Wenn ich mich mit der Bahn zur Arbeit begebe, treffe ich insbesondere am Wochenende bereits auf die potenzielle Kundschaft des Abends. Mein Weg trägt mich ja mit der M6 von Marzahn aus in Richtung Innenstadt, da sind am frühen Abend einige mit von der Partie, die essen, trinken, feiern gehen wollen.
Und dabei schon vorglühen.
Die Truppen sind immer bunt gemischt. Sowohl die Marzahner Jugend als auch Leute aus den günstigen Hotels etwas außerhalb landen in der Bahn, so wirklich überwiegen tut da keine besondere Gruppierung. Mal ist eine zehnköpfige Gruppe betrunkener Hellersdorfer die lauteste, mal sind es 20 australische Touristen aus dem Columbus-Hotel.
Wenngleich auch die M6 im Laufe des letzten Jahres schon Schauplatz von Überfällen war, bin ich eigentlich von den wirklichen Honks meist verschont geblieben. Sicher, mit einem Großteil der Leute würde ich ungern mehr als eine Straßenbahnfahrt verbringen, aber meine leicht misanthropische Einstellung lässt mich das Gleiche über die Mitreisenden zu jeder Zeit sagen.
Und so saß ich eines Abends dieser Woche wieder in der Bahn und vor mir saßen zwei mir überaus suspekte Typen. Solariumgebräunt, fitnessstudiogestählt, gegelt und in gleichermaßen teure wie lockere Kleidung gehüllt saßen sie zwei Sitze voneinander getrennt in der Bahn und haben sich ihren iPhones gewidmet. Jeder hatte ein Bier in der Hand, nicht das erste offenbar, insgesamt ruderten sie eher damit herum, als dass sie davon tranken.
„Ey!“
meinte der eine und ich hab unwillkürlich den Dialog in Gedanken fortgeführt. Darin kamen Beleidigungen vor, Alter, Sprüche über ihren Alkoholkonsum, Alter, Sticheleien, Alter, Rumgeprolle, sexisitisches Geschwätz und zum Abschluss nochmal Alter!
Einzig: Es kam nichts. Also nicht nur nichts von alledem, sondern nichts. Fast 10 Minuten hatte ich die beiden vor mir und sie taten ungelogen nichts weiter, als sich gelegentlich mit „Ey!“ anzusprechen und zu versuchen, sich gegenseitig mit ihren Smartphones zu fotografieren. Der eine stupst den anderen an: „Ey!“. Der hält sich schützend den Arm vors Gesicht: „Ey!“ Handy wird gezückt: Blitz! „Ey!“
Und all das leise und unaufgeregt. Zugegeben: Das hat nicht unbedingt dafür gesorgt, dass ich sie für cleverer gehalten habe als zuvor. Irgendwie angenehmer war es trotzdem, ey!
Wer weiß, vielleicht haben Dich die beiden erkannt und per Chat-App beschlossen: „Ey Alder, den verarschen wir jetzt voll krass, ey, dann kommwa voll krass ins Blog, Alder“
Oh shit, dieser Virus ist bis in die Hauptstadt vorgedrungen. Wir sind verloren. Diese Typen werden immer mehr. Ich kapier´s nicht. Generationsfrage? Bildungsfrage? Keine Ahnung! Gute Nacht Deutschland!(zweideutig, ich geh jetzt in´s Bett) Ey, übelst, ich hau mich mal voll krass hin, Alder!
In Berlin fahre ich sehr selten mit der Straßenbahn, und ich halte sie auch nicht gerade für ein besonders berlintypisches Verkehrsmittel. (Wer übrigens den süddeutschen Begriff „Tram“ hier hat einführen wollen, müßte heute noch dafür bestraft werden; schlimmer noch sind aber die Einheimischen, die dergleichen nachplappern.)
Eins muß ich aber leider sagen: Ich fahre in Berlin nie gern mit der Straßenbahn. Das liegt zum einen an den Bahnen selbst, die moderneren sind alle irgendwie so eng, so daß man sich da nicht wohlfühlt. Im wesentlichen liegt es aber an der Klientel, die da unterwegs ist. Gerade in Richtung Stadtrand (also z. B. M8) bzw. am Tierpark vorbei fahren Straßenbahnen, wo ich mich über die Zusammensetzung des Publikums immer jedesmal wundere. Alles offenbar sehr proletig, dazwischen dann noch einige regelrechte Nazitypen (wenn man nach deren Äußeren geht). Ausländer habe ich da übrigens noch nie gesehen, wenn man von Asiaten aller Arten absieht (aber die wohnen ja da, insofern zählen sie für mich nicht so sehr als Ausländer). Selbst im Bus, den ich öfter benutze (auch zum Stadtrand hin), ist das Publikum weit gemischter und damit angenehmer als in der Berliner Straßenbahn. Weiß auch nicht, warum das so ist oder so auf mich wirkt.
Vielleicht sprachen sie in einer uns bislang unbekannten intonationsbetonten Sprache und unterhielten sich gerade über Hegel und Co?
Vielleicht waren sie aber auch wirklich so beschränkt, wie sich das hier liest…
@anonym:
Ehrlich gesagt fahre ich im Gegenzug recht gern mit der Straßenbahn. Zumindest ziehe ich sie immer der S-Bahn vor, wenngleich ich mit der sogar ein paar Minuten schneller bei meinem Arbeitgeber wäre.
Und die M6 ist auf meiner Strecke inzwischen dank dem neuen Ikea auch um ein amüsantes Klientel reicher. Ich möchte allerdings auch anmerken, dass ich ja (abgesehen von den Feiernden am Wochenende auf dem Hinweg) meist gegen den Strom fahre: Abends in die Stadt rein, morgens raus. Da ist meist noch etwas Platz 🙂
@Tjeika:
Eine nicht ganz auszuschließende Theorie. Aber unwahrscheinlich, extrem unwahrscheinlich… 😀