So, das Wochenende war stressig, aber nun ist es – zumindest arbeitsmäßig – vorbei. Es gibt einiges interessantes zu schreiben, aber das muss noch ein wenig warten. Es ist 7 Uhr in der Frühe am 27. September und es ist noch rund eine Stunde, bis die Wahllokale öffnen.
Inzwischen habe ich mich auch entschieden, wie ich wählen werde – und da ich selten einen Hehl aus meiner Meinung mache, kann ich ja auch schreiben, dass die Piraten eine Stimme von mir bekommen.
Ich sag’s ehrlich: Die Entscheidung ist mir verdammt schwer gefallen, und „rundum glücklich“ ist vielleicht auch nicht der Begriff der Wahl, wenn ich diese Stimmabgabe bewerten soll. Dennoch kann ich die Entscheidung vor mir vertreten und sehe keinen Grund, das Ganze zu bereuen.
Mir ist klar, dass die Piraten ein gewissermaßen fragmentiertes Programm haben, und das birgt ebenso wie die Tatsache, dass dort vielerlei verschiedene, zum größten Teil unerfahrene Menschen ihr Unwesen treiben, ein Risiko. Aber um es einmal mehr zu betonen: Wie schief soll es gehen? Ich bin zwar auch der Meinung, dass jetzt nicht unbedingt ein Töffel, der sich nicht einmal erkundigt, welcher Zeitung er ein Interview gibt, Außenminister werden sollte- aber bei aller Hoffnung auf einen Erdrutschsieg einer Protestpartei glaubt sicher auch niemand, dass der Posten frei werden würde.
Protestwahl ist ein bescheidenes Mittel, mit Hilfe der Demokratie eine Regierung abzustrafen – keine Frage. Politik sollte etwas Konstruktives sein, der Meinung bin ich auch. Aber seit ich pünktlich nach der Abwahl der ewigen Bundesbirne 1998 selbst wählen kann, bin ich es leid, mir jedes Mal die Haare zu raufen, wenn ich politische Entscheidungen mitverfolge. Ich bin nicht mehr klein und dumm und ich weiss sehr wohl, dass Politik oftmals auch kleiner Schritte bedarf. Aber die ganzen „etablierten“ Parteien, von denen sowieso höchstens die Grünen (und auch die fast nur noch auf dem Papier) ein paar brauchbare Werte vertreten, ist in den letzten Jahren nichts ausgegangen, was ich gutheißen kann.
Natürlich geht es Deutschland an und für sich gut. Verdammt, diesem Land geht es richtig gut. Dass das ein Großteil der Bevölkerung nicht wahrhaben will, weil die Preise für Mittelklassewagen steigen, sagt doch schon alles!
Aber dennoch fließt das Geld mehr oder minder ununterbrochen von „unten“ nach „oben“ und das was einst Grundrechte waren, wird in verschiedenster Form beschnitten. Wenn ich mir die Entwicklungen in Punkto Sozialgesetzgebung, Asylrecht und Persönlichkeitsrechten ansehe, dann muss ich mich doch fragen, wie weit das noch gehen soll. Ich meine, wie bezeichnend ist es bitte, dass sich die zutreffendste Prognose des heutigen Stands der Persönlichkeitsrechte und des Datenschutzes in den 11 Jahre alten Ausgaben einer linken Untergrundzeitschrift namens radikal finden lassen? Das sollte gerade für die eine Warnung sein, die sonst nichts mit linkem Gedankengut anfangen können.
Aber gut, ich bin ziemlich angepisst davon, dass Banken saniert werden, während die Bild auf HartzIV-Empfänger eindrischt. Das ist nicht außergewöhnlich, und seit dem 15. September 2008 sind wir ja alle ein bisschen kapitalismuskritisch. Blabla…
Was könnte ich denn bitte wählen?
Für den rechten Rand ist mir der Platz für Gegenargumente zu schade, bei der Union kotzt es mich schon an, dass sie weiterhin zwingend am traditionellen Familienbild festhalten und auch noch Realpolitik dran koppeln (an die heile Welt glauben dürfen sie natürlich meinetwegen). Die SPD ist zu sehr mit sich selbst beschäftigt, trauert ihrer Vergangenheit nach und sieht auch noch hilflos zu, wie die CDU mit kleinen Zuckerchen bei ihren Stammkunden wildert. Die Grünen mögen gute Ansätze haben, haben aber letztlich fast überall fast alles abgenickt, was von ihnen gefordert wurde. Bei aller Liebe zu Kompromissen gehen die mir ein paar hundert Lichtjahre zu weit. Die Linke ist niedlich und wenn sie nicht so stur daran glauben würden, dass ihre Forderungen ohne ernstliche Änderungen umzusetzen sind, wären sie vielleicht wählbar. So aber eher nicht. Die FDP habe ich mir schon überlegt zu wählen, weil es die Partei wäre, die am kompromislosesten den Kapitalismus durch Überfütterung zum Einsturz bringen könnte – aber abgesehen davon, dass sie bei den ersten Krisenanzeichen in der Regierungsverantwortung alles unterschreiben würden, was Mama Merkel will: Nach den ersten erfolgreichen 6 Monaten würde ich an Westerwelles Dauergrinsen sterben. Von den Kleinparteien bleiben nicht mehr viele übrig, weil ich weder Kommunist (DKP) bin, noch ein Kommunist ohne eigene Ideen (MLPD) und weder Rentner, noch Tiere, noch Autofahrer für sonderlich amüsante Einzelthemen halte. Die APPD tritt nicht an, obwohl sie mit dem Balkanisierungskonzept wenigstens eine interessante Idee haben, wenn man sie sich mal nüchtern anschaut.
Ergo: Die Piraten…
Und ich bleibe dabei: Ich treffe meine Wahlentscheidung nicht nach persönlichen Vorteilen! Dass ich viel im Netz unterwegs bin, ist bei der Wahl zweitrangig. Wenn ich Wert auf meine Anonymität legen würde, dann könnte das niemand lesen. Ich fall als „guter Deutscher“ zumindest aus dem aktuellen Terroristenraster und bei Pornos bin ich erschreckend konservativ, sodass mich wahrscheinlich auch keine Stoppschilder nerven würden. Selbst Werbung nehme ich eigentlich gelassen hin, und wenn eben mal was wirklich beklopptes kommt, dann blogge ich drüber. Für gute Musik zahle ich gerne was, und ich halte mich für versiert genug, illegal auch woanders welche herzubekommen. Das Urheberrecht finde ich in Teilen gut, in anderen Teilen schlecht – selbst wenn ich mal ein Buch schreiben werde, kann ich mit oder ohne Piraten mit den Konsequenzen leben. Was besseres fällt mir dennoch nicht ein. Nirgendwo sind die Konvergenzen größer, der Ekel kleiner und die Glaubwürdigkeit höher.
Und wenn sich durch die Wahl der Piraten nichts ändert, dann… sieh einer an:
Ist das doch auch nicht schlimmer, als wenn ich eine „vertrauenswürdige“ Partei gewählt hätte.
Auch von mir natürlich der wichtigste Satz zum Abschluss: Wählt, was ihr wollt! Aber überlegt es euch gut!