21. August 2011 · 05:40
Dass ihr das nicht lesen werdet, ist leider zu befürchten. Das hier ist nicht der Leitartikel der FAZ und nicht einmal eine Verbalentgleisung eines grenzdebilen Dampfplauderers auf Seite 2 von Deutschlands meistgehasstem Klopapier. Es ist nur ein Blogeintrag. Damit ist ja auch schon alles gesagt.
Euren Einsprüchen gegen fast mein gesamtes Leben und den weltweit größten Kulturbetrieb aller Zeiten ist in der Regel gemein, dass sie über „das Internet“ berichten und beginnen, zwar eine Grenzlinie zwischen euch und denen zu ziehen, die eine Maus bedienen können, dabei aber wahllos alle halbwegs plausiblen Unterschiede zwischen Schülern, Künstlern, Kleinkriminellen und Terroristen plattbügeln, um die vermeintliche Gefahr des weltweiten Netzes begründen zu können.
Da die menschliche Bandbreite an verachtenswerten Taten vom an sich harmlosen Beleidigen bis zum gezielten Einsatz von Massenvernichtungswaffen reicht, ist das was ihr Internet nennt, sicher nicht fehler-, kriminalitäts- oder gewaltfrei. Anstatt zu akzeptieren, dass es sich bei der Vernetzung der Menschen – hinweg über Nationen, Kontinente, Geschlechter, Stände und Systeme – letztlich nur um ein Spiegelbild und zugleich eine Fortführung der Gesellschaft(en) handelt, die ihr nun besser findet als „das Netz“, propagiert ihr wie letztlich alle vor euch, die noch gegen eure liebgewonnenen Spielzeuge (Handy, Fernsehen, Postkarte etc…) gekämpft haben, dass ausgerechnet dieses seltsame Internet jetzt der Untergang unserer Werte und Kultur oder wenigstens eurer Nachtruhe ist.
Diese Untergänge haben wir seit der Erfindung des Buchdrucks also regelmäßig und euer viel geliebtes und hoch gelobtes Leben im Deutschland eurer Träume wäre nie möglich gewesen ohne den anhaltenden Fortschritt.
Schon jetzt ist zu erkennen, dass das, wogegen ihr euch strebt, den nachfolgenden Generationen ein vielfach besseres Leben ermöglichen wird. Und wenn ihr mal ehrlich seid: So lange auch die DAX-Konzerne dabei mitverdienen, ist euch das doch im Prinzip auch Recht.
Wie viele Untersuchungen gab es eigentlich zur Frage, ob die französische Revolution durch ein fortschrittliches Postsystem begünstigt wurde oder worden wäre? Und trotz der erschreckenden Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus konnte sich das Radio letztlich durchsetzen, obwohl es garantiert in wesentlich gröberem Umfang zum Niedergang eines ganzen Kontinents beigetragen hat, als jedes andere Medium bisher.
Ist euch denn völlig entgangen, inwiefern das Internet zur Vereinfachung des Lebens beigetragen hat? Wie sehr es den Wissenschafts- und Kulturbetrieb bereichert und beschleunigt hat? Wie sehr es die Wirtschaft in jeder Sekunde fördert, wie sehr es Menschen hilft, in Kontakt zu bleiben, Kontakt zu finden?
Euer Problem ist nicht das Internet. Ihr habt Angst vor den Menschen. Als Notbehelf, um diese Argumentation zu entkräften, erfindet ihr die Web-2.0-Generation, die wenn nicht pädophil und terroristisch, dann doch wenigstens dumm, fett und gewaltbereit diesen ominösen virtuellen Raum bevölkert. Dieser Raum lässt sich in eurer Vorstellung dann einfach abschließen, der Schlüssel wird weggeworfen und das Problem ist erledigt. Das kann nicht funktionieren, weil die Menschen aus genau derselben Welt stammen wie ihr. „Das Internet“ ist keine große Sammlung von Freaks und Psychopathen, sondern in weit größerem Maße die Welt der Chefs und Politiker von morgen.
Stoppschilder gegen Sexualstraftäter, Twitter-Shutdown gegen Krawalle, Vorratsspeicherung gegen Terroristen und Facebook-Verbote gegen Datenmissbrauch! Wenn die Welt so einfach wäre, wie ihr sie in eurem Unwissen verkaufen wollt, dann würden wir doch längst den Frieden auf Erden haben. Wir könnten Zäune in Fußgängerzonen stellen, die Telefone verbieten, überall Kameras in die Wohnungen der Menschen hängen und die deutsche Post zerschlagen. Ist das die Welt, wie ihr sie euch vorstellt? Ich glaube nicht, aber das ist das, was ihr meiner Ansicht nach und der Ansicht vieler Millionen Menschen nach vorschlagt.
Ist es nicht eigentlich die pure Unwissenheit, die euch treibt?
Wer von euch hat schon einmal mit einem Blogeintrag mehr bewegt als mit einem Leserbrief an den Spiegel? Wer von euch hat mal einen alten Schulfreund via Facebook wiedergefunden, wie viele geschäftliche Kontakte habt ihr bei Google+ schon geknüpft? Wer hat seine Urlaubsbilder bei Picasa mal auch den Leuten zeigen können, die für einen Dia-Abend zu beschäftigt waren? Wer von euch hat seine Freunde mal via Twitter schnell und problemlos zu einem Feierabend-Umtrunk eingeladen? Wer von euch hat schonmal mit seiner eigenen Homepage ein Bewerbungsgespräch vermittelt bekommen? Wer von euch hat schon einmal eine wissenschaftliche Arbeit mit frei verfügbaren Quellen aus dem Internet verfeinert oder Aufnahmen der alten Schulband irgendwo bei myspace wiedergefunden, die als verschollen galten?
Jede Wette, dass ich alleine auf meine persönliche Positivliste mehr Punkte setzen kann, als euch überhaupt Terroranschläge einfallen, die seit der Erfindung des Computers verübt wurden!
Ich finde es unangemessen, auf Probleme mit schönen Utopien voller Blümchen und niedlicher Tierchen zu antworten. Der Grund, warum ich es in gewisser Weise hiermit tue, ist der: Das Internt IST eben das eine wie das andere! Es ist ein so heterogener Raum, eine so große Vielfalt, dass es ohnehin Schwachsinn ist, es immer mit einem Wort zusammenzufassen.
Wenn ihr wirklich der Meinung seid, das Telefon gehöre abgeschafft wegen der vielen obszönen Anrufe, die man damit tätigen kann: OK, dann seid ihr einfach Idioten! Wenn ihr aber tatsächlich Angst habt, dann kann ich nur raten, es mal auszuprobieren. Irgendwann stellt man nämlich fest, dass es neben bild.de und isharegossip.com noch ein kleines bisschen weitergeht im Internet. Oder würdet ihr wirklich auch Deutschland abreissen, nur weil hier in Berlin-Marzahn ein paar hässliche Plattenbauten stehen?
(Liebe Stammleser: Ich weiss, euch langweile ich vielleicht damit. Aber falls ihr mir wenigstens zustimmt, dann verbreitet den Text irgendwo, man muss es einfach immer mal wieder sagen!)