Er sah mich verstohlen an, deutete auf meine Feierabendkippe und fragte:
„Cigarette?“
Ich hab ihm eine gegeben. Er war ein Typ um die 50, in kurzen Hosen und Sandalen bei 11°C mit einem leicht verwaschenen „We will rock you!“-Aufdruck vor der Silhouette von Freddie Mercury auf dem T-Shirt. Ich hätte ihn längst vergessen, wie er mir da am Bahnhof Schöneweide als nur einer von vielen Leuten über den Weg gestolpert ist. Ich erinnere mich aber, weil er fünf Minuten später neben mir stand, offensichtlich umgekehrt von seinem Fußmarsch in Richtung Adlershof.
Dieses Mal faltete er schwankend einen S- und U-Bahn-Plan von Berlin aus, deutete auf den S-Bahnhof Landsberger Allee und fragte mich etwas in einer Sprache, die ich nicht verstand. Gut, es war offensichtlich, dass er da hin wollte, aber betrunken wie er war, quasselte er mich fortwährend zu, bis er stolz mit beiden Daumen auf sich zeigte und sagte: „Lettland!“
Von Schöneweide fährt eine S-Bahn zur Landsberger Allee, allerdings nicht montagmorgens um 3 Uhr. Da ist Ost-Berlin eben mal mehr Osten als Berlin. Also hab ich mir gedacht: Bevor der Typ jetzt doch noch in die falsche Richtung wandert, verklickerste ihm den Weg mit der Straßenbahn. Die M17, dann die M6 – so schwer isses ja nicht – zumal es meine Bahnen waren und zumindest auch die Umsteigehaltestelle dieselbe sein würde. Das konnte ich ihm zuvor schlecht erklären, da die Straßenbahnen ja auf den S- und U-Bahn-Karten nicht abgebildet sind …
Als ich ihm in der M17 den Plan zeigte, winkte er ab und tat so, als hätte er alles verstanden:
„Rhinstraße. Jaja. Rhinstraße!“
Also hat er sich hingesetzt und ist eingeschlafen. Und natürlich ist er nicht wieder aufgewacht. Also hab ich ihn ernsthaft wachrütteln müssen, als es ans Umsteigen ging. Was man halt so macht für Fremde, die einen um eine Zigarette anschnorren. Die anderen Fahrgäste in der Bahn haben mich schon komisch angeschaut, so heftig musste ich den Kerl durchschütteln.
Als er dann etwas verplant mit mir ins Freie getapst ist, hab ich ihm nochmal eine Kippe angeboten und versucht, ihm zu erklären, dass er jetzt die M6 von diesem Bahnsteig nehmen müsse und dann in 10 Minuten am Ziel sei. Er lächelte, deutete mit einem Arm die Rhinstraße Richtung Süden – wo wir herkamen – und fragte:
„Sechs?“
„Ja, sechs, M6!“,
meinte ich und wies ihn auf den Bahnsteig, sowie seine eigentliche Fahrtrichtung gen Westen hin. Er aber widersprach mir, deutete weiter Richtung Süden und machte mir mit Händen, Füßen und vereinzelten Wortfetzen „verständlich“, dass sein Ziel nur ein paar hundert Meter in diese Richtung läge. Und dann ist er davongewankt.
Vielleicht musste er nicht zum S-Bahnhof. Vielleicht war er nicht einmal Lette. Ich hab nicht den Hauch einer Ahnung. Ich hoffe jetzt, wo ich in meiner warmen Wohnung am PC sitze, einfach mal, dass er noch angekommen ist, wo er hinwollte. Sonderlich sicher bin ich mir dabei aber nicht …