehr Mist mit den Daten anstellen als anonyme Kunden mit Händlern.
Dass außerdem gerade die CDU gerne mit Debatten das Land überflutet, bei denen einer der wichtigsten Punkte ist, dass Kinder zum Schutz vor Sexualstraftätern bloß nicht ihre Identität offenlegen sollten, sollte die Sache endgültig zu einem Treppenwitz der Geschichte machen.
Gehässig könnte man die Forderung Fischers vergleichen mit einer Forderung, Namensschilder an der Kleidung anzubringen, weil der Staat gerade ohne Notwendigkeit eine Schafherde erstanden hat, und nun nicht weiß, was er mit der Wolle machen soll.
Genauso wie es glücklicherweise in diesem Land Orte gibt, an denen es niemanden interessiert, wie man in Wirklichkeit heißt (Beispiele? Kneipen, Bordelle, Diskotheken, Grünanlagen, Restaurants, Privatwohnungen…) sollte es diese auch im Netz geben. Ecken, an denen sich Gleichgesinnte treffen können, dies und das austauschen… und gut. Es mag dabei zur einen oder anderen Rangelei, Zechprellerei oder Beleidigung kommen. Eine präventive Ausweispflicht würde mehr schaden!
Bekloppt ist die Forderung in meinen Augen vor allem, weil sie daherkommt, als sei das alles ja eigentlich gar nicht neu (und damit nicht schlimm), andererseits aber total innovativ, wichtig und geradezu selbsterklärend.
Beachtung verdient übrigens insbesondere der sicher gut gemeinte „Radiergummi“. Ich finde die Idee so schlecht nicht unbedingt, aber dass sich außerhalb des Internets Äußerungen nachträglich ungeschehen machen lassen sollen, das würde ich gerne mal sehen. Wie ist das bei Leserbriefen an die Zeitung, bei Auftritten im Fernsehen? Als kleinen Selbstversuch empfehle ich Herrn Fischer mal, beizeiten, die Dame seiner Wahl zu beleidigen und darauf zu achten, wie einfach sich das wieder geradebiegen lässt 🙂
Dass er diese Äußerungen dann ausgerechnet via Facebook (also im bösen Netz) verbreitet, wirkt ein bisschen wie der Weg des geringsten Widerstandes. Denn ich vermute selbst in der CDU genügend Leute, die ihm auf dem Weg bis zum Mikrofon diese Idee ausgeredet hätten. Und sei es aus Mangel an Durchblick.
PS: Wer will, darf diesen Artikel unter einem selbstgewählten Pseudonym kommentieren. Wer weiß, wie lange wir das noch dürfen. 😉