Nachschlag zu #Neuland

Großes Kino gestern mal wieder: Beim Besuch von Barack Obama in Berlin sagte Angela Merkel (Unsere Kanzlerin, für die RTL-Zuschauer) unter anderem folgendes:

Nochmal als Text:

„Das Internet ist für uns alle Neuland und es ermöglicht auch Feinden und Gegnern unserer demokratischen Grundordnung natürlich mit völlig neuen Möglichkeiten und Mö … völlig neuen, äh, Herangehensweisen, unsere Art zu Leben in Gefahr zu bringen.“

Gut. Was darauf folgte, war vorherzusehen und ist steht heute wahrscheinlich gedruckt in jeder Zeitung: Ein Shitstorm auf Twitter ergoss sich über Merkel, es wurden Witze unter dem Hastag #Neuland gepostet, die überwiegend natürlich die Medienkompetenz unserer obersten Repräsentantin durch den Dreck zogen. Muss man nicht gut finden, allerdings – und dazu kommen wir noch – ist das nicht alles gewesen.

Nachdem die Timelines voll waren mit lustigen Bildchen und Sprüchen zum Thema, meldeten sich auch Kritiker. Der Tenor war im Großen und Ganzen der, dass das ja SO nicht gemeint war. Natürlich hätte die Kanzlerin Ahnung vom Netz, und jetzt wegen eines Wörtchens so rumzumachen, sei kindisch. Andere formulierten das noch einmal mehr um. Der Regierungssprecher Steffen Seibert, seines Zeichens selbst Twitterer, ließ folgendes verlauten:


Als Text:

„Zur Neuland-Diskussion: Worum es der Kanzlerin geht – Das Internet ist rechtspolitisches Neuland, das spüren wir im polit. Handeln täglich.“

Aha. Dieser – zweifellos als Schadensbegrenzung gedachte – Schnellschuss verschlimmert die Sache jedoch nur. Man darf nicht vergessen, dass der Austausch zwischen Merkel und Obama in dieser Woche überschattet war von der Affaire um PRISM. PRISM ist ein Überwachungsprogramm des amerikanischen Geheimdienstes NSA und hat – die genauen Umstände sind noch dabei, ermittelt zu werden – das bestätigt, was viele lange befürchtet hatten: Geheimdienste überwachen das Internet ziemlich umfänglich, insbesondere unsere e-Mails und die ganzen Social-Media-Plattformen sind alle nicht sicher. Keine Überraschung, aber schlimm, weil es jetzt alle wissen.

Merkels Anbiedern an Obama, indem sie „das Internet“ zu einer neuen Sache erklärt, bei der halt alle noch irgendwie am Gucken sind, wie man das dort so macht, ist diplomatisch verständlich. Gruselig, aber diplomatisch verständlich. Unser Regierungssprecher schiebt jetzt nach, dass es ihr ja eigentlich „nur um rechtspolitische“ Fragen geht. DAS hingegen ist wirklich eine Farce!

Nicht nur bedient er damit dieses alte Klischee, dass das Internet ein rechtsfreier Raum sei, er bestätigt quasi auch noch, dass die Regierung(en?) das so empfinden. Dabei ist diese These völliger Quark: Das Internet ist eben nicht dieses „Neuland“, in dem irgendwelche Eingeborenen komische Dinge tun und die Gesellschaft da jetzt irgendwie gucken muss, wie man da Fuß fassen kann. Im Internet gelten die gleichen Rechte wie außerhalb. Seine Supranationalität macht die Umsetzung derselben manchmal schwer, ebenso die schiere Größe und dezentrale Ausrichtung. Aber: Das liegt auch daran, dass gerade die Regierung ständig dabei ist, dieses Thema nach hinten zu verschieben und zu verschlafen. Und statt zum Beispiel wirksame Datenschutzregelungen zu verabschieden, beteiligen sich alle Staaten munter an deren Aushöhlung. Weil das Internet ja ein ach so freier Raum ist.

Merkel wanzt sich an die ran, die ohnehin Angst vor dem Netz haben, Seibert schiebt für die „Internetgemeinde“ nach, dass wir ja nun eigentlich damit auch nicht gemeint sind. Aber wo bleibt aus Regierungskreisen die Antwort darauf, dass hier vielleicht millionenfach massiv in die Grundrechte eingegriffen wird?

Richtig, Grundrechte!

Das Internet gibt es jetzt seit rund 20 Jahren. Seit mindestens 10 Jahren (sehr konservativ geschätzt) ist unübersehbar, dass es aus der Welt nicht mehr eben kurz verschwinden, sondern seine Verbeitung und Bedeutung sich ausweiten wird. e-Mails sind keine freakigen Nischenlösungen mehr, sondern wahrscheinlich die meistgenutzte Kommunikationsform. Weltweit und in Deutschland. Und Politik, Polizei und Geheimdienste finden es völlig normal, die zu überwachen?

Wie wäre wohl die Reaktion, wenn es um „stichprobenartige“ Brieföffnungen oder „flächendeckende“ Durchsuchung von Handtaschen gehen würde?

„Das Internet“ ist kein Neuland. Es hat Milliarden Benutzer, und es werden mit jedem Jahr mehr. Und rechtspolitisches Neuland ist es allenfalls, weil die Regierungen ihre Zeit damit verbringen, im Internet ein solches zu sehen und lieber von Verlagslobbyisten vorgelegte Gesetze durchzuwinken und es kleinzureden; als die weltweite Vernetzung endlich als gegeben anzuerkennen und sich mit den Folgen ergebnisoffen zu beschäftigen. Im Übrigen durchaus Folgen, die klassisch konservative Themen einbeziehen. Thomas Knüwer zieht in seinem Blogeintrag von gestern z.B. nicht nur lustige Vergleiche, sondern stellt (einmal mehr) fest, wie fatal sich diese Internetangst seitens der Regierung auch auf die Wirtschaft auswirken könnte wird. Ebenso sieht das auch Patrick Beuth bei zeit.de.

An der Kommunikationsform muss wohl noch gearbeitet werden. Es ist kein Wunder, dass die verballhornende Kritik alleine – gerade in Anbetracht der Weltfremdheit unserer Kanzlerin – kaum dort ankommt, wo sie gehört wird. So fordert denn auch der Tagesspiegel, es wäre Zeit, zu zeigen,

„dass Merkels Aussage auch jene betrifft, die an ihrem Rechner noch nie über eine Partie Minesweeper herausgekommen sind; dass es grundsätzlich darum geht, dass Privatsphäre auch in technisch vermittelten Lebensräumen Schutz genießt.“

In nicht einmal mehr hundert Tagen ist Bundestagswahl. Ich denke, deutlicher muss ich an dieser Stelle nicht mehr werden.


Kleines PS: Wie man mit dem Internet umgeht, was es ist, das MUSS man selbst rausfinden! Das können auch „wir“ netzaffinen Leute nicht mal eben erklären. Hab ich auch schon mal verbloggt.

20 Comments

Filed under Medien, Politik

20 Responses to Nachschlag zu #Neuland

  1. Nur eine kleine, aber wichtige Korrektur. Angie ist nicht unsere oberste Repräsentantin, das ist der Grüßaugust, genannt Bundespräsident. Angie ist unsere oberste Navigatorin als Regierungschefin und darf somit das Volk mit Anlauf in den Abgrund treiben. 🙂

  2. @Der Maskierte:
    Das ist richtig. Aber ich habe das Wort hier weniger der politisch verordneten Stellung, mehr der tatsächlichen Macht wegen verwendet. Ist zweideutig, zugegeben, war aber bewusst gewählt.
    #wolltschnurmalsagn

  3. Andreas O.

    Ich frage mich, wer da die Kanzlerin beraten hat. Oder war das durch mangelnde Vorbereitung induziertes Verlegenheitsgestammel? Eigentlich ging ich davon aus, dass bei derartigen „Zusammenkünften“ nichts dem Zufall überlassen wird und man im Vorfeld auf die zu erwartenden Worte Obamas auch etwas vernünftiges zu entgegenen oder zu kommentieren hat. Klar, muss das aus vielen Gründen diplomatisch sein, das geht aber auch weniger peinlich. Ich habe mich gestern wegen unserer Regierung geschämt. Das kommt zwar häufiger vor, aber gestern hat es schon ziemlich in meinen Synapsen gekribbelt. Wie Du schon sagtest, bald ist Wahltag. Aber ob Rot/Grün oder Schwarz/Gelb oder eine große Koalition, das ist aus meiner Sicht die Wahl zwischen Pest, Cholera und Diarrhoe. Ich befürchte, die Wahlbeteilgung wird auf einem historischen Tiefpunkt sein. Ich hab auch keine Ahnung, welcher Partei ich meine Stimme geben soll. Vermutlich werde ich ungültig wählen.

  4. Spandauer

    Ja und Nein!

    Die Formulierung war unglücklich, aber im Kern geht es darum wie man mit dem Dings Internet umgeht. Und da besteht wirklich noch Bedarf an Klarheit.

    Den Artikel http://www.friedemannkarig.de/blog/2013/06/19/neuland/ (gefunden über bildblog) fand ich recht interessant.

    Wer die Möglichkeiten des Internets aktiv nutzt und gestaltet, wie z.B. Sash sieht das ganze sicher anders, als wenn man mal kurz nach dem Wetter schaut und was lustiges bei youtube anklickt.

    Einwerfen möchte ich noch, dass z.B. die Terrorangst in den USA (seit dem 11.09) so gross ist, dass dafür weitreichende Befugnisse für die Behörden geschaffen wurden (siehe im verlinkten Wikipedia Artikel auch „Bewertung und Kritik“).

    @Andreas O.: Prima! Wer nicht wählt oder ungültig wählt hilft immer den Parteien an den politschen Rändern. Weiter so! (Achtung kann Spuren von Ironie enthalten).

  5. Andreas O.

    @Spandauer: Was schlägst Du denn vor, wenn man sich nirgendwo wiederfindet oder sich nicht ausreichend mit einer Partei identifizieren kann? Ich lehne es ab, etwas zu wählen, was ich nicht wählen will! Klar, ich könnte mir eine popelige unbedeutende Partei aussuchen und meine Stimme dorthin „verlagern“. Mach ich aber nicht!

  6. Spandauer

    @Andreas O.: Wenn Du Dich wirklich in keiner der vielen Parteien wiederfindest gibt es die Möglichkeit selber eine zu gründen oder man tritt in eine Partei, der man politisch am nächsten steht und versucht diese zu verändern.
    Beides dauert und es sind dicke Bretter zu bohren.

  7. Andreas O.

    @Spandauer: Ja klar, die Möglichkeiten gibt es. Eine Partei neu zu gründen oder umzukrämpeln ist für mich aber keine ernsthafte Alternative zur Nichtteilnahme an (einer!) Wahl. Die meisten Menschen müssen den größten Anteil Ihrer Zeit mit bezahlter Arbeit verbringen um alles irgendwie am Laufen zu halten. Wer da am Ende noch Zeit und Engagement hat, eine Partei zu gründen und die politische Landschaft zu bereichern oder gar zu ändern, kann sich allerdings meiner Hochachtung gewiss sein. Ich für meinen Teil entscheide, nicht wählen zu gehen, wenn ich nicht überzeugt bin und wieder zu wählen, wenn ich es bin. Zum Glück kann man das so frei wählen.

  8. Rookie

    Hmm, ich kenne den Spruch zwar auch, das derjenige, der nicht wählt die Ränder wählt, aber eigentlich ist der Spruch falsch.
    Wer nicht wählt, wählt die starken Parteien, da dadurch die Stimme der Gewohnheitswähler (ich wähle schon immer … und werde auch immer … wählen) stärker gewertet wird. Natürlich können davon auch Parteien am Rand profitieren, aber die müssen erstmal in nem Bereich kommen indem es interessant wird. Und solange nicht ein großer Teil Nichtwähler zum Protestwähler wird, bleibe ich bei meiner Aussage.

  9. Spandauer

    Sorry für immer weiter OT
    @Rookie
    Der Spruch ist so falsch nicht, wenn wir davon ausgehen, dass die Nichtwähler eine der „großen“ Parteien wählen würden und ungefähr über die Nichtwähler gleich verteilt sind, so erhalten die großen Parteien weniger Stimmen.
    Dei extremen Parteien verfügen über ein besseres Wählermobilisierungspotential (als Bsp. http://www.migazin.de/2009/06/08/niedrige-wahlbeteiligung-grunde-und-rechtsextremismus/ )
    Machen wir mal ein Bsp.:
    Es gäbe 100 Wähler, 96 davon wählen eine der im Bundestag vertreten Parteien, 4 davon wählen eine extreme Partei. Wir haben also eine Wahlbeteiligung von 100 %, da alle wählen gehen
    Somit würden auf die exterme Partei 4 % der Stimmen entfallen und diese wäre nicht im Bundestag vertreten (5 % Hürde).
    Nun gehen anstelle der 100 Wähler nur noch 50 % wählen, also 50 Wähler, es wählen 46 davon eine „große Partei“ und 4 eine extreme Partei.
    Nun hat die extreme Partei 8 % und sitzt im Bundestag.

  10. Michi

    Fast schon schlimmer als den „Neuland“-Spruch (der für die Regierungschefin eines Industrielandes im 21. Jahrhundert schon peinlich genug ist) finde ich das, was danach kommt. Da wird, anstelle die Chancen und Möglichkeiten herauszustellen, mal wieder darauf verwiesen, dass sich in diesem komischen Internet natürlich haufenweise böse Leutchen tummeln, die nur unsere Demokratie in Gefahr bringen wollen. Und deshalb darf und muss man das Ganze auch überwachen bis zum Gehtnichtmehr. Immer schön begründet mit dem „Kampf gegen den Terror“, dem offenbar alles unterzuordnen ist.

    Die ständige Fokussierung auf die Risiken irgendwelcher Dinge, ob es nun um das Internet oder um ganz andere Sachen geht, könnte man jetzt als „typisch deutsch“ abtun. Ich finde das aber gefährlich. Und diese Gefahr geht nicht vom Internet aus, sondern von dejenigen Leuten „da oben“, die von der Thematik so viel Ahnung haben wie die Kuh vom Sonntag.

  11. @Andreas O.:
    Wer sie da beraten hat, ist in der Tat eine gute Frage. Auf der anderen Seite: Die Kernwählerschaft stimmt dem ja zu – und wirklich aufregen tun sich ja eh nur die ganzen Freaks …

    @Spandauer:
    Der von Dir verlinkte Artikel hat seine Richtigkeit. Natürlich hat sich das Netz in den letzten Jahren geändert. Und ja, das wird es weiterhin tun. Aber: Es wird dennoch immer mehr Mainstream und es bedarf ständiger Beschäftigung damit, wenn man z.B. Gesetze der Realität anpassen muss. Dem Fazit des Artikels stimme ich nicht zu. Also nicht, dass ich diese Grenze zwischen Netzusern und Offlinern vertiefen will. Aber das Netz ist gewachsen und hat sich verändert. Man kann es verdammt nochmal nicht an einem Nachmittag erklären! Da müssen sich die Leute einfach drum kümmern. Tut mir leid, dass ich da einen Wissensvorsprung habe, aber dafür hab ich jahrelang gearbeitet. Etwas, das ich hier schon mal geschrieben habe:
    http://www.sashs-blog.de/wordpress/2013/01/03/ist-instagram-besser-als-twitter/
    Und die Terrorangst der Amerikaner … naja, da lässt sich drüber streiten, ob das nicht eher Symptom als Erklärung ist.

    @Spandauer und Andreas O. zusammen:
    Hab nix gegen OT. Aber einigt euch mal drauf, ob ihr über Nichtwählen oder Ungültigwählen redet. Das macht einen großen Unterschied. Und ungültig finde ich eine sinnige Alternative in Andreas Fall.

    @Michi:
    Ja, diese Angstmacherei ist furchtbar. Tatsächlich ist das aber konservatives Allerweltsgewäsch, das man ja (leider) schon ziemlich gewöhnt ist.

  12. Wahlberliner

    Die Angst von „denen da oben“ (=dem uns regierenden Konglomerat aus Politik, Wirtschaft und Medien) vor dem Internet liegt darin begründet, dass damit einmal mehr die alte Devise „Halt Du sie dumm, ich halt‘ sie arm“ noch schwerer durchzusetzen sein wird (bzw. deren Durchsetzung gegen Unmöglich geht), ähnlich wie beim Buchdruck, nur eine ganze Dimension weiter. Da das Internet zum ersten Mal keinen Unterschied mehr macht zwischen „Kommunikation“ (früher: Von Person zu Person, allenfalls kleineren Personengruppen) und „Information“ (früher: Kommunikation von „top“ nach „down“, von einer kleinen Elite zur breiten Masse). Mit dieser erstmalig existierenden Informationsfreiheit kann man als regierender Machtmensch unmöglich umgehen, und die Auswirkungen davon sieht man regelmäßig, immer wenn irgend etwas ans Licht kommt (oder alternativ: Ins „Massenbewusstsein“ gedrückt wird), was ohne Internet nicht ans Licht gekommen, bzw. niemals einer größeren Masse bekannt geworden wäre, weil die Machtelite es nicht für „wissenswert“ genug gehalten hatte, um es der Masse zu kommunizieren=die Masse darüber zu informieren, oder die Bekanntheit der Machtelite sogar gefährlich geworden wäre. Diese Angst ist es, die derartige Regungen mit solchen Aussagen wie „Neuland“ verursacht. Ein spaßiges Detail am Rande ist, dass der Regierungssprecher aber trotzdem mit seiner Interpretation gar nicht mal so unrecht hat, denn viele Gesetze (z.B. das Urheberrecht) sind noch in der prä-digitalen Ära geschrieben worden, und beziehen daher die gesellschaftlichen Veränderungen, die das Internet bewirkt hat und noch bewirken wird, nicht mit ein, das könnte im Einzelfall sogar bis zur Dysfunktionalität der Anwendung eines Gesetzes gehen. Davon abgesehen hast Du natürlich mit Deinen Ansichten auch recht, aber ich finde, man kann beim Interpretieren von Politiker-Handlungen und -Aussagen einfach nicht mehr davon ausgehen, dass ihre Motivation rechtschaffen, oder ihre Position ehrlich die benannte ist – dazu ist doch überall nur all zu deutlich erkennbar, dass vor allem „gegen das Volk“ regiert wird, und das ganz ohne irgendwelche konkrete (oder unkonkrete) Verschwörungstheorien. Warum die meisten Menschen das immer noch denken, oder denken, in einem System, das von Grund auf so ausgelegt ist, dass man sämtlichen Idealismus und gute Vorsätze, etwas zu ändern, verraten muss, um in eine Position zu kommen, in der man etwas verändern könnte, würden Politiker in erster Linie der Mehrheit der Bevölkerung dienen, kann ich mir nur mit „des Kaiser’s neue Kleider“ erklären. Wobei auch niemand hören will, wie nackt der Kaiser in Wirklichkeit ist, weil dann alle denken, sie wären die Dummen.

    Wenn Wahlen was bewirken würden, wären sie schon längst abgeschafft worden. Diesen weisen Spruch von Berthold Brecht sehe ich seit 12 Jahren mehr und mehr bestätigt – auch mir hat der 11. September darüber die Augen geöffnet – und wenn man davon ausgeht, dass unter den Nichtwählern dieselbe Verteilung an Stimmen wäre, wie unter den Wählern (was ich keinesfalls als Gegeben ansehe, weshalb auch die Politik selbst bei 30% Wahlbeteiligung – bis auf einige kurzsichtige Schnell-Reaktionen – nie auf die Idee kämen, eine Wahlpflicht einzuführen), dann dient Ungültig-Wählen aber schon vom Umgang mit diesen Stimmen her den großen Parteien, denn unser Wahlsystem ist genau darauf ausgelegt, derartige Protestformen zu negieren. Angenommen, bei einer Wahl wären 20% ungültige Stimmen, dann würden diese 20% genau entsprechend der Verteilung der gültigen Stimmen auf alle Parteien umgelegt, d.h. die Parteien mit den meisten Stimmen bekommen am meisten. Eine Wahloption „keinen der Genannten“ gibt es leider nicht, denn dann hätten wir wohl bald leere Parlamente 😉

  13. vCjK

    Sashs politischer Beitrag, in der Regel mit „Wir sollten uns alle mehr lieb haben.“ treffend zusammenzufassen, fällt heute ungewöhnlich scharf aus.

  14. @Wahlberliner:
    Ja, „keine der Genannten“ wäre mal was. 🙂
    Ansonsten stimme ich an diesem Punkt immer noch nicht mit Dir überein. Man sollte Bösartigkeit nicht unterstellen, wo Dummheit eine ausreichende Erklärung ist.
    Dass die politischen Probleme durchaus eine Systematik haben, will ich dabei nicht bestreiten. Aber wie ein Großteil der Leute, mit denen ich mehr oder weniger die politischen Ansichten teile, ist mir in deinem Standpunkt zu viel Verschwörungstheorie. Mir ist es zu billig, jeden „Systemvertreter“ eine eiskalte Berechnung zu unterstellen und ich halte es auch für wenig zielführend, da das Behauptungen sind, die sich mit nett Lächeln retuschieren lassen, was gemeinhin akzeptiert wird als Beweis dafür, dass jemand kein eiskalter Killer ist.
    Das ist Schwachsinn, das weiß ich auch. Aber ich halte es für einen besseren Weg, aufzuzeigen, dass Leute nett und trotzdem dumm und unfähig sein können.

    @vCjK:
    „Wir sollten uns alle mehr lieb haben.“ war in dem Fall so schlecht als Fazit zu bringen. Davon abgesehen schreibe ich ja nur so lieb, damit ich ernstgenommen werde. 😉

  15. Wahlberliner

    @Sash: Ich unterstelle denen keine Bösartigkeit – das würde ja bedeuten, dass sie wissen, dass ihre Machenschaften von vielen Leuten als „Böse“ angesehen werden. Das ahnen sie vielleicht, oder befürchten es, aber den Zugang zu einer Objektivität, um wirklich zu sehen, haben diese Menschen eher nicht (sonst könnten sie nicht weitermachen). Im Gegenteil gehe ich davon aus, dass sie das aus einer Motivation heraus machen, die sie selbst als „gut“ ansehen. Diese Leute glauben ernsthaft, dass Menschen zu ihrem besten regiert werden müssen, dass man Macht ausüben muss, und dass es möglich ist, Macht nicht zu missbrauchen. Das „doublethink“ fängt hier an, Machtmissbrauch nicht als solchen zu erkennen, bzw. ihn sich „gut“ zu reden (wie eben bei der aktuell ins öffentliche Bewusstsein geratenen Schnüffelei). Ich unterstelle diesen Menschen nicht, dass sie die (unbewusst missbräuchliche) Machtausübung bewusst und vorsätzlich zu ihrem eigenen Vorteil machen, eher dass sie glauben, es wäre zum Vorteil aller (und natürlich auch ihrem eigenen, sprich Geld). Wenn es das gesellschaftliche Gefälle nicht gäbe, und plötzlich alle Menschen gleich(viel wert) wären, so deren Mindset, dann würde die gesellschaftliche Ordnung zusammenbrechen. Deshalb arbeiten sie mit „ihresgleichen“ zusammen, um den Status Quo, von dem sie auf Kosten der Mehrheit (ohne sich darüber voll bewusst zu sein, dass dem so ist) profitieren, aufrecht zu erhalten. Das artet dann in die übliche Klüngelei aus, die hat es ja schon immer gegeben. Wobei ich durchaus damit konform gehe, dass es sich hierbei um eine Form von „Dummheit“ handelt, nicht um bewusst gewollte Böswilligkeit (denn dann würden sie es nicht machen).

    Wenn solche Gedanken aber gleich mit dem Wort „Verschwörungstheorie“ erschlagen werden, dann ist das in meinen Augen auch zu kurz gedacht, denn das ist ein „Totschlagargument“, was jegliche weitere Argumentation nicht mehr zulässt.

  16. Bernd Wachter

    Wir sind inzwischen bei grob 30 Jahren Internet — die 20 Jahre sind nur der WWW-Teil. Einige Services die heute ueber Internet gehen (wie z.b. E-Mail) sind dann nochmal 10+ Jahre aelter.

  17. @Wahlberliner:
    Sorry, ich wollte Verschwörungstheorie nicht als Totschlagargument gebrauchen. Deinen aktuellen Kommentar finde ich auch völlig in Ordnung und würde ihm zustimmen.
    Ich gebe zu, dass ich da manchmal übervorsichtig reagiere, denn dieser nicht nachweisbare Schluss „Jemand macht was -> das wirkt sich für mich/xyz negativ aus -> die wollen mir/xyz bewust schaden!“ ist einfach weit verbreitet und wird auch gerne ernst genommen. Und zwar – das finde ich wirklich das allerfatalste – so oft, dass er in berechtigten Fällen kaum ernstgenommen wird.
    Deswegen danke für den zweiten Kommentar, der hat die Diskussion bereichert und mich davon überzeugt, dass wir da auf einer Linie liegen!
    (Das wird so selten gesagt, ich wollte das mal tun. 😉 )

    @Bernd Wachter:
    Ich weiß. Ich hab es bewusst nur sehr sehr grob gehandhabt. Aber Tatsache ist auch, dass das Internet erst durchs WWW „wirklich“ Massenmedium wurde. Deswegen ist dieser Zeitraum – insbesondere für historische Vergleiche – wohl der sinnvollste.

  18. Wahlberliner

    @Sash: Hier gerade – weil heute rausgekommen – ein Interview mit einem „Elitenforscher“, worin das „SNAFU-Prinzip“* recht gut beschrieben wird:
    http://www.heise.de/tp/artikel/39/39358/1.html

    * SNAFU = Situation Normal, All Fucked Up – aus dem Wikipedia-Artikel SNAFU:
    „In der Romantrilogie Illuminatus! von Robert Shea und Robert Anton Wilson spielt das sogenannte SNAFU-Prinzip eine zentrale Rolle, welches besagt, dass innerhalb von Hierarchien Vorgesetzte und Untergebene einander wichtige Informationen gezielt vorenthalten, wodurch dann früher oder später ein totales Chaos entsteht (Situation Normal, All Fucked Up). Die Absicht der Vorgesetzten ist es dabei, einen Informationsvorsprung vor ihren Untergebenen zu behalten, während die Untergebenen, um Schwierigkeiten zu vermeiden, ihre eigenen Fehler und teilweise auch ihre Inkompetenz verschleiern wollen.“

    Diese Romantrilogie ist übrigens eines der genialsten Bücher (man muss alle 3 lesen, sind praktisch ein Buch), die ich je gelesen habe, und ich kann die jedem nur empfehlen.

  19. @Wahlberliner:
    Hab Illuminatus lange nicht mehr gelesen, hab kaum Erinnerungen dran, muss ich zugeben.
    Allerdings tendiere ich bezüglich der Gesellschaft auch eher zu der Ansicht, dass ich das Peter-Prinzip durchgesetzt hat, weniger das SNAFU.

  20. Wahlberliner

    @Sash: Ich denke nicht, dass sich – gerade in der gesellschaftlichen Hierarchie, die ja nicht aus einer geschlossenen Organisation besteht, worauf basierend das Peter-Prinzip formuliert wurde – das Peter-Prinzip und das SNAFU-Prinzip gegenseitig ausschließen. Ich denke eher, dass das zwei komplett unterschiedliche „Dimensionen“ sind, die man beide auf beliebige Menschen-Gruppen anwenden kann, die aber nicht direkt in Bezug zueinander stehen. Vor allem auch, weil das SNAFU-Prinzip einen beliebigen Ist-Zustand betrachtet, während das Peter-Prinzip sich ja gerade mit den Veränderungen der Ist-Zustände (Beförderung zur Position der größten Unfähigkeit) beschäftigt. Zudem ist, wenn man die Gesellschaft als ganzes betrachtet, der Auf- und Abstieg darin von völlig anderen Faktoren abhängig, als es beim Auf- und Abstieg innerhalb einer geschlossenen Organisation wie einem Unternehmen oder einer Behörde ist.

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