Die Wellen des Netzes haben gestern ja mal wieder etwas höher geschlagen. Ansgar Heveling, CDU-MdB und wie jeder unversierte Netznutzer Mitglied der Enquete-Komission „Internet und digitale Gesellschaft“ hat sich in einem Gastkommentar fürs Handelsblatt auf arg dünnes Eis begeben, indem er „der Netzgemeinde“ zurief: „Ihr werdet verlieren!“
Die ganze Chose ist sicher nicht nur eindimensional zu betrachten, ich empfehle unbedingt auch den Text von Thomas Knüwers, der das Handelsblatt bezichtigt, den Skandal durchaus gewollt zu haben. Nichtsdestotrotz hat Ansgar Heveling einen so saublöden Text verfasst, in dem er mit der Netzgemeinde auch mich als Heavy User des Internets direkt angreift. Grund genug, einen offenen Brief – natürlich nur echt im Internet! – zurückzuschreiben. Zum Thema an sich empfehle ich zudem die Texte auf netzpolitik.org und Spiegel online.
Offener Brief an Ansgar Heveling
Sehr geeh… ach, egal. Wir sind im Netz, ich muss ja per se Böse sein:
Hey, Heveling!
Sagen Sie mal, geht’s noch?
Wenngleich ich gerne lachend über Menschen hinwegsehe, die das Internet immer noch als eine andere Welt und irgendwie als Einheit betrachten, anstatt zu akzeptieren, dass es eine einfache Erweiterung des realen Lebens ist, fällt mir das bei ihnen schwer. Sie sitzen in einer – zumindest verglichen mit mir – machtvollen Position im deutschen Bundestag und was ihnen zum Internet einfällt, ist eine Kampfrede, wie wir sie seit den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts nicht mehr hören mussten?
An der durchaus sinnvollen Debatte über SOPA und PIPA hängen sie sich auf und erkennen einen Kampf:
„Es ist der Kampf zwischen der schönen neuen digitalen Welt und dem realen Leben. Während die „digital natives“ den realen Menschen zum Dinosaurier erklären, vergessen sie dabei, dass es sich bei dieser Lebensform um die große Mehrheit der Menschen handelt.“
Ja, vielleicht halte ich sie für einen Dinosaurier. Denn ganz offensichtlich teilen sie mit diesen bedauernswerten Kreaturen eine gewisse Engstirnigkeit. Ich wage massiv zu bezweifeln, dass es lange dauert, bis die überwiegende Mehrheit der Menschen an der digitalen Welt teilnimmt, und die angesprochenen Gesetzentwürfe betreffen sie alle gleichermaßen. Beachtenswert finde ich, dass sie die Realität so deutlich vom Internet trennen, aber ein enormes Interesse daran zu haben scheinen, dem Internet von außen Vorschriften zu machen. Merken sie was? Wäre das im Netz nicht alles auch irgendwie real, bräuchten sie sich gar nicht vor irgendetwas sorgen!
„Die mediale Schlachtordnung der letzten Tage erweckt den Eindruck, wir seien im dritten Teil von „Der Herr der digitalen Ringe“ angekommen, und der Endkampf um Mittelerde stehe bevor.“
Bitte was?
Ich erkläre ihnen mal was: Ich bin selbst ein großer Freund von Metaphern aller Art. Aber einfach irgendwo ein dümmliches „digital“ einzuschieben, macht sie nicht originell, sondern, nun ja, dümmlich.
Weiter schreiben sie von „Helden von Bits und Bytes“, von „Kämpfer(n) für 0 und 1“, insgesamt bedient sich ihre Rhetorik reichlich unangemessen am Vokabular aus Kriegstagen und das sollte ihnen, dem geschichtsbewussten Politiker, doch auffallen.
„Und das ist nicht die Offenbarung eines einsamen Apokalyptikers […]“
Ach nein? Die Gegenbeweise will ich gerne mal sehen. Und sie gehen ja wirklich aufs Ganze:
„Auch wenn das Web 2.0 als imaginäres Lebensgefühl einer verlorenen Generation schon bald Geschichte sein mag, so hat es allemal das Zeug zum Destruktiven. Wenn wir nicht wollen, dass sich nach dem Abzug der digitalen Horden und des Schlachtennebels nur noch die ruinenhaften Stümpfe unserer Gesellschaft in die Sonne recken und wir auf die verbrannte Erde unserer Kultur schauen müssen, dann heißt es, jetzt wachsam zu sein.“
Sicher wird sich das Web 2.0 weiterentwickeln und somit quasi verschwinden. Woher sie allerdings ihre apokalyptischen Befürchtungen hernehmen, frage nicht nur ich mich. Sind sie vielleicht einfach angepisst, dass sie jemand Dinosaurier genannt hat? Wie können sie „die Netzgemeinde“ zu einer „digitalen Horde“ machen, vor der man die Kultur schützen muss und im Satz danach forden, „unsere bürgerliche Gesellschaft auch im Netz zu verteidigen“?
Wirklich geil fand ich allerdings die Herleitung unserer Gesellschaftswerte „Freiheit, Demokratie und Eigentum“ von der französischen Revolution. Chapeau! Wir wissen schließlich alle, dass die größter Errungenschaft dieser Revolution das geistige Eigentum war.
Hier bitte ich übrigens darum, mich nicht falsch zu verstehen. Ich bin sowohl ein Mitglied der Netzgemeinde als auch das, was bei ihnen im Freundeskreis wahrscheinlich „Content-Produzent“ oder so ähnlich heißt. Irgendwie sehe ich trotzdem keinen Grund, die – im übrigen durchaus auch sehr bürgerlichen – Freiheiten von ein paar Gesetzen einschränken zu lassen, die sich mit vier Buchstaben abkürzen lassen. SOPA, PIPA, ACTA. Ein gepflegtes LMAA dazu von meiner Seite!
Selbst Sie scheinen zwischendurch erkannt zu haben, dass es eigentlich nicht ums Netz selbst geht:
„Nicht, weil Bits und Bytes aus sich heraus wie kleine Pacmans an den Ideen und Idealen unserer bürgerlichen Gesellschaft knabbern würden. Nein, es sind die Menschen, die hinter den Maschinen sitzen und eine andere Gesellschaft wollen.“
Nochmal: Merken Sie was?
Was glauben sie, was ich mir für krude Beschreibungen über ihre Partei einfallen lassen müsste, wenn ich ähnlich falsch und bekloppt vorgehen wollte wie Sie? Sie schreiben allen Ernstes folgendes:
„Es ist eine unheilige Allianz aus diesen „digitalen Maoisten“ und kapitalstarken Monopolisten, die hier am Werk ist.“
Jetzt sagen Sie bloß, ihnen ist entgangen, dass es im Netz auch vor Juden nur so wimmelt!
Nur weil Menschen das Internet für ihre Arbeit und ihre Freizeit nutzen, haben sie doch keine bestimmte Gesinnung. Schauen Sie sich mal in den Reihen ihrer Partei um! Wollen sie Angela Merkel demnächst terroristische Tendenzen unterstellen, weil sie einen Podcast unterhält? Und wenn ja: Ist sie jetzt eher Monopolist oder Maoist? Ich bin mir da noch etwas uneins.
Während Sie Google und Wikipedia wegen ihrer verzweifelten Versuche, auf politische Mißstände hinzuweisen, zurufen von welcher Hybris sie geprägt seien, wischen Sie den Fakt beiseite, dass das von ihnen viel gelobte „Wissen und vor allem die Weisheit der Welt“ eben nicht nur in den Köpfen der Menschen liegt, sondern gerade über die genannten Plattformen verbreitet wird, wie niemals zuvor in der Menschheitsgeschichte.
„Also, Bürger, geht auf die Barrikaden und zitiert Goethe, die Bibel oder auch Marx. Am besten aus einem gebundenen Buch!“
Also geht es doch nur darum, dass Sie lieber Druckerschwärze an den Händen als Pixel vor den Augen zu haben. So viel sie über Wissen schwadronieren, so wenig scheinen Sie zu haben, wenn sie glauben, dass die Texte und Ideen Goethes nur als Buch gut wären. Über den Auftritt von Marx habe ich mich ehrlich gesagt gewundert, aber spätestens an dieser Stelle ihrer Ausführungen befürchtete ich, dass ihnen ohnehin egal ist, was sie lesen. Solange es nur nicht digital ist.
Nachdem die Netzgemeinde in ihrem letzten Abschnitt plötzlich nur noch aus „einzelnen Menschen“ besteht und sie den Piraten Raffgier unterstellen, folgt mein zweitliebstes Kleinod ihrer inzwischen zu Recht oft verballhornten Komödie:
„Natürlich soll niemandem verboten werden, via Twitter seine zweite Pubertät zu durchleben. Nur sollte man das nicht zum politischen Programm erheben.“
Dahinter steckt nämlich, das muss ich ihnen lassen, ein ausgesprochen kluger Ratschlag. Natürlich sollte man aus ein paar dümmlichen und kindischen Tweets kein politisches Programm machen. Genauso wenig sollte man ein politisches Programm daraus machen, sich über dümmliche und kindische Tweets aufzuregen. Und nichts anderes haben Sie gemacht.
Jede Neuerung, jede Errungenschaft, jede neue Technik hatte ihre Feinde. Vom Buchdruck bis zur CD-R, von der Postkarte bis zum Festplattenrecorder. Immer haben Leute wie sie die Apokalypse heraufbeschworen und auf die Nutzer, die Vorreiter und die Erfinder herabgeschaut, sie für blöd verkauft, belächelt und unterdrückt.
Sie alle haben eines gemeinsam: Wir Menschen aus der heutigen Zeit lachen über ihre lustigen Einschätzungen, wundern uns über ihre Engstirnigkeit und bezeichnen sie manchmal als Dinosaurier. Glauben Sie mir, es ist keine Glanzleistung, sich schon zu Lebzeiten in diese Gruppe einzureihen.
Digitale Grüße,
Sash