Gefühlte Verluste und sofortige Verbrechen

Mir fällt ja kaum noch was ein zu all den ekligen rassistischen An- und Übergriffen in Deutschland. Und obwohl’s mich interessiert, hab ich den Großteil nicht einmal mitbekommen in letzter Zeit, weil’s so langsam ja zu einem alltäglichen Rauschen geworden ist, wenn irgendwo ein Haus angezündet wurde, Menschen bedrängt wurden oder widerliche Hetze mit Mordaufrufen irgendwo aufgetaucht ist.

Obwohl’s glücklicherweise meist immer noch berichtet und verurteilt wird.

Ja, eine Aufarbeitung gibt es glücklicherweise – und obwohl ich sie mir hier und da besser vorstellen könnte und auch seitens der Politik viele fatale Fehler gemacht werden – im Vergleich zu beispielsweise Rostock ’92 funktioniert die Zivilgesellschaft hier und da noch weitgehend. Sachliche Widerlegungen der dümmsten Nazi-Argumente gibt es zuhauf, das Debunking von Falschmeldungen läuft auf Hochtouren und jeder mit einem Funken Restskeptizismus muss nicht der menschenverachtenden Seite anheim fallen, sondern hat die Chance, sich nochmal zu überlegen, ob die eigene Weltanschauung sich mit der Wirklichkeit verträgt. Im Rahmen der sachlichen Auseinandersetzung sind so viele gute oder zumindest halbwegs gute Texte erschienen, die ich einfach deswegen nicht verlinke, weil sie zu zahlreich sind.

Ich möchte mich daher bei diesem Kommentar mit einem oft nebensächlichen Aspekt der Debatte beschäftigen, nämlich der Feststellung, was für erbärmlich scheinheilige Widerlinge die derzeit die politische Debatte mitprägenden Freizeit-Nazis sind.

„Gut, dass wir widerlich sind, hören wir dauernd!“, werden da jetzt einige Nazis sagen, aber mir geht es erst einmal nicht um das rassistische Gedankengut an sich. Ich hab schon verstanden, dass man, sobald man sich „sorgt“, Angst vorm „schwarzen Mann“ haben soll.

Nein, was in meinen Augen ein sehr interessanter Teil der Argumentation der Ich-bin-ja-kein-Nazi-aber-Nazis ist: Dieses Herumwedeln mit der deutschen Ordnung und mit der Sicherheit. Denn wenn man den ach so heimatverliebten Vorzeigedeutschen Glauben schenkt, dann geht es ja gerade nicht um Rassismus, sondern nur darum, dass „die Flüchtlinge“ anders sind als „wir Deutschen“. Was zwar Rassismus in Reinform ist, aber wer schert sich schon um Fakten? „Anders“ bedeutet natürlich kriminell und asozial und und und. Kurz: „Die“ stören den Frieden in „unserem schönen Land“.

Dieses Schüren von Ängsten vor dem Unbekannten hat natürlich System und bedient sehr durchschaubar niedere Instinkte, die ziemlich wenig mit Hochkultur gemeinsam haben – aber es überführt die sich selbst als „gemäßigte Patrioten“ (oder was auch immer) bezeichnenden Randgestalten doch der völligen Inkompetenz.

Denn auch ohne allzu polemisch zu sein, kann man gerade schön beobachten, wie Ordnung und Sicherheit gerade von den Rechten völlig demontiert werden. Wenn man sich die Vorfälle in Clausnitz z.B. anschaut, dann wird klar, dass ohne rechte Pöbler einfach ein Bus durchs Dorf gefahren wäre (das ist sicher auch dort schonmal passiert!) und ein paar Menschen in ein Haus eingezogen wären. Daraus hätte sich sicher kein Drehbuch für eine Tatort-Folge machen lassen, egal wie langweilig die meisten davon ohnehin sind.

Und auch in Bautzen wären irgendwann einfach ein paar neue Menschen eingezogen. Ohne die ordnungsliebenden Deutschen hätte es dort keinen Brand gegeben und auch die (gute deutsche) Feuerwehr wäre nicht beim Löschen deutscher Qualitätsarchitektur behindert worden.

Überhaupt: Massenhafte Ansammlungen von betrunkenen und aggressiven Menschen! Hat Köln uns nicht gelehrt, dass das keine so tolle Idee ist?

Mal im Ernst, liebe „besorgte Bürger“: Keiner bezweifelt, dass es auch unter Flüchtlingen das ein oder andere Arschloch gibt. Aber wie betriebsblind muss man bitte sein, um brennende Häuser zu bejubeln, weil man Kriminalität verhindern will? Noch besser: Wie rechtfertigt man das Rumpöbeln auf der Straße, wenn der erklärte Zweck ist, dass einen „die anderen“ nicht im Alltag stören?

Und kommt jetzt bloß nicht mit den Linken! Ja, die zünden auch mal Autos an und prügeln sich mit den Cops. Aber der Witz ist: Die wollen gerne ein bisschen mehr Chaos, weniger Ordnung und weniger Überwachung. Ihr dürft das gerne falsch finden, aber das ist in sich wenigstens vergleichsweise stimmig.

Im Grunde ist es wirklich dermaßen billig: Die Rechten (in all ihren Schattierungen) nutzen die (größtenteils an den Haaren herbeigezogenen) Theorien über potenzielle Gefährungen des Gemeinwohls, während sie gleichzeitig genau selbiges gefährden. Ein Haus, in dem Frauen und Kinder wohnen, anzuzünden ist völlig ok, weil das die Vergewaltigung von Frauen verhindern könnte! Ja, nee … is‘ klar.

Die Erklärung für dieses Verhalten ist natürlich nicht schwer zu finden. Natürlich geht es einfach nur um absolut reinen und unverfälschten Rassismus. Es geht nur darum, dass Flüchtlinge eben kein Recht auf ein friedliches Leben wie „wir“ hier haben. Dass von „denen“ ja ruhig einer sterben kann, bevor er hier z.B. eine Sozialleistung in Anspruch nimmt.

Und genau das wollte ich aufzeigen. Ich habe nicht die Hoffnung, viele „Besorgte“ damit zu erreichen. Aber ich wollte klarstellen, dass sich auch kein Ich-hab-DAS-doch-nicht-gewollt-Bürger  hinter dem vermeintlich gut gemeinten Derailing um „Recht und Ordnung“ verstecken kann.

Natürlich stellt uns eine größere Zuwanderungswelle wie die jetztige vor neue Aufgaben. Sie wird positive und negative Folgen haben, schon klar. Aber jetzt Verbrecher zu bejubeln, in der Hoffnung, sich irgendwo anders ein paar Verbrecher zu ersparen … echt jetzt?

8 Comments

Filed under Politik

8 Responses to Gefühlte Verluste und sofortige Verbrechen

  1. Sam

    Es kommen jetzt die Generationen, die sowas selbst nicht erlebt haben.
    Ich habe es zum Glück auch nicht. Aber ich weiß, dass ich einen Großvater habe, der damals aus Ostpreußen geflohen ist. Und dass er vor der Flucht ein Zuhause und einen Bruder hatte und danach nicht mehr. Der kann diese ganzen Hass-Aktionen übrigens auch nicht verstehen. Vielleicht sollten diese Leute weniger auf ihr Bier und ihre „Sorgen“ hören und mehr auf die Geschichten, die bestimmt irgendeiner ihrer älteren Verwandten über die Flucht aus der Heimat erzählen kann.

  2. Lyra

    Vor allem Dingen schaden sie sich selbst damit. Denn mal ganz davon abgesehen, das es menschlich einfach nur abartig ist, will doch auch keiner mehr nach Sachsen ziehen. Außer den Flüchtlingen kommt keiner mehr hin. Hier mal ein Link der mir letztens zu geschickt wurde:
    https://plus.google.com/+KristianK%C3%B6hntopp/posts/G8rwuH2mmuF

    Und ich kann es verstehen. Ich komme vom Land, da meine Vorfahren es nicht weit von ihrem Heimartort weg geschafft haben über Generationen (Keine Ahnung wieso man darauf stolz sein sollte), würde ich auch – so lange ich den Mund halte – gefahrlos da leben können, aber da leben wollen? Ne, danke so viel kann man mir nicht zahlen.

  3. @buntklicker.de:
    Danke.

    @Sam:
    Das ist in der Tat ein wichtiger Punkt. Ich gehöre ja selbst zu der Generation. Gut, ein paar Geschichten, wie meine Oma ihre geflüchteten Eltern nach dem Krieg mitversorgen musste, hab ich gehört. Aber da ging’s um eine Zeit, in der es noch nicht für Wohnungstüren gereicht hat – was hat das mit mir zu tun?
    Ich glaube in der Tat, dass unser Glück, in einer derart friedlichen und satten Umgebung (ja, selbst mit wenig Geld oder mit anderen Problemen) aufgewachsen zu sein, bei der Flüchtlingsdebatte jetzt von Nachteil sein könnte. Es gibt sicher eine Menge Menschen da draußen, die aufgrund ihrer Lebenserfahrung der Meinung sind, ein paar Euro mehr Steuern oder drei Straftaten mehr pro Jahr in ihrem Dorf seien die größten Probleme, die es geben könnte. Krieg ist schließlich Fernsehen, ganz so schlimm kann’s in echt ja kaum sein. Und, auch meine Theorie: Wahrscheinlich unterschätzen viele Nazis ganz massiv, wie sehr sie mit dummem Rumgeprolle tatsächlich die Gesellschaft zum schlechten verändern können. Als ob die sich nicht auch an den Frieden gewöhnt haben und als ob gerade den Lautesten unter ihnen am Ende ein faschistischer Staat nicht ebenso auf die Füße fallen würde – sei’s wegen der schlechten Wirtschaft oder weil „das gesunde Volksempfinden“ hier und da halt doch mal nicht so hundertprozentig der eigenen Meinung entspricht …

    @Lyra:
    Das Schlimme daran ist: Selbst auf diesem Wege schaden sie überwiegend doch anderen. Selbst in Sachsen ist es am Ende ja eine große Mehrheit, die zumindest mal die heftigsten Auswüchse keineswegs mitträgt. Aber von so Sachen wie Abwanderung oder ausbleibendem Tourismus sind die ja auch ganz massiv betroffen.

  4. Immerhin ist die Ideologie dann aber auch in der Lage für die wegbrechenden Perspektiven im Tourismus und der Industrie eine einfache erklärung zu liefern.
    Die „Anderen“ sind Schuld. So als „…aber“-Nazi ist man doch nie an irgendetwas Schuld, man ist immer Opfer. Und ohne das wäre man ja auch Opfer, einfach aus Prinzip.

  5. @Roichi:
    Das ist das mindestens Zweitpeinlichste: Diese eklige Opferattitüde. Einer Menge Menschen widerfährt Unrecht und Ungerechtigkeit. Auch hierzulande. Aber anhören muss man sich das Gesülze von denen, die sich ihrer Grundrechte beraubt fühlen, ohne zu merken, dass sie derer nicht nur nicht beraubt worden sind, sondern von ihnen sogar ausgesprochen ausgiebig profitieren. Siehe z.B. „Meinungsfreiheit“.
    Aber ja, es ist bekannt, dass der Mangel an Selbstverwirklichungsgefühl (sorry, zu faul, den Fachbegriff zu googeln) einen schneller in Depressionen (und vermutlich auch Verschwörungstheorien) abgleiten lässt. Ich fühle mich von der CDU vermutlich weniger vertreten als irgendein Nazi, andererseits schränken „die da oben“ mich lustigerweise dann doch eher wenig in meinem Alltag ein …

  6. Jaja, mit Sachsen ist es wie mit den USA: schön isses da ja, aber die Leute…….

    Nein, aber mal im Ernst, es ist genau das was du schreibst was Ich auch nicht verstehe. Man begeht strafbare Handlungen um Verbrechen zu verhindern. Sehr sinnig.

    Im allgemeinen kann Ich hier in Dresden, zumindest außerhalb der etwas alternativen Kreise, immer wieder diesen die-passen-hier-nicht-her-Grundtenor erkennen.

    Man lebt hier in einer Gesellschaft die einfach vor allem Angst hat was „anders“ ist.

    Ich weiss nicht ob das nur damit zu erklären ist dass es hier früher keine Ausländer gab.

    Das ganze stimmt einen dann doch sehr nachdenklich.

    Grüße aus Dresden

    Philipp

  7. @Philipp:
    Da zeigt sich meines Erachtens nach eine sehr gefährliche Tendenz: Nämlich, „die da oben“, „das da draußen“ etc. einfach als gleichmäßige Fernsehunterhaltung (oder ähnliches) wahrzunehmen, weil es vor Ort „nicht passiert“.
    Ich muss da wieder an die Frau vom Dorf in meinem Taxi denken, die glaubhaft versicherte, sie hätte „bettelnde Zigeunerweiber“ für eine Erfindung des Tatorts gehalten, bis sie hier in Berlin eine gesehen hätte.
    Und sicher: Dunkelhäutige Menschen, Homosexuelle, Krieg … sowas gibt es in der Paarhundertseelengemeinde eher weniger, das verstehe ich sogar. Selbst in meinem Leben passiert Krieg z.B. gar nicht und ich muss mir erarbeiten, inwiefern das mit der Welt zu tun hat, die ich wahrnehme. In Sachsen – aber natürlich auch anderswo – scheint diese Entkopplung der realen und inzwischen globalisierten Welt vom Erfahrungshorizont der Menschen inzwischen ein bisschen zu sehr vorangeschritten zu sein. Aber wenn das der Fall ist, dann lässt es sich natürlich leicht sagen: „Bevor XYZ ‚existiert hat‘, ging es uns besser!“
    Das ist zwar einfach nur ein Informationsdefizit und vielfach sogar Wunschdenken, aber leider nicht ungefährlich.

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