Identitätskrise

Kaum ist Google+ in nennenswertem Umfang auf dem Weltmarkt für Eitelkeiten, im Bereich der sozialen Netzwerke, halbwegs angekommen, schon steht die erste Krise ins Haus. Eine Art Identitätskrise. Zum einen fragen sich natürlich die Nutzer, was aus Google+ wird, andererseits gibt sich Google selbst schon alle Mühe, dem Ganzen eine gewisse Richtung zu geben.

Scheinbar löscht Google einzelne Nutzerprofile, wenn diese den Eindruck erwecken, sie würden keinen Klarnamen enthalten. Und so super-social, wie das alles nunmal ist, schwappt eine mehr oder minder große Welle durch die digitale Bude. Alte binäre Haudegen fühlen sich an eine Zeit erinnert, als das selbe Thema offenbar im Usenet durchgenudelt wurde, ein Großteil der Leute schaut indes fasziniert zu, weil sich bisher scheinbar niemand Gedanken darüber gemacht hat.

So schrieb plomlompom sich in Rage über diese Ungerechtigkeit und forderte die User auf, Pseudonyme zu nutzen, woraufhin sich etliche Gegner aufschwangen und klarstellten, dass es sich hierbei überhaupt um gar kein Problem handeln würde. Mehrfach wurde auf Googles Hausrecht verwiesen und darauf, dass man ja woanders spielen gehen könne, wenn man keinen Bock hat, sich mit Klarnamen zu melden.

Das wiederrum rief Sascha Lobo auf den Plan, der eine Lobesrede auf die freie Namenswahl in der digitalen Öffentlichkeit hielt und die Meinung vertrat, dass das mit dem Hausrecht albern sei, weil Google schließlich als eines der großen sozialen Netzwerke durchaus so etwas wie „die Öffentlichkeit“ sei.

Verschiedenste Kommentatoren versammelten sich auf verschiedensten Posts und proleteten munter ihre Fürs und Widers heraus. Die Debatte ging vom Hausrecht zum Telemediengesetz, vom Stalker bis zum unterdrückten Diktaturbekämpfer und natürlich auch jeweils wieder zurück.

Ich wollte mal meine Meinung dazu kundtun:

Ich kenne ja als Blogger die Vor- und Nachteile pseudonymen Daseins. Ich selbst blogge zwar seit geraumer Zeit mehr oder minder unter Klarnamen, weil mir die Anonymität zu anstrengend war, aber ich habe natürlich viel mit Pseudonymen um mich herum zu tun.

Als Negativbeispiel fällt mir da beispielsweise ein altkluger Vollspaten ein, der mit seinem psychotisch anmutenden Geschreibsel seit einem Jahr meint, er müsse Unwahrheiten über mich in seinem bedeutungslosen Kleinstblog von sich geben, während er sich fälschlicherweise für clever genug hält, seine Identität zu verschleiern.

Auf der anderen Seite stehen die vielen hundert Leute, die in meinen beiden Blogs kommentieren und dies in großer Zahl völlig ohne Klarnamen unter frei gewählten Pseudonymen tun und dabei im Grunde nie ernsthaft den Eindruck erwecken, als würde ihnen eine Verletzung der Netiquette in den Sinn kommen.

Bei allem Ärgernis, das minderbemittelte Trolle im Netz auslösen können: Überwiegend scheint die Sache mit den Pseudonymen gut zu funktionieren. Hier greift auch eines der Argumente vieler Verteidiger der Pseudonym-Idee: Viele Menschen haben sich eine Identität im Internet (oder auch im Reallife-Freundeskreis) zugelegt, die nichts mit dem offiziellen Namen zu tun hat. Und warum sollte man ihnen das verbieten? In sozialen Netzwerken geht es um zwischenmenschliche Kommunikation ohne vertraglichen Charakter. Eine Identifizierbarkeit muss ja nicht zwingend gegeben sein.

Folglich vertrete auch ich die Ansicht, dass Google gut daran täte, Pseudonyme zu erlauben, auch wenn sie so dämlich klingen, dass man um den Verstand des Benutzers fürchtet.

Die Menschen, die sich (und was ist in sozialen Netzwerken anderes zu erwarten?) eine Identität zulegen, die ihnen am Herzen liegt, werden sich kaum in Wildwest-Manier durchs Netz schlagen. Schließlich sind auch Pseudonyme für die Personen dahinter und die Personen gegenüber wichtige Teile der Kommunikation – ebenso wie der eigene Name.

Ja, Ausnahmen bestätigen die Regel. Die LoVeRbOy_SEXY_38(cm;)) dieser Welt werden damit vielleicht Teil des Internets (oder hier: Teil des Netzwerkes) bleiben und in ihrer Anonymität hier und da rumtrollen. Ich wage aber zu bezweifeln, dass sie jemand ernst nehmen muss. Zumal das Aussieben bei Google+ (wie auch bei Facebook übrigens) nach offenbar nicht allzu cleveren Parametern vorgenommen wird, die es immer erlauben werden, sich als Hans Wurst anzumelden, auch wenn man Kunigunde Veilchen heißt.

Google selbst sollte es egal sein, unter welchem Namen sich die Nutzer durchs Netz bewegen. Für den Konzern sind alleine die Verknüpfungen und Vorlieben interessant, um sie für die Werbung zu verwenden. Dabei spielt der Name so oder so keine Rolle, wenn Google nicht morgen plant, auf Postwurfsendungen umzusatteln. Erzwingen kann man das nicht, man kann es nur versuchen. Aber der Versuch ist vielleicht so dumm nicht.

Man muss sicher keine Stalkingopfer oder unterdrückte Minderheiten in anderen Ländern bemühen, um pro Namensfreiheit zu argumentieren, aber wenn man sie dann letztlich auch noch auf der richtigen Seite verbucht, dann sollte klar sein, dass Google+ gut daran tun würde – und im Übrigen auch wesentlich mehr Benutzer finden und binden wird,- wenn jeder seinen Namen selbst wählen kann.

8 Comments

Filed under Medien, Politik, Vermischtes

8 Responses to Identitätskrise

  1. Fahrertuer

    Kann den Zwang zum Klarnamen nicht unbedingt verstehen. Wie du ja schon geschrieben hast: es gibt Leute die durchaus dauerhaft einen Nick wählen und im Netz unter diesem bekannter sind als unter ihrem Realnamen

  2. Ich denke man darf Blogkommentare nicht mit sozialen Netzwerken gleichsetzen.
    Hier gebe ich nichts preis, höchstens die E-Mail, die Homepage und irgendein Bild.
    Die Leute, die meinen ihre Privatsphäre in sozialen Netzwerken schützen zu müssen, haben Hobbies, Arbeitgeber, Fotos in Unterhose von den letzten 12 Parties etc. pp. auf ihrer Seite.
    Im Grunde finde ich die Diskussion aber auch nur passend für’s Sommerloch, viel mehr als das übliche Rebelle und Gegenrebelle ist das nicht.
    Das einzige was mich an Pseudonymen in sozailen Netzwerken stört, ist dass ich Leute nicht finden kann, die ich persönlich kenne.
    Da ich aber unter Klarnamen angemeldet bin, müssen die das dann eben für mich erledigen.

  3. Kommentator

    Wie viele vermute ich, dass in der Debatte unterschiedliche Nutzungsformen und – wünsche vermischt werden und daher kein Konsens zu finden, aber auch nicht nötig ist. (So, wie für manche Menschen das Auto ein wichtiger Teil ihrer Persönlichkeit und für andere lediglich ein leidlich praktisches Ding ist. Und ach ja, als Arbeitsplatz kann man Autos wohl auch nutzen, liest man hier und da 😀 )

    Ich nutze Pseudonyme (in Foren, Blogs und den meisten Netzwerken), weil die Meinungsäußerung wichtiger ist als meine Person – ich bin also eher so ein „Nutzfahrzeug-Typ“, mir ist auch der (ohnehin minimale 🙂 ) Ruhmgewinn meiner Kommentare und Beiträge unwichtig. In einem einzigen Netzwerk (xing) bin ich mit Klarnamen angemeldet – da geht es aber auch um klare berufliche Ziele, dort binde ich den Nutzen an meinen Namen, anders wäre das auch nicht hantierbar.

    Wenn Google Klarnamen verlangt*, dann machen sie eine Vorgabe, die mir gefällt oder nicht – und daraus leitet sich dann ab, ob ich mich anmelde oder nicht. So what? Eben.

    (*Die Klarnamen wird Google aber nicht überprüfen können – ich melde mich dann eventuell als „Arthur Dent“ an, soll mir erstmal jemand beweisen, dass ich nicht Arthur Dent bin.)

  4. Daniel

    Du hast eigentlich die Argumente schon genannt. Einerseits hat Google natürlich Hausrecht. Sprich, wems nicht paßt, braucht sich dort nicht anmelden. Aber, was du auch genannt hast, und was meiner Meinung nach maßgeblich ist: Solang sich diese Vorgabe kinderlich umgehen läßt, ist es absoluter Schwachsinn es durchzuziehen, und bringt nichts außer schlechte PR für Google. Wenn dann müßte man die Accounts eindeutig verzifizieren (z.B. PostIdent). Solang das nicht gemacht wird, kann sich jeder mit etwas Phantasie (oder zur Not mit Hilfe des Telefonbuchs) einen Phantasienamen basteln, den Google nicht als solchen erkennt.

    Ich persönlich seh es ähnlich wie du. Jeder soll es so machen wie er will. Schließlich kann ja jeder User selber entscheiden von wem seine Nachrichten gelesen werden. Und dann kann er ja nur die Leute aktzeptieren die er persönlich kennt und von denen er sicher weiß daß sie keine Phantasienamen verwenden.

    Womit ich persönlich etwas mehr ein Problem habe, ist der Datenschutz generell. Google kennt den Namen der Nutzer, und weiß was sie posten. Soweit OK, das weiß Facebook auch. Aber Google hat ja zahlreiche Dienste, die auch sicher rege genutzt werden.

    Google weiß also nicht nur den Namen und die Infos die der User selbst postet, und mit dem der User bekannt ist, sondern auch noch wonach der User im Netz sucht (Websuche), wohin er fährt (Google Map), welche Nachrichten er liest (Google News), und wenn man den Kalender von Google nutzt auch noch seine Termine. Dann noch die Bildersammlung (Picassa), etc. etc.

    Ich bin ja diesbezüglich eher locker drauf (ich zahl z.B. auch alles mit Karte), aber was mich daran etwas stört daß es nicht mehrere Unternehmen sind die diese Infos getrennt haben, sondern sie alle bei einem Unternehmen liegen.

  5. @Fahrertuer:
    Das ist durchaus ein Punkt. So jemandem ist sein Zweitname ja auch was wert.

    @Nick:
    Bei vielen Leuten lässt sich das aber nicht so einfach trennen. „Richtige“ Pseudonyme verwenden viele doch plattformübergreifend. Ob das jetzt DIE große Diskussion ist: Ich weiss es nicht. Aber mal was dazu sagen kann man ja mal.

    @Kommentator:
    Sicher gibt es da unterschiedliche Betrachtungsweisen. Dass sich da eine Lösung für alle finden wird, ist unwahrscheinlich. Wobei man schon sagen muss, dass man sich daran gewöhnt hat, sich anmelden zu können, mit allem, was einem lieb ist, so lange man nix bezahlen muss 🙂

    @Daniel:
    Dass die Umsetzung Kinderfasching ist, stimmt. Wobei es eben gerade die Leute trifft, die sich eine virtuelle Existenz aufgebaut haben. Wer einfach in einem Blog einen einzelnen Post machen will, der kann sich ja auch mal einen unverdächtigen Namen besorgen. Unverständlich ist es halt, dass da jetzt gerade die „erwischt“ werden, denen es vielleicht wirklich „weh“ tut.
    Zumal – so viel Zustimmung zu Lobo muss sein – heutzutage hier und da ja durchaus auch mal ein gewisser Druck entstehen kann, sich in einem sozialen Netzwerk anzumelden. Z.B. zu Recherche-Zwecken. Schade, wenn man das nur unter dem richtigen oder einem „ganz neuen“ Namen kann.
    Der Datenschutz ist natürlich bei Google immer großes Thema. Auch da finde ich es zum Beispiel sinnvoll, dass man wenigstens unter einem Pseudonym bei Google sein kann. Denn wenn die Daten ein genaues Bild ergeben, sind sie ungeachtet ihrer Nutzbarkeit für Google unter Umständen nur halb so problematisch für den Nutzer, wenn sie nicht mit einem Klarnamen verbunden sind.
    Dass ich das für meine Person auch eher locker sehe, merkt man ja 🙂

  6. @Sash:
    Wer durch sein Pseudonym ein Alleinstellungsmerkmal hat, wie z.B. jemand bei youtube (nehmen wir hier mal aus Zufallsprinzip ‚Gronkh‘), der wird auch in sozialen Netzwerken eher als Gronkh erkannt, als als Erik.
    Da ich dann aber auch als solcher erkannt werden will und eben nicht als Privatperson, gibt es ja bei Facebook die möglichkeit eine seperate Seite zu erstellen, die dann ‚Fans‘ erreichen können.
    Meine private Seite bleibt dann aber weiter für ‚Freunde‘, die eher mit meinem Klarnamen was anfangen können, als mit meinem Pseudonym.

    Ich erkenne halt den sinnvollen Grund dahinter nicht, sich zwangsläufig mit einem Pseudonym bei einem sozialen Netzwerk anmelden zu müssen.
    Und wenn dann so Argumente kommen wie ‚los, wir machen das jetzt alle, denn das lassen wir uns nicht gefallen‘, dann sollte man seine Energie vielleicht eher in andere Sachen investieren, denn bei den Problemen auf der Welt steht ‚Google+ löscht mein Pseudonym‘ hinter ‚Welthunger‘ ganz knapp nicht auf Platz 2.

  7. @Nick:
    Vielleicht ist der Grund ja auch ganz einfach, dass Leute es wollen. Vor allem bleibt die Frage, warum sie es nicht können sollen.
    Wie gesagt: Ich hab nie ernsthaft Pseudonyme verwendet, selbst Sash ist ja nur eine Abwandlung meines Namens. Aber es gibt ja noch andere Leute mit anderen Beweggründen da draussen. Und deren Beweggründe müssen nicht schlechter sein als meine.
    Ob das jetzt eine wirklich große Relevanz besitzt: Keine Ahnung. Sicher für viele Pseudonymnutzer mehr als für dich oder mich.
    Ich halte den Welthunger beispielsweise für ein Problem, das einer Lösung bedarf. Wenn ich mir aber die Erde so ansehe, spielt dieses Problem auch allenfalls in der Kreisliga – mal von allen Lebewesen aus betrachtet. Schlimmeres gibt es immer.

  8. ‚Kinder, die was wollen, kriegen auf die Bollen‘ haben meine Eltern immer zu sagen gepflegt 😉

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