Heute jährt sich der Bau der Berliner Mauer zum 50. Mal. Gedenken, Mahnung und Trauer stehen heute zu aus gutem Grund allerorten in Grenznähe auf dem Plan, schließlich hat die innerdeutsche Grenze über die Jahre massenhaft sinnlos Menschenleben gekostet – und das lässt sich mit keiner noch so blind-blöden Ideologie rechtfertigen.
Ich als spätgeborener Tiefen-Wessi hab sowohl die Mauer als auch die DDR an sich zur Zeit ihres Bestehens kaum wahrgenommen und schon gar nicht begriffen. Und wahrscheinlich bin ich mir der Bedeutung der Teilung des Landes noch immer nur sehr bedingt bewusst. Deswegen fällt es mir schwer, darüber irgendetwas zu schreiben, was der Bedeutung (gesellschaftlich wie im einzelnen) gerecht werden kann. Da gibt es zweifelsohne weit bessere Kandidaten als mich.
Was ich jedoch weiss: Auch mein Leben wäre nicht das selbe, wäre die Grenze von längerer Dauer gewesen. Es wäre mir weder meine Wohnung in Ost-Berlin gegönnt, noch überhaupt meine Beziehung. Abgesehen davon, dass Berlin heute sicher nicht die Stadt wäre, die ich zu schätzen gelernt habe, hätte ich nicht einmal die Möglichkeit gehabt, Ozie kennenzulernen.
Ohne es zu wollen oder eigentlich zu Beginn auch nur daran denkend gehören wir nun zu denen, die die Teilung langsam wieder rückgängig machen, eben genau weil sie für unsere Generation nicht mehr wirklich eine Rolle spielt.
Auf meine Hochzeitspläne angesprochen fragte ein Kollege mich derletzt, ob das denn nun eigentlich eine Ost-West-Beziehung sei. Als ich das schon irgendwie bejahen musste, meinte er spontan:
„Find ick jut!“
Daraufhin haben wir uns ein halbes Stündchen unterhalten über meine Kindheit in der BRD, sein Leben in der DDR und die Tatsache, wie sehr die große Geschichte dann letztlich doch das Leben im Kleinen berührt. Auch wenn man nicht zu den bedauernswerten Opfern oder den vielgelobten Helden der Epoche zählt.
Wie sich die Geschichte der deutschen Teilung und Wiedervereinigung irgendwann später mal, aus wirklich geschichtlicher Distanz, irgendwo lesen wird, maße ich mir nicht an zu wissen. Wie man bei einem Blick auf die vielfältigen Ereignisse seit dem Mauerfall feststellt, ist das Ende der Geschichte, wie es mit dem Ende des kalten Krieges von Francis Fukuyama verkündet wurde, nicht eingetreten. Folglich ist meine persönliche Freude über den Wegfall einer einzelnen von zahlreichen Grenzen kein Grund, den Ist-Zustand blind zu feiern.
Über die Geschichte nachdenken lässt sich an Tagen wie diesem aber dennoch.
Es gibt eine Menge zum Mauerbau zu sagen und zu schreiben; und jeder hat eine persönliche Ansicht dazu. Meine steht auf Nachbars Garten.
Ich bin froh, dass meine Kinder ohne die Mauer aufgewachsen sind. Und ich wünsche Euch, dass es Zeiten geben wird, in denen nicht mehr nach Ost und West gefragt wird. Die Mauer in den Köpfen von uns älteren kann man leider nicht so schnell abbauen wie damals die Grenzanlagen.
Noch immer fahre ich auf meinem Weg auf der A24 bei Gudow / Zarrentin „über die Grenze“.
@Petra:
Die Mauern in den Köpfen sind zweifelsohne die größeren und langlebigeren. Verständlich aber dennoch schade.
Aber das wird. Langsam aber sicher…
Mein Tipp ist: Es wird mindestens 5 Generationen brauchen, bis wirklich die Mauer in den Köpfen verschwunden ist. Also ungefähr das fünffache der Zeit, die die Mauer stand. Ich weiß nicht, wie viele Leute (Politiker genauso wie Otto Normal) auf die Idee kommen, daß ja jetzt alles schon schick und fein ist, bloß weil das Betonmonster nicht mehr steht.
Ich (auch in Ost-West-Beziehung befindlich) stelle fast jeden Tag fest, wieviel uns doch unterscheidet. Nicht auf den ersten Blick und nicht plakativ („Ach – ihr habt auch Weihnachten gefeiert?“), sondern eher aus unserer Sozialisation heraus. Allein, wie unterschiedlich der Blick auf die scheinbar „gemeinsam“ erlebtne Zeiten ist – die Trennung war mehr als eine räumliche.
Viel Platz zum Philosophieren und Nachdenken – aber letztlich können zwei Dinge die Mauer wirklich überwinden: Eine gute (!) politische, soziologische und philosophische Debatte (leider noch in weiter Ferne) und persönliche Aktionen wie „gemischte“ Beziehungen – da sind wir ja mitten dabei, Sash – leisten wir also unseren Beitrag 🙂
@Nihilistin:
Ja, es kann sein, dass das noch „ewig“ dauert. Es ist aber auch schwer zu unterscheiden zwischen dem Aufrechterhalten von Erinnerungen (und Bräuchen etc.) und dem wirklichen Verinnerlichen.
Ich finde es ein gutes Zeichen, wenn mein Kollege (der Bau und Fall der Mauer erlebt hat, sprich: Sehr viel Zeit mit ihr verbracht hat) heute schon so fragt, wie er es getan hat.
Es gibt heute schon Leute die mit „der Mauer“ nix anfangen können (oder wollen).
5 Generationen sind für das Vergessen nicht nötig. Auch nicht für die „Kopf-Mauer“. Selbst hier auf dem dicken Land vermischt sich schon alles, einige Familienmitglieder stammen aus Halle an der Saale usw.
Ich möchte mal Wolf Biermann zu Wort kommen lassen (aus den 60er Jahren, als er noch anders drauf war als heute). Aus dem Gedächtnis zitiert, also nicht 100 pro wörtlich:
„Na und? Die ganze Welt hat sich
in Ost und West gespalten.
Doch Deutschland hat – wie immer auch,
die Position gehalten.
Die Position als Arsch der Welt,
sehr fett und sehr gewichtig
die Haare in der Kerbe sind –
aus Stacheldraht, versteht sich.
Das selbst das Loch – ich mein‘ Berlin –
in sich gespalten ist
da haben wir die Biologie
beschämt durch Menschen Witz.
Im Vergleich zu dem, was in den letzten 50 Jahren in der Welt so alles passiert ist – vom Vietnamkrieg bis zum 9.11. – war die Berliner Mauer weißgott nicht besonders schlimm. Also übertreibt’s nicht mit dem Geheule.
Ich hatte wohl altersbedingt diese Mauer im Kopf nie, und deshalb gehöre ich ja schon zur ersten Generation in der die Mauer im Kopf nicht mehr vorhanden ist… Kann aber auch daran liegen, dass ich so tief im Westen lebe, und keine Kontakte in den Osten der Republik habe…
@Big Al:
Schön, dass es bei euch so ist! Aber manchmal wirkt das ja auch mehr oder minder unbewusst fort. Ist keine Unterstellung – ich freue mich für jeden, dem es nicht so geht!
@Spielverderber:
Geheule ist das sicher so oder so nicht. Aber mit diesem ewig albernen „es gibt auch schlimmerers“-Argument lässt sich alles banalisieren, was nicht direkt zum Zusammenbruch des Universums führt (so es denn nur ein einzelnes ist). Die Mauer hat Menschenleben gekostet und auch sonst für viel Unrecht und Leid gesorgt. Das ist vielleicht noch kein Grund, täglich Trauerflor zu tragen, nur weil man ihr geografisch nahe war – aber man kann (und sollte vielleicht auch) sich seine Gedanken dazu machen.
@Donngal:
Die fehlenden Kontakte sind wirklich entscheidend! Ich hatte die bis jetzt auch nie. Bis ich 24 war, hätte ich kaum gemerkt, wenn das Ding immer noch stehen würde, aber sobald man näher heranrückt, stellt man fest, wie wichtig das vielleicht eben doch war…
Die Mauer war ja nicht das Bauwerk, sondern es waren auch die Menschen, die es sie für richtig hielten als „antifaschistischen Verteidigungswall“. Als Personal an den Grenzübergängen waren ja meist die 150%-igen DDR-Mitbürger eingesetzt. Im März 1990, also relativ kurz nach der Grenzöffnung, sind wir nach Meerane in Sachsen zur Verwandtschaft gefahren. Das erste Mal OHNE Grenzkontrollen. Wegen eines Staus waren wir auf der Landstraße und richteten uns nach einem Pappschild „Grenzübergang“. Da lag einfach der Stacheldraht auf 20 m achtlos zusammengerollt und und eine kleine Holzhütte wie für Gartengeräte stand da mit einem FREUNDLICHEN Grenzer. Wir fuhren ungefähr 100 m durch plattgewalztes Niemandsland und waren drüben.
Ich habe damals mindestens 50 km weit geheult wie ein Schloßhund.
1. Ich meinte natürlich 11.9. Peinlich – obwohl der 9.11. ja immerhin auch ein (deutscher) Schicksalstag ist. Und damit wären wir auch beim Thema:
2. Gedanken machen kann nie schaden. Und ich fühle mit allen, die einem schlechten Leben entgehen wollen und dafür Risiken auf sich nehmen, ob das nun DDR-Flüchtlinge sind oder afrikanische boat people. Und daran ändert auch nichts die Tatsache, dass die Menschen in -sagen wir – Süd-Somalia von Lebensverhältnissen wie in der damaligen DDR nur träumen können.
3. Aber: Der 50. Jahrestag des Mauerbaus wurde hier mit einem derartigen Pathos und Aufwand begangen, den ich schon wieder leicht gruselig finde. Warum? Weil damit einher geht, dass die Deutschen sich zum Opfer stilisieren – was wir ja besonders gerne tun. Dabei müssen wir doch mal nüchtern feststellen, dass die Deutschen (und die Berliner!) nach dem zweiten Weltkrieg mehr Glück gehabt haben als Verstand und im Grunde fast unanständig glimpflich davon gekommen sind.
4. Prima. Ich profitiere ja auch davon und lebe gerne im heutigen Deutschland. Aber ein bisschen mehr Demut und weniger Mauerpathos würde uns für mein Empfinden gut stehen.
@Petra:
Letztlich sind es ja immer die Menschen. Ich hab noch nie ein an sich böses Bauwerk gesehen…
@Spielverderber:
Ich hab mir die „offizielle“ Überdosis Mauer auch nicht gegeben. Aber dass an einem runden Jahrestag eines geschichtlichen Ereignisses, dass mehrere noch lebende Generationen stark beeinflusst und betroffen hat, einiges los sein wird, ist ja nicht unverständlich, oder?
Mir geht es keinesfalls drum, das alles noch größer zu machen als es ohnehin war, ich wollte nur anmerken, dass es auch im Kleinen von Interesse sein kann.