Missionare. Ih, bäh!
Wir Menschen leben unser Leben so gut es uns eben möglich ist. Dabei machen wir Erfahrungen jeglicher Art. Wenn wir clever sind und/oder Glück haben, dann sind viele dieser Erfahrungen positiv. Und wenn wir positive Erfahrungen haben und wissen – oder zu wissen glauben – was uns das beschert hat, dann sind wir oft sozial und teilen diese Informationen. Und das ist an und für sich toll. Denn es ist eine Win-win-Situation: Der Informierende muss bloß ein paar Worte verlieren und bekommt im Gegenzug soziales Ansehen und der Beratene erweitert seine Kenntnisse quasi zum Nulltarif und muss allenfalls danke sagen.
Dieses Modell ist aber nur der Idealfall. In der Realität kommt es sowohl dazu, dass den Leuten aus teils niedrigsten Motiven ziemlich blöde Ratschläge gegeben werden, auf der anderen Seite glänzen die, die gute Ideen bekommen, oft auch nicht mit den besten Manieren und geben im schlimmsten Fall statt Anerkennung Verachtung zurück.
Mich beschäftigt der erste Fall seit geraumer Zeit – und ich hoffe, damit keinen der zweiten Art zu schaffen.
Als halbwegs umtriebiger Blogger habe ich eine etwas exponierte Stellung in meinem sozialen Umfeld inne, wenn ich meine Netzbekanntschaften zu selbigem zähle. Was ich tue. Auf der einen Seite erreichen meine Vorschläge eine teilweise obszön hohe Zahl an Lesern, zum anderen aber bekomme ich auf viele Fragen wesentlich mehr Feedback als Otto Normalinterakteur in der Kneipe seiner Wahl. Was zu seltsamen Wahrnehmungen führt:
Wann immer ich eine Frage stelle, kann ich darauf wetten, Antworten zu bekommen, die nichts mit der Frage zu tun haben, sondern einzig den missionarischen Eifer meines Gegenüber befriedigen. Ich habe dabei wirklich keine konkreten Beispiele im Sinn, aber wenn ich beispielsweise frage, ob jemand zufällig eine Software kennt, die x, y und z kann, bekomme ich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mindestens eine etwa so klingende Antwort:
„Ich nutze die und die Software und bin sehr zufrieden. x, y und z kann sie nicht, aber dafür a und b und das ist sowieso besser.“
Das ist in mindestens 90% der Fälle absolut lieb gemeint und vielleicht wären die Tipps auch prinzipiell brauchbar. Was leider nicht klar ist, ist die bereits zu Beginn bestehende ungleiche Verteilung von Informationen. Ich als Blogger z.B. weiß, dass ich eine komplizierte Diskussion über eine bestimmte Software nicht mit zig Lesern führen kann. Wenn ich frage: „Was ist die beste Bildbearbeitung?“, dann wird das bei 35 Kommentatoren ungefähr 40 verschiedene Antworten zu Tage fördern. Deswegen grenze ich – zum Teil natürlich auch intransparent, weil zu aufwändig zum Beschreiben – die Thematik ein. Ich hab vorher vielleicht eine Diskussion mit Ozie oder ein zwei Vertrauten, an deren Ende klar ist, dass ich z.B. eine Bildbearbeitung unter 50 € suche, die unter Ubuntu läuft, mit der man Objekte freistellen kann und die eine Ebenenverwaltung hat. Das schreibe ich dann. Leider bringt das nur teilweise was.
Ja, die Vorschläge werden detaillierter und es ist damit zu rechnen, dass mir irgendwer tatsächlich etwas passendes empfiehlt. Was ich mich frage, ist:
Was bewegt Menschen dazu, auf diese Frage hin zu sagen:
„Ey, ich kenn nur die Software ‚Ficknbilder‘ für Mac. Ich weiß nicht, was Du mit freistellen meinst, aber die hat freie Farbwahl und alles und kostet auch nur 100 €, passt also sicher.“?
Ey, wir können offen über alles reden. Und unsere Meinungen zu verschiedenen Dingen sind unterschiedlich. Es gibt genügend Punkte, an denen man über Sachen diskutieren kann. Aber o.g. Kommentare sind, so leid mir das tut, Spam. Missionarischer Spam. Irrationaler Blödsinn im Bezug auf die von mir genannte Ausgangslage. Wenn ich zum Mercedes-Händler gehe, will ich keine Fiat-Werbung. Umgekehrt ebensowenig. Und ein Fahrrad ist nicht „fast eine Limousine“, sondern gar kein Auto. Können wir nicht damit aufhören, uns gegenseitig die Zeit zu stehlen, sondern stattdessen zuhören? Und wenn man keine Ahnung hat, Dieter Nuhrs bekannteste Aussage beherzigen? Dann klappt das mit dem fairen Deal „Informationsaustausch“ auch viel besser.
Das ursächliche Problem ist doch, dass eigentlich jeder zu allem seinen Senf dazugeben will, trotz maximaler Ahnungslosigkeit. Oder noch schlimmer, dank gefährlichem Halbwissen. Diese Personen sind selten in der Lage zu merken, dass sich da jemand schon differenziert mit der Thematik auseinander gesetzt hat.
Von daher würde ich mir Rat da suchen, wo ich ihn nach wie vor am ehsten finde: In Fachforen. Da gibt es auch genug Quatschköppe, aber man hart dort relativ schnell die Leute identifiziert, die einem wirklich zuhören. Das eigene Blog halte ich da generell für den schlechtesten Weg. Da stelle ich persönlich nur Fragen, wenn ich mir einen Impuls geben lassen möchte.
Willkommen in der Dunning-Kruger-Wolke … 😮
Ich hab ja früher mal (nicht nur) beruflich viel mit PHP gemacht, und nun seit langer Zeit mit MySQL … und während man über beides durchaus viele schlimme Dinge sagen kann (und ich stecke in beiden tief genug in den Internas um zu wissen wo die wirklich interessanten Leichen liegen) sind die immer gleichen „$andere_sprache oder $andere_datenbank sind besser weil das weiss doch jeder“ Diskussionen von nicht-über-den-Tellerrand-gucken-Könnern idR sehr ermüdend … ;(
PS: wetten das ich jetzt diesen Kommentarstream erfolgreich gehijacked habe? 😉
„Das Tolle am Internet ist, dass endlich jeder der Welt seine Meinung mitteilen kann. Das Furchtbare ist, dass es auch jeder tut.“
(geklaut bei Marc-Uwe Kling)
@Der Maskierte:
Naja, das hat alles immer zwei Seiten:
Dein Tipp ist Gold wert, wenn man sich sowieso viel in Foren rumtreibt, weil die Themen, die einem Probleme bereiten, sowieso oft eine Rolle spielen. Als Noob in ein Forum reinzukommen, vielleicht sogar einmal wirklich nicht die Zeit haben, alles abzusuchen, ist halt auch unhöflich. Und wenn man hunderte oder gar tausende von Leuten mit dem eigenen Blog oder so erreicht, dann kann man da schon mal bequem schauen, ob vielleicht jemand da ist, der sich auskennt. Hier wie da muss man die Antworten auf Plausibilität abklopfen, aber das sollte man im Netz ohnehin irgendwann lernen.
@hartmut:
Nee, ganz so schlimm sind meine Leser dann doch auch nicht. 😉
Und der Dunning-Kruger-Effekt geht mir mehr auf die Nüsse als sonstwas auf diesem Planeten, der ist im Grunde schlimmer als die Blödheit der Menschen an sich …
@Michi:
Ja, wie wahr, wie wahr …