Ja, ich würde das ewige Vergleichen in der Debatte über Asylsuchende auch gerne meiden. Ich würde auch gerne einfach ganz vernünftig sagen:
„Hey, die Welt ist offenbar scheiße. Zu den einen mehr, zu den anderen weniger. Und von ersteren suchen derzeit viele Hilfe in Deutschland – und lasst uns doch mal drüber nachdenken, wie wir als eher vom Glück Begünstigte da sinnvoll mit umgehen können.“
Und ich würde gerne das ganze Begleitprogramm fahren und auf regenbogenpupsende Einhörner auf grünen Wiesen setzen und hoffen, dass das auch die letzten Schreihälse friedlich stimmt. Stattdessen kommt als Antwort außerhalb der eigenen Filterbubble natürlich immer nur Hass. Und untermauert wird der mit (ohnehin meist erfundenen) Geschichten darüber, wie schlecht all die Flüchtlinge für Deutschland sind, wie schlimm die Menschen sind, weil sie nicht von hier kommen, wie schlimm das ist, weil es doch ach so schlimm ist. Diese Geschichten halt. Jede Schlägerei in einer Flüchtlingsunterkunft wird als Beweis hergezogen, dass (zum Beispiel) Muslime einfach unzivilisiert sind. Und, seien wir ehrlich: Egal, wie linksversifft oder rechtsaußen wir sind: Das ist doch plausibel! Man selbst würde sich ja niemals grundlos prügeln. Prügeln vielleicht ja, aber grundlos? Das liegt natürlich an der „südländischen Mentalität“ und sowas.
Klar, mit etwas mehr Interesse am Lesen der Buchstaben neben den Bildern von verwüsteten Zelten könnten wir alle auf die Idee kommen, dass Menschen vielleicht ähnlich wie Hühnchen nicht sonderlich gemacht sind für perspektivlose Massenunterbringung. Aber wer hat jemals schon irgendwas gelesen, was einem nicht in den Kram passt?
Liebe „Besorgte“: Ich hab als Gutmensch in letzter Zeit eine Menge gelesen, was mir nicht in den Kram passt. Jede Menge rechte Seiten, auf denen o.g. gepostet wurde. MIR wäre das nicht eingefallen, glaubt mir bitte!
Und da der Holzhammer gerade angesagtes Kommunikationsmittel der Wahl ist, hab ich mich ernstlich über einen Tweet von Jan Böhmermann gefreut, der gestern wie folgt aussah:
MÜSST IHR LESEN: Flüchtlinge benehmen sich wie die SAU!! UNGLAUBLICHE STORY!! https://t.co/z4QYCOvP69 #hyposparty ICH BIN KEIN NAZI, ABER…
— Jan Böhmermann (@janboehm) 25. Februar 2016
Und er hat Recht: Das sollte man sich mal durchlesen!
Der dort verlinkte Artikel aus dem Spiegel von 1990 liest sich wie eine Blaupause der derzeitigen Probleme: Deutschland kann das alles nicht verkraften, sollte die Grenzen schließen, bricht zusammen. All die Flüchtlinge bedrohen den Wohlstand, finden keine Bleibe, nutzen das Sozialsystem aus. Noch schlimmer: Sie sind undankbar, prügeln sich in den Unterkünften, belästigen Frauen, werden sonstwie gewalttätig.
Nur, Kenner der Geschichte werden es anhand des Datums erahnt haben: Es ging hier beileibe nicht um Muslime oder „Nordafrikaner“. Es ging hier um Ostdeutsche. Teilweise also sogar um Sachsen. So wie heute Teile der Sachsen den selben Scheiß verbreiten. Ironie der Geschichte, was?
Ebenso wie Syrern unterstelle ich selbstverständlich auch den Sachsen nicht aufgrund ihrer Abstammung irgendwas schlimmes. Dieses Messen mit zweierlei Maß überlasse ich immer noch den Rechten. Der Punkt ist: Dieser Bericht von 1990 zeigt recht eindrucksvoll, dass man immer, wenn man Menschen in Extremsituationen verblendet unter die Lupe nimmt, die wundersamsten und abscheulichsten Dinge beobachten kann. Analog zu Flüchtlingsgeschichten könnte man auch psychologische Experimente anschauen: Das Stanford-Prison-Experiment z.B., um nur das bekannteste zu nennen.
Und wenn wir das dann alles durchgelesen haben: Liegt es jetzt wirklich in der (ost-?)deutschen Natur, sich gegenseitig zu verprügeln oder besoffen auf die Bettlaken anderer Leute zu pinkeln?
Ich habe die Vermutung, selbst der ein oder andere überzeugte Nazi hätte plötzlich ein Problem mit dieser Theorie. Was schwierig für ihn werden dürfte, denn wie ich bereits oben umrissen habe: Der Spiegel-Artikel (Und ja, liebe Nazis: 1990 hatte der Spiegel noch eine deutschlandweit anerkannte Qualität!) ist für diese Theorie der selbe „Beweis“ wie die derzeit diskutierten Postings über syrische Geflüchtete auf Facebook.
Und damit zu einem gleichermaßen erwartbaren wie dennoch eindeutigen Fazit: Nazis sind mitnichten Scheiße, weil sie eine andere Meinung als ich haben. Das dürfen sie gerne weiterhin. Nazis sind Scheiße, weil ihr Ziel darin liegt, bar jeder Faktenlage andere Menschen für minderwertig zu erklären, nur weil sie nicht wahrhaben wollen, dass sie nicht besser sind als wir anderen auch. Und weil sie wider besserem Wissen darauf beharren. Und das ist nun mal die weltweit anerkannte Defintion von Arschlöchern, was soll man da machen?
PS: Dagegenhalten! Immer wieder!
Ich will nicht nur über diese Scheiße bloggen, die so offensichtlich ist. Aber in Zeiten, in denen rechte Gewalt alltäglich ist, in der am Ende dann doch auch die Regierung das Asylrecht erkennbar unnötig verschärft: Wir dürfen diesen Arschlöchern nicht die Diskurshoheit überlassen, nur weil Facebook sich noch zu fein ist, alle Nazikommentare zu löschen! Diese peinlichen Jammerlappen und unzufriedenen Rechercheunfähigen sind NICHT „das Volk“!
NAZIS FUCK OFF!