Ich weiß, ich hab verdammtes Glück mit meiner Beziehung. Irgendwann einmal so glücklich und zufrieden mit jemandem zusammenleben zu können, wie es mir derzeit vergönnt ist, hätte ich selbst niemals erwartet. Um ehrlich zu sein: Ich hätte vor allem nicht erwartet, dass ich persönlich das kann. Aber gut, so ist es nunmal. Der Jahrestag nähert sich zum achten Mal, der Hochzeitstag wartet auf die zweite Bestätigung.
Aber glaubt es oder nicht: Extrem positive Erfahrungen sind manchmal so lehrreich wie extrem negative. Natürlich lernt man aus Fehlern, das will ich nicht bestreiten. Haben wir alle schon gemacht. Aber man lernt aus positiven Erfahrungen andererseits auch, was für Fehler vermeidbar sind.
Beziehungen zwischen zwei Menschen sind zwangsläufig in vielen Punkten Kompromisse. Meine auch, natürlich. Auf der anderen Seite wird man tagein tagaus sozialisiert mit Erfahrungen von anderen Leuten … und was die für Probleme haben, meine Fresse! Ein mir bekanntes älteres Paar hat an einem Tag eine abendliche Verabredung abgesagt, nur weil es beim Abendessen zu einem lautstarken Streit gekommen ist, ob es sinnvoll sei, wenn man eben frisches Brot gekauft hat, das alte gleich aufzubrauchen – oder ob man nicht besser erst das frische genießt, da es am nächsten Tag ähnlich „alt“ schmeckt wie das noch vorhandene. Da müsste man sich eigentlich fragen, warum man sich das antut.
Das machen natürlich die wenigsten.
Beziehungen – je enger sie sind, desto mehr – werden im Falle eines Außeinanderlebens schwierig aufzulösen. Das mag logisch sein, besonders toll ist es für keinen der Beteiligten.
Ein besonderes Exemplar solch einer besser längst aufgelösten Beziehung können wir hier im Haus studieren. Immer wieder, beinahe täglich. Nicht, dass wir gerne lauschen, alleine: die Nachbarschaft ist so eng, dass wir den ein oder anderen Streit im Wortlaut mitverfolgen können. Und auch wenn unser Haus vielleicht überdurchschnittlich hellhörig ist: So schlimm, dass man die Nachbarn immer reden oder meinetwegen diskutieren hört, ist es dann auch nicht. Die geben sich schon Mühe. Alle paar Tage wird da lautstark jemand aus der Wohnung geschmissen, es knallen Türen, es fliegen Teller. Oder vergleichbares, es hört sich aber verdächtig nach Tellern an.
Vor ein paar Tagen dann steigerte sich die Sache. Ernsthaft. Da klang es dann nicht mehr nach umherfliegenden Tellern, sondern nach umstürzenden Schränken. Und auch nicht mehr nach Wutausbrüchen, sondern nach Schmerzensschreien. Na, tolle Wurst! Immerhin sind wir nicht nur aus Feigheit ruhige Nachbarn, sondern aus Überzeugung. So lange es uns nicht wirklich massiv stört, sollen die Leute um uns herum ruhig machen, was sie wollen. So traurig es auch ist, dass Beziehungen in die Brüche gehen – es sollte schon jeder selbst entscheiden, ob er auszieht, weil es an drei von vier Tagen eher Hölle als Höhle ist, wohin man abends zurückkehrt.
Aber das an diesem Abend war – ungeachtet unseres persönlichen Wohlbefindens – zuviel. Weit davon entfernt, ordnungsfanatische Spitzel zu sein, haben wir besser mal die Polizei gerufen. Scheiß auf Ruhestörung, die begehen wir gerne auch mal selbst. Aber falls es da echt um „häusliche Gewalt“ gehen sollte, will man eben auch nicht zu den Arschlöchern gehören, die weghören und wegsehen.
Der müde Polizeibeamte am Ende der Leitung ließ sich die Adresse bestätigen und murmelte, dass da ohnehin schon jemand unterwegs wäre. Schön. Und ungelogen zwei Minuten später stand ein Streifenwagen vor der Tür, zehn Minuten später waren es drei.
(Im Übrigen ein interessanter Hinweis darauf, wie schlimm es hier in Marzahn wirklich ist, wenn wegen sowas alle mal schnell anrücken können.)
Natürlich ließ der Krach umgehend nach. So wie bei unseren WG-Parties damals auch. „Open End“ hieß im Zweifel übersetzt immer „bis die Bullen mit Räumung drohen“. Schlimmer finde ich, dass es seitdem nicht besser geworden ist. Oder dass Nachbarn mir berichtet haben, dass das nicht der erste Polizeibesuch war. Es geht also mehr oder weniger so weiter wie bisher. Soweit man das aus einer anderen Wohnung heraus beurteilen kann …
Klar, in sowas schlittert man rein. Und wirklich immun ist dagegen vielleicht keiner. Aber ich möchte allen Leuten, denen es ähnlich geht, mal ins Gedächtnis rufen, was sie sich von einer Beziehung erhofft haben. Bei den ganz simpel gestrickten Zeitgenossen war es nur Sex. Bei manch anderen Angst vor Einsamkeit. Bei vielen der Wunsch nach Geborgenheit, Sicherheit. So ziemlich allen aber, die sich irgendwann einmal entschieden haben, ihr Leben fortan mit einem Partner zu teilen, ist eines gemein: Sie wollten, dass es ihnen besser geht als alleine.
Und wieviel besser soll es jemandem gehen, der jeden Abend stundenlang Streit hat?
Trennungen sind schlimm. Fast immer. Und es ist natürlich immer schwierig, als in dieser – hihi – Beziehung priviligierter Typ Ratschläge zu erteilen. Das ist mir klar. Aber ich bin selbst Scheidungskind, ich weiß, welche Auswirkungen sowas haben kann. Was ich darüber hinaus aber noch mehr weiß: Welche Auswirkungen es haben kann, diesen Schritt herauszuzögern, ihn abzulehnen und sich in den Wunschtraum zu flüchten, das alles sei ja besser als nichts.
SO EIN BULLSHIT!
Manche Beziehung funktioniert, manche eben nicht. Und wenn sie nicht funktioniert, dann sollte man den Mut haben, sie aufzulösen. Das ist immer schwer. Und es wird nochmals schwerer, wenn Eheurkunden oder Kinder dabei eine Rolle spielen. Aber es ist nötig.
Natürlich: Wenn Euch Beziehungen wichtig sind, dann kämpft um sie. Bessert Euch selbst, arbeitet gemeinsam an Lösungen. Aber irgendwann ist ein Punkt erreicht, an dem man ernsthaft über ein Ende nachdenken sollte. Vielleicht, wenn man keinen Bock mehr auf gemeinsamen Sex hat, vielleicht erst bei andauerndem Streit. Vielleicht auch erst, wenn dieser Streit mehrmals von der Polizei geschlichtet werden musste oder wenn ein Blogger aus der Nachbarschaft Euch als negatives Beispiel benennt. Aber schließt diese Option nie (Nie, nie, nie – und ich meine: NIE!!!) aus.
Wir hier tun das im Übrigen auch nicht. Auch wenn es derzeit nichts auf diesem Planeten gibt, was weiter entfernt liegen könnte als eine Trennung – niemand in diesem Haus will den Zeitpunkt verschlafen, den unsere Nachbarn verschlafen haben …