Heldentod

Ich weiß gar nicht, wie ich beschreiben kann, wie bestürzt ich gerade über die sehr ausführlichen und ziemlich plausibel klingenden Anschuldigungen wegen sexuellem Missbrauch gegen Neil Gaiman bin. Natürlich kommen in den letzten Jahren von immer mehr Leuten hässliche Dinge ans Licht und nichts daran ist schlimm; es ist ja wichtig, dass das passiert. Ich bin nicht mal ein begeisterter Leser von Gaiman, ich habe ehrlich gesagt bisher von seinem fiktiven Werk nichts gelesen. Meine einzige Verbindung zu ihm war seine „Make good Art“-Commencement Speech von 2012, aber das Schlimme für mich persönlich ist, dass die mich fast ein Jahrzehnt durch meine aktive Bloggerzeit getragen hat. Sie ist hier ganz tief im Urschleim des Blogs eingebunden und ich werde den Artikel jetzt gleich nach dem Schreiben löschen oder zumindest auf privat setzen. Das Schwierige ist, dass diese etwas unkonventionelle Wertschätzung des Autors nochmal wesentlich persönlicher erscheint als durch ein fiktives Werk – auch wenn das natürlich enger sein kann.

(Kurzer Einschub: Bitte, das ist ein privater Blog! Ich will hier gerade nicht über alles an dieser Geschichte reden, sondern nur über meinen persönlichen Bezug und meine Gedanken. Dass die im Vergleich zu den Opfern natürlich lächerlich und irrelevant sind, weiß ich und ich glaube und hoffe, dass diese das auch nicht lesen werden.)

Für mich so unerträglich ist das, weil Gaiman für mich nicht einfach irgendein Star war, sondern durch das, was ich von ihm jenseits seines Werkes mitbekommen habe, einer von den Guten. Ich bin bei vielen da draußen nicht sicher, was noch alles rauskommt, bei ihm habe ich geglaubt, dass er auf der richtigen Seite der Geschichte steht und so albern das von außen ist, es fühlt sich wirklich sehr nach Verrat an. Selbst damit ist er nicht alleine in letzter Zeit, aber seine Rede hab ich vor einigen Wochen noch einem Kollegen empfohlen, weil ich sie wirklich für eine der besten halte, die je gegeben wurden.

In solchen Momenten kommt ziemlich sicher irgendwoher die alte Geschichte mit der Trennung von Künstler und Werk und ich bin dagegen. Das war nicht immer so, zumindest nicht so eindeutig, aber ich bin mir ziemlich sicher, da so langsam zu einem Entschluss für mich gekommen zu sein, der vielleicht dauerhaft ist.

Und auch wenn ich beispielsweise Glück hatte und nie Harry-Potter-Fan war, habe ich im Gegenzug sehr gerne Rammstein gehört und Kevin Spacey als Schauspieler unfassbar bewundert. Natürlich gehört das sehr zu meinem Leben, ich bereue und verleugne das nicht, aber zwei Gedanken dazu:

  1. Es verleidet mir wirklich die Kunst, wenn ich einem Künstler dabei viel Raum in meinen Emotionen einräume, die er da seiner Taten wegen nicht haben sollte. Ich will nicht mitleiden mit jemandem, der ganz reales Leid über andere gebracht hat. Der Kunst selbst kann ich wesentlich mehr verzeihen, weil die in einem fiktiven Raum stattfindet. Da sind Grenzüberschreitungen mitunter sogar angenehm oder horizonterweiternd, ich finde es nicht schlimm, sich fiktiv z.B. in grausame Charaktere einzudenken, selbst wenn es mit Ambivalenz und ohne Moral passiert; das sollte Kunst tun dürfen und auch als Rezipient ist das Mögen solcher Kunst völlig in Ordnung. Im besten Fall natürlich mit Benefits für die eigene Reflektion. Aber in American Beauty Kevin Spacey beim Anbiedern an eine Minderjährige zuzuschauen bereitet mir inzwischen eben Unbehagen und nicht mehr diese Spannung zwischen moralischer Fragwürdigkeit und Sympathie für die Befreiung des Charakters aus seinen Ketten.
  2. Ich habe Kinder. Und obwohl ich wie jedes Elternteil kaum abwarten kann, meinen Kindern meine Kultur, die Kunst, mit der ich aufgewachsen bin, nahezubringen; sehe ich nicht, warum ich ihnen Dinge zum Anhimmeln – denn das wollen wir Eltern ja eigentlich – geben will, bei denen ich dann sagen muss: „Jaja, ganz nett, gell? Aber toll finden darfste den Schauspieler nur ironisch, weil eigentlich war der gar nicht so gut.“. Da kommt dann auch der Übergang zu
  3. Es gibt doch so viele andere! Gerade heute! Ich hab doch nicht mehr nur die 30 durchschnittlichen LPs eines Haushaltes aus den 80ern rumstehen, aus denen ich meinen Kindern was aussuchen muss. Warum sollte ich Künstler, deren Tun ich für nicht entschuldbar halte, mitschleifen und ausgerechnet das weitergeben? Ist doch eigentlich schade um die Anderen, die an dieser Stelle stehen könnten.

Lange Rede, kurzer Sinn: Ich hab gerade erstaunlich viel Bauchgrummeln wegen Neil Gaiman und es ärgert mich, dass das das letzte Gefühl ist, das ich mit ihm verbinden werde. Denn eigentlich war da mal viel mehr und viel schöneres.

2 Comments

Filed under Medien, Sonstige Menschen

2 Responses to Heldentod

  1. Anonym

    Kevin Spacey wurde allerdings in sämtlichen Prozessen sowohl in New York als auch in London freigesprochen.
    Das Problem ist, auch wenn Spacey unschuldig ist, bleibt immer etwas hängen. Die neuen Medien sind in der Lage, jeden zu zerstören, egal ob schuldig oder unschuldig.

  2. @Anonym:
    Ja, das stimmt. Ich persönlich hab in Anbetracht seiner Entschuldigungen sowie der Tatsache, dass nach zig Jahren einfach die Beweise nicht ausgereicht haben, nicht wirklich Vertrauen in seine tatsächliche Unschuld. War so gesehen ein blödes Beispiel, denn juristisch hast Du Recht.

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