Drei Monate hatte ich nun mein Taxi vor der Türe, inzwischen fahre ich wieder Bahn. Ich habe wieder das, was gemeinhin Arbeitsweg genannt wird. Und das ist toll. Dabei gehöre ich ja noch zu den Leuten, die im Rahmen ihrer Arbeit ganz schön rumkommen – der Mangel an Aussicht ist es also nicht, der dafür sorgt, dass ich mich heimlich freue. Der Arbeitsweg hat für mich immer schon eine gesonderte Bedeutung gehabt: er vermittelt den Abstand zur Arbeit und ist zugleich Zeit, sich vorzubereiten, bzw. runterzukommen.
So gesehen fand ich schon in der Schule den Witz gar nicht so komisch, in dem ein kleiner Junge ein leeres Blatt abgibt, als er seinen Schulweg beschreiben soll – weil er der Sohn des Hausmeisters ist.
Während der Schule war der Weg sowieso noch einmal wichtiger. Da ist man ohnehin nicht immer auf den selben Pfaden gewandelt – auf den Umwegen gab es ja so viel zu entdecken und auch Blödsinn zu machen. Aus den Details, die mir von den dann irgendwann doch vertrauten Wegen noch im Kopf sind, ziehe ich heute noch Sätze für Geschichten. Auch Julius Duttlinger, Namenspatron dieses Eintrags ist so ein Detail. Sein sehr schöner schlichter schwarzer Grabstein hat mit jahrelang verkündet, dass ich den Großteil der Steigung des Gablenberger Friedhofs hinter mir habe. Wer weiß, woran ich heute bei meinem Schulweg denken würde, wäre Julius Duttlinger nicht zwei Jahre vor meiner Geburt gestorben.
An den täglichen Wegen treffen einen die Jahreszeiten intensiver und doch überschaubarer als sonst: Kann ich durch die kahlen Bäume im Herbst bereits ums Eck sehen, ob der Bus kommt? Verdeckt der Schnee tatsächlich schon die Inschrift auf der Friedhofsmauer und ist die Pfütze an der schmalen Stelle des Gehwegs tatsächlich so breit, dass man nasse Füße bekommt?
Man lernt seinen kleinen Teil der Stadt bis auf’s letzte Fitzelchen kennen. Hier ein neues Haus, dort haben sie jetzt ein Stopschild aufgestellt und – Wahnsinn! – die Leute in der Nummer 53 haben inzwischen ihre Fensterläden gestrichen.
Und dennoch ist dabei manchmal viel wohltuende Monotonie. Die Reihenfolge der Haltestellen wechselt nur selten, selbst die meisten Neubauten stehen irgendwann einfach da und am Ende ist das wohl auch gut so.
Sicher, für manchen ist das nur die öde Fortsetzung des öden Tages – und auch ich hätte gerne hier und da mal den Weg übersprungen, um die Verspätung aufzuholen oder gleich ins Bett zu kommen. Am Ende hab ich es dann doch immer geschafft. Inzwischen schlafe ich notfalls in der Bahn schon ein Stückchen vor. Und das geht. Ich erkenne selbst im Schlaf die Kurve, nach der ich aussteigen muss.
Die Fahrt zur Uni oder zurück, im Auto meines Kommilitonen, ist für mich oft die beste Zeit des Tages. Wir verstehen uns ziemlich gut und haben den selben verqueren Humor. Außerdem finden wir die selben Leute doof. Das macht diese Fahrten eigentlich immer zu lustigen Highlights. Ich bin immer froh, wenn wir am Bahnübergang warten müssen, weil das unseren gemeinsamen Weg noch ein wenig verlängert.
Ich glaub ohne diese Fahrten wären wir nicht so gute Freunde geworden.
@Angelina:
Das ist natürlich der andere schöne Spezialfall: den Weg gemeinsam zurückzulegen. 🙂
„Ich erkenne selbst im Schlaf die Kurve, nach der ich aussteigen muss.“
Dazu fällt mir ein, wie ich mal auf denkbar blöde Art meine Aussteigestation verpasst habe:
In der U-Bahn in Frankfurt/M. war offenbar ein Fehler in der Stationsansage, wodurch der Name immer eine Station zu spät angesagt wurde. Ich hatte ein Buch dabei und war darin vertieft, als die Ansage „Leipziger Straße“ höre (das ist die Station vor meiner damaligen „Heimatstation“). Ich hab noch gedacht „seltsam, ich hätte gedacht, ich hätte vorhin schon aus den Augenwinkeln den Ausstieg rechts gesehn“ (Leipziger Straße war die einzige Station auf meinem Weg mit Ausstieg rechts). Bescheuerterweise hab ich diesen Gedanken jedoch nicht zum Anlass genommen, an der nächsten Station mal aus dem Fenster zu sehen, sondern bin einfach sitzen geblieben. Als es dann hell wurde (die Bahn fährt nach „meiner“ Station oberirdisch weiter), wusste ich, dass etwas verkehrt war…
@Marco:
Nicht schlecht. 🙂
Ich erinnere mich da gerne an eine Heimfahrt von einer Party am frühen Morgen. Ich sitze in der Bahn, penne immer wieder ein. Sehe raus: Puh, noch 3 Stationen, bis ich aussteigen muss! Zack – weg war ich! Augen wieder auf: Uh, noch zwei Stationen! Jetzt wachbleiben!
Und dann?
Fährt die blöde Bahn in die andere Richtung. Bin im Schlaf wohl bis zur Endstation und wieder bis genau dorthin zurück gefahren, wo ich zuvor das letzte Mal aufgewacht war … 🙂
Naja, nach der Panik war ich wach!
Über diese als angenehm empfundene Zäsur die der Arbeitsweg für manche darstellt, habe ich bisher erst zweimal im Leben was gelesen: Bei Alexander MItscherlich und bei Dir..
@elder taxidriver:
Da ich bei Dir aus Gründen davon ausgehe, dass Du nicht unbelesen bist, vermute ich einfach mal, dass sich nicht so viele bisher darüber geäußert haben. 🙂
Schul- und Arbeitswege waren für mich immer die Gelegenheit, in Ruhe Musik hören zu können. Habe ich immer sehr genossen. Daher habe ich vom Weg nie soviel mitbekommen. Einmal sogar so wenig, dass ich statt zu meiner Schule zur Schule meines Bruders in der entgegengesetzten Richtung gelaufen bin.
@Tjeika:
Ja, Musik hab ich auch lange Zeit gehört. Aber die Phase kam und ging wieder. Dafür bin ich auch nie zur falschen Schule gelaufen – was aber definitiv eine Glanzleistung besonderer Art ist! 🙂
Seltsamerweise kenne ich aber auch niemanden weiter, der das oder was ähnliches hinbekommen hat.
@Tjeika:
Hmm, das ist bedenklich 😉