Wir hatten Befürchtungen gestern. Als getwittert wurde, die Antifa-Demo träfe sich vor der „Goldschmiede“ – ein sehr kleiner Laden am S-Bahnhof Marzahn – hatten wir 40 einsame Hansel vor Augen, umringt von mindestens 200 Polizisten. Stattdessen ist aber etwas sehr schönes passiert: Locker 500 Leute standen da, wir konnten uns farblich mit unseren schwarzen Klamotten der Mehrheit zugehörig fühlen und die Stimmung war gut.
Es hat nach wie vor etwas unwirkliches, den eigenen Kiez als Veranstaltungsort zu erleben, aber ich möchte ein fettes Danke an die vielen zugereisten Antifas richten, die – je nachdem, welchen Zahlen man glauben möchte – gestern dafür gesorgt haben, dass unsere Demo größer war als die der Nazis. Das war gut, wichtig, richtig – und vielleicht verhindern wir den braunen Spuk nächste Woche ja sogar mal wieder. Mir wäre viel daran gelegen.
Ganz ohne Kritik kann ich das Ganze aber nicht stehen lassen, sorry. Ich hab mich mal wieder in keinem Redebeitrag wiederfinden können. Da steckte am Ende dann doch immer dieses „Ihr arme Marzahner!“ dahinter, das den Bezirk eiskalt in Nazis und Unbeteiligte aufgeteilt hat und stets ein wenig arrogant klang. Ich will nicht das Engagement der Zugereisten in Frage stellen und freue mich über jeden, der da war; aber die Rhetorik hat auch den Faschos in die Hände gespielt, die ja weiterhin behaupten, die „wahre Meinung des Volkes“ vor Ort zu repräsentieren. Ein Bewusstsein dafür, dass das ebensowichtig wie andere Kommunikationsnormen ist, scheint noch nicht vorhanden zu sein. Denkt da mal drüber nach.
(Siehe hierzu auch meinen Artikel Außerirdische in #MaHe)
Die Demo war spaßig, überwiegend lautstark, am Ende hat also eigentlich alles gepasst. Ein wenig angefressen hinterlassen mich allerdings die Naziprolls an der Raoul-Wallenberg-Straße. Dass sich ein Haufen Vollpfosten an eine Antifa-Demo ranpirscht und dann rumproletet … das kommt vor. Dass sie allerdings bis auf ziemlich wenige Meter herankommen – ohne dass irgendwo ein Polizist in der Nähe ist, das ist schon erstaunlich.
Es ist jetzt nicht so, dass ich mich um die Gesundheit von Nazis sonderlich schere. Schon gar nicht um die von solchen Spezialfällen, deren Tagesform davon abhängt, ob es das Bier beim Aldi gerade im Sonderangebot gibt. Aber wir hatten da konservativ geschätzte 500 Antifas, 20 Nazis und null Polizei dazwischen. Und das für weit mehr als 30 Sekunden. Dass da kein Rettungswagen kommen musste, ist wirklich ausnahmslos dem ruhigen Gemüt (und sicher auch der Überraschung) auf unserer Seite zu verdanken gewesen. Die polizeiliche Organisation hinterlässt mich hier wirklich einmal mehr mit einem Fragezeichen auf der Stirn.
Zudem: Raoul-Wallenberg-, Ecke Lea-Grundig-Straße? War da nicht was?
Ja. In den letzten Wochen kam es neben den Demos vermehrt zu Angriffen von Nazi-Hools auf vermeintliche Gegner. Und zwar fast immer zwischen der Lea-Grundig-Straße und dem Freizeitforum (100 m entfernt). Ist das vielleicht „nur“ eine Clique besoffener Nazis, die da den Kiez terrorisiert?
Aber wie dem auch sei: Es ist erschreckend, dass die sich inzwischen sicher genug fühlen, um auch zahlenmäßig weit überlegene Gruppen zu provozieren, vielleicht sogar anzugreifen. Das ist nicht mehr normal. Auch „hier draußen“ in Marzahn nicht!
Für nächste Woche wird schon mobilisiert, und das ist gut so. Das heute war – insbesondere nach letztem Montag – toll. Aber das muss auch so weitergehen! Nazis sind hier kein kleineres Problem als anderswo! Marzahn bleibt bunt!
Haha ja, diese Nazis mit ihrem Bier. Während die Antifa dafür bekannt ist, nur aus den höchsten Bildungskreisen zusammengestellt zu sein, durchgängig sozialversicherungspflichtiger Arbeit nachzugehen und höchstens mal mit einem Glas 1997er Château Mouton-Rothschild in der Hand gesehen wird. Die crème de la crème der Gesellschaft, friedliche und eloquente („Kein Bock auf Nazis“, „Kein Sex mit Nazis“) Kulturbürger.
@Hans-Uwe:
Haha ja, mein Text, der sich ausschließlich auf Alkohol beruft. Im Gegensatz zu total unterhaltsamen Naziseiten, deren Diskussionskultur unsere Gesellschaft mit mangelhafter Rechtschreibung anstelle von haltbaren Argumenten unterstreicht!
Und bei „Kein Sex mit Nazis“ mag die Eloquenz den aufgebrachten Internetnutzer vielleicht nur teilweise befriedigen, es ist aber weiterhin eine sinnvolle Handlungsanweisung, die effizient wesentliche politischen Probleme dieses Landes lösen würde. Das soll uns mal einer nachmachen. 😉
Auch wenn es bisher nur für Berlin ist, vielleicht ist die App vom Verein für demokratische Kultur in Berlin e. V. für den ein oder anderen interessant:
https://play.google.com/store/apps/details?id=de.berlin_gegen_nazis.app
Ich finde es erschreckend, dass sich die braune Suppe immer mehr an das Bürgerliche anpasst und so nach und nach immer mehr Platz in unserer Gesellschaft bekommt. Die Sätze beginnen dann ja gerne mit „Ich hab ja nix gegen …, aber“ und enden mit „das wird man ja wohl noch sagen dürfen“. Überraschung, aber Oma bekommt auch dann nicht mehr Rente, wenn es keine Flüchtlinge hier gäbe – und ein Nachwuchsproblem haben wir auch, also brauchen wir Zuwanderer und viele, die sich die Flucht leisten können, sind gut ausgebildet, dürfen hier aber nicht arbeiten und „liegen uns deshalb auf der Tasche“
Und auch wenn es in der Antifa sicher auch nicht ganz so helle Kerzen auf der Torte gibt, so ist meiner Erfahrung nach es eher so, dass mit zunehmenden Bildungsstand die politische Haltung von Mitte/Links bis Links weiter verbreitet ist als das braune Gedankengut (oder der gebildete Nazi hält sich mit seiner Meinung eher zurück).
Die Antifa meiner Stadt bestand zu meiner Zeit aus durchschnittlich mittelständischen, politsch informierten Menschen, die streng auf Verhaltenskodizes achteten. Das war mir irgendwann zu anstrengend.
Aber von versoffenen Trotteln war da wenig zu sehen, das waren eher die Punks und das war auch gut so. Schon komisch diese Coexistenz der beiden Gruppen, wenn mal drüber nachdenkt. 🙂
Viel Erfolg in Marzahn, Sasch! Gute Sache.
Oh, vergessen paar Feldchen auszufüllen.