18. Mai 2015 · 04:51
Die Saison beginnt wieder, jeden Tag aufs Neue machen sich afrikanische Flüchtlinge auf die mörderische Reise nach Europa. Sicher ein Kontinent, von dem ihnen zu viel gutes berichtet wurde, eine Reise, von der sie zu hohe Erwartungen haben. Und am Ende ist – selbst wenn sie die Reise überlebt haben sollten – nicht einmal das auch nicht ganz so goldene Leben in irgendwelchen Flüchtlingslagern ihr Problem, sondern meist die direkte Abschiebung oder die oftmals allumfassende Ablehnung der Einwohner dieser seltsamen Länder.
Und eines dieser seltsamen Länder ist das, das wir alle hier am besten kennen: Deutschland. Hier werden wieder jede Woche Flüchtlingsheime angezündet und es wird davor gewarnt, wie schlimm das doch alles ist mit diesen „Flüchtlingen“. Am Ende gar „Wirtschaftsflüchtlingen“. Was so dermaßen grotesk ist, dass einem dazu kaum was vernünftiges einfällt, weil es immer nur auf dieses billige „Wir gegen Die“-Ding rausläuft. Ist nicht parteiübergreifend inzwischen akzeptiert, dass Deutschland Zuwanderer braucht? Und eine Verjüngung? Selbst die Profikapitalisten der FDP wollen ja unbedingt weniger Einschränkungen, damit man hier besser Geld verdienen kann. Und dann kommen ein paar lächerliche tausend Leute, die nichts lieber tun würden, als endlich unter guten Bedingungen zu arbeiten – und wir schicken sie weg und verbieten ihnen das Arbeiten sogar noch, bevor sie abgeschoben werden. Kommen ganze Familien, wird gejammert, dass „die“ ja nur auf Kindergeld und Hartz4 geil wären, kommen junge Männer, wird gebrüllt, dass eigentlich arme Kriegsflüchtlingsfamilien versprochen wurden.
Selber den Arsch nicht hochkriegen, aber von den Ärmsten der Armen und den Verzweifeltsten der Verzweifelten fordern, dass sie gleichermaßen demütig wie tatendurstig, arm wie selbständig sind.
Und all das natürlich, weil „wir“ uns das nicht leisten könnten, oder – wenn man bereits ein paar Hemmungen weniger hat – weil die ja doch alle ziemlich dunkle Hautfarbe haben und im Dorf schon sehr auffallen würden. WTF, Deutschland?
Kleiner Einschub: Ja, ich schreibe das jetzt, weil es derzeit medial präsent ist, aber ich bin nicht so blöd, zu glauben, das wäre davor groß anders gewesen.
Ja, ich hab als denkender Mensch immer schon ein Problem mit Rassismus gehabt. Damit war ich lange Zeit keineswegs Verkünder einer Mehrheitsmeinung, und das obwohl ich nicht ’33 geboren wurde, sondern derzeit 33 Jahre alt bin. Den Grundgedanken zu entwickeln, dass es schon eine ganz coole Sache wäre, würden wir einfach alle Menschen als gleichberechtigte Menschen ansehen, war also nicht ganz so aufgezwungen und selbstverständlich, wie irgendwelche weinerlichen Schnullernazis heute behaupten, wenn sie mich als „Gutmenschen“ diffamieren.
Aber das Dumme an der Sache ist: Es läuft wirklich alles auf dieses „Wir gegen Die“ raus. Wäre es ok, dass nicht-weiße, nicht-deutsche Menschen einfach ein Teil unserer Gesellschaft sein könnten – könnten! – dann würden wir nicht nur Seerettungsboote zu entsenden, sondern auch ernsthaft versuchen, die Integration voranzutreiben. Ernsthaft!
Hier in Berlin vergesse auch ich bisweilen, wie wenig das mit den verschiedenen Kulturen teilweise verbreitet ist. So meinte eine Frau aus Sachsen neulich im Taxi zu mir, sie wäre in der U-Bahn „von so einem Zigeunerweib“ angebettelt worden, obwohl sie eigentlich dachte, „dass die im Fernsehen sich sowas nur ausgedacht hätten“. Tja, wie sollte ich mir Hoffnungen machen, dass diese – sonst eigentlich nette – Frau jemals kapiert, wie wichtig multikulturelles Leben außerhalb ihrer kleinen dörflichen Gemeinschaft in den letzten Jahrzehnten geworden ist?
Alle haben sie Angst, etwas „zu verlieren“. Da muss ich doch mal ehrlich fragen: WAS DENN?
Ist das Retten von tausenden von Leben nicht vielleicht wert, in der Bahn auch mal eine andere Sprache zu hören, die man nicht versteht? Ist es nicht ein beschissen vernachlässigbares Problem, beim Kindergeburtstag mal keinen Schweinebraten zu reichen, weil der beste Freund von Kevin-Florian nicht Max sondern Yussuf heißt?
Natürlich kosten Flüchtlinge, kostet Integration. Nicht nur Überwindung, sondern auch Geld. Das sollten auch wir Flüchtlingsunterstützer nicht kleinreden, das ist so. Punkt.
Ebenso einen Punkt können wir aber auch hinter die Aussage packen, dass wir „das“ nicht alles fernhalten können. Unser Wohlstand ist eng verknüpft mit vielen Ländern, aus denen heute Flüchtlinge zu uns kommen. Und natürlich können wir zwar einerseits billige Klamotten ankaufen, andererseits aber den Menschen verweigern, jemals unseren Lebensstandard zu erreichen. Aber dann sind wir halt Arschlöcher. Dann sind wir nicht besser als die absolutistischen Herrscher und Diktatoren, die wir hoffentlich auf Dauer in unsere Geschichtsbücher verbannt haben. Denn natürlich müssten wir unseren Wohlstand dann mit Waffengewalt verteidigen und uns in unser „Schloss“ Europa zurückziehen, während die Fremden von der Burgmauer aus erschossen werden. Und das ist leider keine weit hergeholte Metapher, die Menschen sterben an der EU-Grenze. Massenhaft. Stichwort: Festung Europa.
Ich schreibe das als Mitteleuropäer, Deutscher, Weißer. Beschäftigt in einem Niedriglohnjob, der dafür bekannt ist, dass Migranten ihn machen. Ich lebe je nach Monat dies- oder jenseits der Armutsgrenze, ich habe keinen Cent zu verschenken, wirklich nicht. Und auch mein Selbsterhaltungstrieb ist weitgehend intakt, ich werde mich auf Teufel komm raus dagegen wehren, unter die Räder zu kommen, ich will leben, und ich habe mich dabei an den Status quo gewöhnt, der mir immerhin mal ein Dach über dem Kopf, genug (überwiegend gutes) Essen, fließend Wasser, Strom, Internet etc. garantiert. Ich habe etwas zu verlieren.
Aber – und das möchte man Dorfsachsen mit begrenztem Blick über den Tellerrand zurufen – ich jammere hier auf hohem Niveau! Ich würde natürlich alles darum geben, mir diese Sicherheiten wenigstens zu erhalten.
Aber ich habe mich entschieden, kein egozentrisches Arschloch zu sein, das, nur weil es 2017 vielleicht 100 € mehr Steuern zahlen muss, einen Hass zu entwickeln auf Menschen, für die fließend sauberes Wasser bedeutet, dass sie nicht mit 40 sterben.
Ich bin in Deutschland geboren, lange nach dem letzten Krieg. Ich bin männlich, weiß, fett, arm und überlebe irgendwie. Ich erlaube es mir sogar, mit Blogs und Büchern irgendwie meinem persönlichen Traum nachzujagen. Und alles, was ich mir wünsche, ist folgendes:
Jede(r) auf der Welt sollte wenigstens dieses minimalste Glück erreichen können. Wenigstens einen Plattenbau in Marzahn, wenigstens alle paar Jahre mal eine schwarze Null auf dem Konto.
Wie kaputt muss man sein, Menschen noch viel weniger zu neiden? Wir reden hier von ein paar potenziellen Steuererhöhungen, nicht mehr.