Fahad und Mossam

Wie sie nach Marzahn kommen würden, haben sie etwas ungelenk gefragt. Hätte ich mein Taxi nicht vor ein paar Minuten abgestellt, wäre das eine simple Sache gewesen – andererseits hab ich auch an der Bahnhaltestelle dasselbe gesagt:

„Come with me.“

Die Verständigung war mehr als mäßig, mit etwas Glück kamen wir auf 20 Worte, die wir alle gleichzeitig verstanden – auf Englisch und Deutsch zusammen. Für etwas Aufklärung hat dann der kleine Zettel gesorgt, den mir einer der beiden hingehalten hat: Die Notunterkunft in der Bitterfelder Straße. Damit waren zwei Dinge halbwegs klar:

  1. Es waren wohl Geflüchtete.
  2. Ich hatte keine Ahnung, wie sie bis zur Bitterfelder kommen sollten.

Irgendwer cleveres hatte ihnen geraten, die S7 zu nehmen – was ich auch getan hätte, hätte die S-Bahn nicht seit einer Stunde Betriebsschluss gehabt. Und straßenbahnmäßig ist da oben mal eine verdammt tote Ecke. Während des Umsteigens in die M6 haben wir ein wenig versucht uns zu unterhalten, was nach wie vor nicht sonderlich einfach war. Das mit den Namen haben wir geklärt gekriegt: Sascha, Fahad und Mossam. Darüber hinaus, dass es scheiße kalt ist – und nicht zuletzt, wie man die Minutenanzeige an der Haltestelle auf Deutsch liest.

Ich hatte zu der Zeit eigentlich schon beschlossen, dass ich sie am Bahnhof Marzahn in ein Taxi verfrachten würde – ggf. wäre ich selber mitgefahren und anschließend noch nach Hause. Wäre nicht die Welt gewesen. Aber da ich den beiden irgendwie via Google Maps ein Bild von derLage machen konnte und sowieso kein Taxi am Bahnhof stand oder gerade vorbeikam, hab ich die beiden dann doch laufen lassen, so ermutigt wie sie inzwischen waren.

„You’re sure you find it?“

„Find it!“

Fahad grinste und machte mit den Fingern das Zeichen, das ich ein paar Minuten vorher verwendet hatte, um den Begriff „laufen“ zu verdeutlichen. Zwei grinsende Syrer in Jogginganzügen in einer Dezembernacht in Marzahn. Hätte man sich vor zwei Jahren vermutlich nicht einmal ausdenken können, dieses Szenario.

Und irgendwo ist das auch so völlig egal. Obwohl ich selbstverständlich nach den 20 Minuten keine Ahnung hab, was Mossam und Fahad so für Menschen sind – das hinzunehmen ist mir bei den beiden nicht schwerer gefallen als bei dem seltsamen Letten vor einer Weile oder den vielen kuriosen Typen, die mich tagein tagaus als Taxifahrer nach dem Weg fragen.

Ich denke manchmal, dass das der aktuellen Debatte über Geflüchtete immer noch zu sehr fehlt. Es geht nicht um Zahlen oder massenmedientaugliche Geschichten über die Heldentaten irgendwelcher Einzelner. Es sollte nicht darum gehen, wie viele supergute oder extrem böse Menschen irgendwo Teil dieses Komplexes „Flüchtlingsdrama“ sind. Es würde eigentlich schon reichen, mal zu erkennen, dass es trotz der Masse und trotz allen dabei anfallenden Extremen einfach Menschen sind. Auch Menschen, die einfach mal nachts durch die Stadt latschen, weil sie die letzte Bahn verpasst haben. Menschen, die abgesehen von vermutlich bittersten Erfahrungen „irgendwo da draußen in der Welt“ einfach genau die gleichen Probleme – aber auch Freuden – haben wie wir auch. Mossam und Fahad heute haben sich verlaufen gehabt und waren froh, jemanden zu finden, der ihnen so grob den Weg zeigt. Keine Heldengeschichte und auch kein Horrorfilm, ganz normales Zusammenleben unter Menschen, auch wenn zwei davon noch ziemlich neu hier sind.

Mir tun die Menschen leid, die vor den beiden tatsächlich mehr Angst haben, nur weil sie aus Syrien und nicht aus Friedrichsfelde kommen.

10 Comments

Filed under Politik, Vermischtes

10 Responses to Fahad und Mossam

  1. Ben

    Komisch, der Artikel ist bei mir im feed reader nicht aufgetaucht. Nur gefunden weil du den verlinkt hattest in deinem „satz mit x“ dingem.
    Inhaltlich aber aufjedenfall richtig so!

  2. DrAnubis

    Bei mir auch nicht. Frage mich ob das öfter passiert..

    Gut geschrieben. Es gibt eigentlich nur zwei Arten von Menschen: Arschlöcher und keine Arschlöcher. Alles andere ist Beiwerk..

  3. Benny

    Ich würde mich auch freuen, wenn ich Emails zu neuen Einträgen hier kriege, mit GNIT klappt das super, aber hier kam ich nur durch den Satz mit X Beitrag her.

  4. @all:
    Ich muss mal checken, ob der Feed noch überall korrekt ausgeliefert wird. Was die Mails angeht: Soll ich hier wirklich ein Mail-Abo einrichten, @Benny?
    Kann ich tun, dachte bisher aber, dass dafür kein Bedarf existieren würde.

  5. mia

    Ich arbeite in einer Erstunterkunft in NRW. Was du schilderst, kenne ich auch gut – ja, es sind normale Menschen, mit guten und schlechten Seiten, allerdings in einer Extremsituation, aus der sie nur rauskönnen, wenn sie mal die Unterkunft verlassen- was viele sich selten genug trauen. Wenn man ihnen dann mit einer „die Flüchtlinge“-Attitüde entgegentritt (sie also entweder zu freundlich oder zu unfreundlich behandelt), wirds immer gekünstelt, und der Abstand voreinander bleibt. Aber wer weiss, wie es in ein – fünf Jahren ist, wenn es normal geworden ist, ihnen zu begegnen.

  6. @mia:
    Ja, das kann ich mir vorstellen.
    Für mich kann ich sagen, dass es dieses Mal keineswegs irgendeine gekünstelte Pro-Refugees-Aktion meinerseits war. Selbst, wenn das mit dem Taxi geklappt hätte. Das hätte ich bei deutschen Obdachlosen z.B. ja nicht anders gehalten.
    Natürlich fand ich die zwei interessant. Und ich hätte mich sehr gefreut, mehr von ihnen zu erfahren. Aber das geht mir schon von Berufs wegen ja auch mit mittleren Verwaltungsangestellten so. Ich interessiere mich für das Leben anderer Menschen und ich versuche, nett zu ihnen zu sein und zu helfen. Mal mehr, mal weniger erfolgreich. Was die heutigen Flüchtlinge angeht, hoffe ich natürlich sehr auf eine Entspannung derer Situation. Ich werde entsprechend also noch mehr – und sicher bessere – Möglichkeiten haben, mit Syrern in Kontakt zu kommen. Ich für mich finde das völlig wertneutral (mit einer leicht positiven Verschiebung in die Richtung „neues kennenlernen“) ok.

  7. Bei mir ist der Feed durch gegangen. Ich lasse mir die Feeds alle mit Blogtrottr ins Mailfach senden.

    Zum Artikel:

    Das ist doch einfach eine schöne Geschichte.

    Mir fällt in letzter Zeit leider auch immer mehr auf wie die Medien einem unbewusst Angst in den Kopf pflanzen. Als gestern ein „Typ“ mit einem Turban in die Bahn eingestiegen ist haben alle geglotzt und darauf gewartet dass er gleich die Knarre raus holt oder was auch immer.

    Schön dann auch mal von der anderen Seite zu hören.

    Grüße aus Dresden

    Philipp

  8. @Philipp:
    So dachte ich mir das mit dem Feed eigentlich auch. Aber gut, weitere Nachfragen kamen ja auch nicht …
    Und schön, dass Du einer von jenen bist, die sich für alle Seiten interessieren!

  9. mia

    @ Sash ja, Kennenlernen ist eigentlich gar nicht so schwierig. Die Ressentiments allerdings sind schon immens, gerade jetzt auch wieder mit den Artikeln der Silvesternacht in Köln, das nicht so weit von uns weg ist. Ich muss morgen mit einem Großteil unserer Bewohner zum Röntgen. Wir werden zu Fuß laufen (ca ne halbe Stunde durch unsere Stadt). Ich ahne jetzt schon, was wir für Blicke auf uns ziehen werden. Schließlich sind es um die dreißig Erwachsene, fast alle Männlich. Bisher ist dafür immer ein Bus geordert worden, aber diesmal soll es halt zu Fuß sein. Ich bin gespannt, ob und welche Reaktionen es gibt.

  10. @mia:
    Ja, das ist überhaupt ziemlich schlimm gerade. Ich bin jetzt sicher nicht der größte Optimist auf diesem Planeten, aber hätte mir 2013 jemand gesagt, dass der Rassismus in Deutschland nochmal so gesellschaftsfähig und selbstbewusst daherkommen würde – ich hätte es nicht geglaubt. Und natürlich weiß ich, dass rassistische Ressentiments und Gedanken weit verbreitet sind, aber eben diese Allgegenwärtigkeit hätte ich selbst bei einem so hohen Flüchtlingsaufkommen in Deutschland kaum mehr erwartet. Und dass Köln da jetzt Öl ins Feuer ist, das ist klar. Leider. Ich hoffe, Euer Ausflug ist gut verlaufen.

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