Heraus zum ersten Mai – im Taxi!

Manchmal gibt es so Entscheidungen, die man sich schwer macht.

Der erste Mai ist für mich jetzt 6 Jahre lang der einzige Feiertag gewesen, zu dem ich immer frei genommen habe. Alle anderen hab ich immer auf der Vielleicht-Liste gehabt. Ich bin schon an Weihnachten und Ostern gefahren, Silvester sowieso. Die meisten anderen Feiertage bemerke ich ohnehin immer erst zwei Tage vorher am Ladenöffnungszeitenschild am Kaiser’s. Aber am ersten Mai war Demo und abends vielleicht noch ein kleiner Umtrunk mit Freunden.

Ich hatte nicht vor das zu ändern, werde es dieses Jahr aber dennoch tun.

Zum einen ist da natürlich das mit dem Geld. Das ist rar gerade und der erste Mai ist zudem ein umsatzstarker Tag. Beides gute Argumente, aber keine, die mich in den letzten Jahren am Freimachen gehindert haben. Und irgendwie hätten wir uns die paar Bier in der Kneipe, die Falafel und die Taxifahrt nach Hause auch aus den Rippen leiern können, ich will jetzt ja auch nicht übertreiben.

Zum anderen ist da aber auch eine gewisse Unzufriedenheit mit der Linken in Berlin. Jetzt mal abgesehen von den wie bei allen Vereinen, Parteien und Bewegungen existenten Konflikten mit der eigenen politischen Überzeugung. Das letzte Jahr war voll mit linken Themen und bei keinem sieht es irgendwie gut aus. Der ganze Pegida- und Nazirotz, die fortlaufende Überwachungsaffaire und nicht zuletzt die Flüchtlingskatastrophen an der europäischen Grenze. Und ich weiß, dass das alle, die um 18 Uhr in Kreuzberg sein werden, interessiert und ich mit ihnen auf einer Wellenlänge liege, keine Frage.

Aber anstatt das zu thematisieren, wird auf die Straße gegangen wegen der Gentrifizierung.

Und um das klarzustellen: Die ist zweifelsohne ein riesiges Thema, gerade in Berlin. Das zu thematisieren ist großartig, und hey: selbst hier in Marzahn steigen die Mieten bereits heftig.

Trotzdem habe ich ein Problem mit dem Aufruf der radikalen Linken Berlin. Unter dem an sich wunderbaren Plakat mit der markigen Aufschrift „Wir sind ÜBERALL“ wird dann bemängelt, wie sozial schwache Gruppen „aus Kreuzberg, Friedrichshain, Neukölln verdrängt werden“, um daraufhin anzufügen:

„Jenseits der Innenstadtbezirke lebt man in den Plattenbausiedlungen von Hellersdorf, Marzahn, Köpenick, Neukölln-Britz ohne den Charme, den Berlin sich so gerne auf die Fahnen schreibt, in einem noch viel graueren Alltag, der nicht selten von Armut und Perspektivlosigkeit geprägt ist.“

Und daran ändern wir bitte was genau, wenn wir Kreuzberg, Friedrichshain und Neukölln vor Luxusappartements beschützen?

Natürlich hab ich mir meine Bude in Marzahn auch aus Geldgründen gesucht, aber es würde mir ehrlich gesagt nach den Nazieskapaden der letzten Monate wesentlich besser gefallen, wenn einige Linke nach Marzahn ziehen würden, als dem Wunsch hinterherzuhecheln, für mich in Kreuzberg eine Wohnung zu finden. Wie kann man unter dem Motto „Wir sind überall“ auf die Straße gehen, um dort dann zu jammern, dass man seine Altbauwohnung in einem In-Bezirk nicht verlieren will?

Aber klar, dass in Marzahn die Welt nicht heil ist, liegt daran, dass hier die Fassaden ein paar Stockwerke höher sind, nicht etwa daran, dass selbst der radikalen Linken nichts besseres einfällt als das Wohnen in einem Außenbezirk gleich mal zu stigmatisieren und alles außerhalb des Einzugbereichs des eigenen Spätis vorsichtshalber aufzugeben, weil man dorthin ja 8 Stationen mit der S-Bahn fahren müsste. 16 Minuten Fahrtzeit ab Warschauer Straße, also bitte, wo leben DIE denn?
Und ratet mal, wer bei den Naziaufmärschen in Marzahn nicht sicher nach Hause kommt! Richtig, ich in Marzahn – weil die An- und Abreise natürlich aufs Ostkreuz optimiert wird.

Sorry, liebe Berliner Linke, ich bin in meinem Leben schon mehrere hundert Kilometer gefahren, nur um kleine Naziaufmärsche zu verhindern und ich hab auch oft genug gegen Gentrifizierung demonstriert – aber ich werde mich jetzt nicht auf den Weg in eure kleine Welt machen, um mir blödsinnige Vorurteile über mein Leben anzuhören, bloß weil ich nicht in Eure Nachbarschaft gezogen bin. Grüßt Eure Stuckverzierungen von mir, wenn Ihr an Eurem Fenster vorbeilauft!

3 Comments

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3 Responses to Heraus zum ersten Mai – im Taxi!

  1. Mic ha

    Das ist ein feiner Gedanke.
    Und es zeigt wie sehr egozentrisch diese Gentrifizierungsdebatte mittlerweile ist. Ich stand im Freien Neukölln (das es nicht mehr gibt, da ein Ägypter ein weiteres seiner Restaurants draus machen will) und hab mich mit der Freundin des Chefs unterhalten. Ich hatte das Video auf youtube im Kopp, in dem die Verantwortlichen des Ladens auf englisch Menschen auf der Straße ungefragt abfilmten und sie als zugezogene Parasiten beleidigten. Und sie für diese verwerfliche Welt verantwortlich machten. Während ich mit der Frau quatschte, hat sie mir erzählt, dass sie aus Liverpool kommt. Als ich sie darauf ansprach, meinte sie, dass sie eine aber eine „arme Liverpoolerin!“ sei. Fucking hell.
    Die Sache ist ja wichtig. Neukölln ist in der Weserstraße nicht mehr Neukölln. Es hat sich komplett geändert (übrigens vom Freien Neukölln ausgehend). Davor wars ein Arbeiterbezirk, trostlos, die Leute wollten ihre Ruhe haben, den Staub, der damals in der Luft hing: unbeschreibbar. Und nun rennen übermodische Vollidioten rum und alles wird schicker und teurer. Ob das gut ist, ist auch schon ne diskussionswürdige Frage?
    Aber dieser Gentrifizierungskampf ist ein Konkurenzkampf der Mittelklasse-Kiddies, die sich selbst bekämpft. Neuköllner Armeweichte sind da nur im Kreuzfeuer. Wir ham noch alte Neuköllner Mieten zu zahlen, aber um uns rum ziehen monatlich alte Mieter aus, hier steht keiner zum Protest, lieber wird das „Ä“ mit „scheiß Yuppies“ vollgetagt.
    Es geht den Diskutanten um ihren eigenen Wohnungsplatz.
    Aber eh: die Sache ändert sich doch eh nicht. Kein Immobilenbesitzer wird sich je nicht für ökonomische Vorteile entscheiden. Und diese Mietpreisbremse juckt niemanden.

  2. @Mic ha:
    Man sollte der Fairness halber schon anmerken, dass es natürlich nicht alle so halten. Und so wie die Gentrifizierung ein schwieriges Thema ist, so sehr gehen auch in der Linken sicher die Debatten auseinander.
    Und das Problem sind meiner Meinung auch nicht ein paar Besserverdienende, die in einen „Arbeiterbezirk“ ziehen. Dieses sich einen auf die Proletariatszugehörigkeit einen runterholen fand ich schon immer albern, denn ganz ehrlich: In dem von dir besungenen staubigen armen Kiez will ja auch keiner leben. Der Späti und die Kneipe am Eck müssen halt schon sein, nicht wahr?
    Meines Wissens nach hat noch jede Studie mehr oder weniger belegt, dass eine Durchmischung den Vierteln gut tut, und ich halte das für plausibel. Im Optimalfall sollte es ja nicht darum gehen, dass der eine dem anderen irgendwas neidet, sondern dass alle Seiten ein Problembewusstsein entwickeln. Und das entwickelt sich eben beim Miteinander. Das Problem beginnt eigentlich ja erst dort, wo „Reiche“ derart oft zuziehen, dass sie irgendwann die anderen verdrängen und es als „ihr Recht“ sehen, in einem „sauberen, aufgeräumten“, auf ihre Bedürfnisse zugeschnittenen Kiez zu leben. Ich neide niemandem seinen Porsche, aber wenn binnen 2 Jahren zehn Wohnungen zugunsten von Carlofts geräumt werden, könnte das halt Ausdruck eines Problems sein.

    Die Mietpreisbremse ist sicher nicht wirklich ein geeignetes Werkzeug – aber ich bin ehrlich gesagt schon überrascht genug, dass das Thema es in der Politik soweit nach oben geschafft hat, dass immerhin dieser erste Schritt gewagt wurde.
    Das Problem der Gentrifizierung ist ernst, aber dabei geht es nicht um diesen oder jenen einzelnen Stadtteil. Ja, vielleicht ist Neukölln diesbezüglich „verloren“, wie viele andere Viertel in vielen anderen Städten auch. Ich will das nicht gutheißen und natürlich sollte man versuchen, dem Einhalt zu gebieten. Aber dieses Versteifen drauf, dass unbedingt Neukölln und Friedrichshain die Welt sind und man alles dahinter ja eh vergessen kann, ist eben dumme Egozentrik. Jeder Stadtteil hat etwas zu gewinnen und zu verlieren – aber am Ende geht es um die Leute. Selbst Marzahn könnte ein richtig geiler Stadtteil sein, wenn hier nicht nur arme Leute hinziehen, oder insbesondere solche, die wirklich ausweglos sind. Hier ließe sich mit ein paar engagierten Leuten sicher dieses oder jenes reißen. Aber wenn die lieber in Friedrichshain rumjammern …

  3. Mic ha

    Absolut richtig und ich hab da auch kaum was hinzuzufügen. Außer dass ich versuche, diesen Zuzug ebenfalls wertfrei zu erachten und die mitunter früher verspürte Trostlosigkeit des Arbeiterbezirks Nord-Neuköllns ebenfalls ktitisch betrachtete. Es gibt da kein wirkliches Fazit meinerseits und dementsprechend kein nostalgisches Gefühl, was den früheren Umstand des Bezirks betrifft.
    Was aber ist: Das Feiervolk inner Weser (zu der ich mich mitunter auch zähle, also ists vermutlich nicht ganz ungeheuchelt) verhält sich zum ‚Früher‘ wie die Axt im Walde. Dass da die Leute stöhnen, kann ich schon nachvollziehen. Laut, vollpissend, penetrant. Das ist wohl das Carloft des Bezirkes. Neu und radikal umwandelnd.
    Aber wie will man das steuern? Wie spießig ist es, sich über ne Kneipenmeile aufzuregen?
    Keine Ahnung.

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