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Kämpfen

Im Grunde bin ich, sind wir, keine Kämpfer. Kein Krieg, keine Armut und eine doch recht priviligierte Stellung in der Gesellschaft; es hätte uns um vieles schlimmer treffen können. Das wissen wir, das weiß ich und das muss ich voranstellen, wenn ich übers „Kämpfen“ reden will.

Aber der Umzug gerade nervt so unendlich und es fühlt sich an wie ein Kampf.

Natürlich: Das kam alles recht plötzlich und ein Umzug in eine andere, 600 km entfernte Stadt hat natürlich nochmal einen eigenen Schwierigkeitsgrad. Das wussten und wissen wir und sind auch entsprechend darauf eingestellt und motiviert. Man muss arbeiten ohne Ende und tausend Dinge im Kopf behalten, bla bla, wir sind ja nicht die ersten, die das machen. Noch dazu innerhalb Deutschlands, innerhalb der Komfortzone, möchte man meinen.

Was aber nervt: Gefühlt NIEMAND will einem helfen. Und mit helfen ist nicht gemeint, dass irgendwer uns das zahlt und gleichzeitig die Koffer trägt. Sondern dass alle, mit denen man zwangsläufig zu tun hat, gefühlt gegen einen arbeiten. Ohne Not.

Das fängt damit an, dass mein Arbeitgeber mich ungerne gehen lassen will und mir gleichzeitig ein Zeugnis ausstellt, das von einem Clown geschrieben sein muss, weil mein Anwalt deswegen lachen musste. Und mir zudem bis zuletzt verweigert wurde, ein Datum zu nennen, zu dem ich wirklich aufhören kann zu arbeiten.

Natürlich hat die derzeitige Kita vom Spätzle genau jetzt Sommerferien.

Dann meckert die Arbeitsagentur, dass ich mich ZU FRÜH melde.

Dass sich am künftigen Wohnort keine Kita finden lässt, wird zwar nett kommentiert, führt aber zu Behörden-Ping-Pong.

Unsere bisherige Vermieterin stellt natürlich auch Maximalforderungen und muss an die (seit Jahren) neue Regelung bezüglich unrenoviert übernommenen Wohnungen behutsam herangeführt werden.

Unser Internetanbieter schickt den neuen Router trotz gegenteiliger Absprache zu früh an die noch nicht bezogene Wohnung und der Vermieter dort will Schäden auch erst beheben, wenn wir da sind, weil es sich ja nicht gehört, nach der Übergabe noch einmal reinzuschneien.

Bei Ozie zieht sich das mit dem notwendigen Aufhebungsvertrag, weil alle im Urlaub sind und Ärzte, die das Knöpfle impfen würden, haben natürlich auch keine passenden Termine.

Der Baumarkt hat entgegen der Behauptungen auf der Website kein Same-Day-Delivery und zudem erst eine Woche später überhaupt mal einen anmietbaren Transporter für den neuen Bodenbelag, der potenzielle Verkäufer von Standherden am anvisierten Samstag zu.

Alles davon ist für sich nicht schlimm und/oder erklärbar. Aber es fühlt sich einfach an, als müsse man mit jeder Mail, mit jedem Telefonat gegen irgendwen ankämpfen anstatt einfach Dinge zu besprechen und zu regeln.

Für die meisten oben genannten Leute und Institutionen ist das ein Standardfall oder eine Alltäglichkeit. Menschen ziehen um, zack, Schublade 47/3. Trotzdem treten wir immer als Bittsteller auf, müssen uns rechtfertigen, entschuldigen, erklären.

Ich hab in den letzten Jahren vielfach meinen Frieden gemacht mit der Bürokratie, aber wenn ich jetzt noch einmal hören muss, dies oder das sieht „das System“ nicht vor, dann überdenke ich die radikalen Optionen noch mal, echt jetzt!

Wie gesagt: Uns geht es eigentlich gut und Unterdrückung sieht anders aus. Aber auch das jetzt kann auf Dauer zermürben. Gerade mit Kindern. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir da alleine sind. Dass wir alleine gelassen werden, das wissen wir seit Corona ja aber sowieso.

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Gehirnchen

Ich bin ja immer mehr baff, was das kleine Spätzle inzwischen alles kann. Selbst, bzw. gerade beim Sprechen, wo es ja eher nur so mittelfrüh angefangen hat, kann man den Synapsen quasi beim Wachsen zusehen. Ich hätte nie gedacht, was so ein Zweijähriger alles verarbeiten kann. Natürlich mit Lücken bei der Aussprache, aber sonst: Holla die Waldfee!

Mal als Beispiel: Nach einer kurzen Erklärung von uns – die nötig war, weil er die alte kaputte Kaffeemaschine sehr vermisst – erzählt er jetzt gerne auf Nachfrage, dass ich die alte Maschine zum Recyclinghof in einen Container gebracht habe und die dort eine Neue draus machen.

Noch geiler sind aber die Momente, wo man erkennt, WIE seine Welt zusammenhängt und wo die Grenzen liegen.

So kam es vor ein paar Wochen, dass er mir beim Spielen seinen Eimer für die Bauklötze auf den Kopf gesetzt hat und nach einem kurzen Blick wie eine Maschine zu singen begann:

„Bogsag Ebogsag, Papaa! Glück gehabt!“

Sieh an, in der Kita kriegen die Geburtstagskinder also offenbar eine Krone aufgesetzt. Geburtstag, Geburtstag, so viel Text konnte er sich merken. Und dann – und da zerfließe ich innerlich ein wenig – ist ihm das Wort Glückwunsch offenbar noch nicht so geläufgig und er verwendet die einzige ihm bekannte ähnliche Formulierung von uns: „Glück gehabt“.

Es ist so grandios!

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Abenteuer im Kopf

Zweieinhalb Monate im neuen Job – und schon habe ich eine Ahnung davon, warum ich als Nachtschicht-Taxifahrer jahrelang einen interessanten Blog betreiben konnte, man solche über Bürojobs aber eher selten findet: Es ist anstrengend und auch deutlich schwieriger. Und wenn es nur deswegen ist, dass sich natürlich in so einem Umfeld kein Kollege irgendwo – und sei es anonymisiert – im Netz wiederfinden will. Von der Leitungsebene ganz zu schweigen.

Nicht, dass es nicht genug interessantes von meiner neuen Arbeit zu berichten gäbe – wie üblich sogar vieles, das einer Verbesserung des Rufes zuträglich wäre – aber vermutlich müsste man schon aus Schweigevereinbarungsgründen etliche Anträge stellen, über die sich bis Mitte der 2030er nicht einmal jemand sicher wäre, wer sie bearbeiten darf. Manchmal ist Verwaltung halt einfach, wie man sich Verwaltung vorstellt.

Andererseits in meinem Fall natürlich auch wieder gar nicht, denn ich habe wirklich großes Glück, in der wohl verwaltungsunähnlichsten Abteilung zu arbeiten, die die Verwaltung so mit sich bringt und unser Tagesgeschäft doch deutlich spannender ist als das, was sich die meisten unter einem Bürojob vorstellen. Und die Krawattendichte ist auch deutlich geringer. Noch was: Ich hab nachgeschaut: Alleine die Grafikkarte meines Arbeitsplatzrechners kostet etwa so viel wie mein Low-Range-Gaming-PC* und doppelt so viel RAM hat er auch. Aber für die Verkehrslernsoftware GTA war dann wieder kein Geld da! 🙁

Trotzdem: 38,4 Stunden + ca. 12 Stunden Arbeitsweg pro Woche hauen auch mengenmäßig so rein, dass am Ende des Tages wenig Elan zum Bloggen bleibt. Nicht, dass die Zeit nicht da wäre, aber ich will ehrlich sein: Wenn ich nach der Nachtschicht und der Heimreise das Spätzle in die Kita gebracht habe und mir noch 7 Stunden zum Schlafen bleiben, ich davon eine als Computerzeit abknapse … dann spiele ich lieber GTA, als ins Internet zu kloppen, wie müde ich bin.

Die Schichtarbeit selbst kommt mir gerade irgendwie noch ganz recht, weil es einfach eine gehörige Portion Abwechslung in den Tagesablauf bringt. Dass ich jetzt gerade** für die Frühschicht um kurz nach 3 Uhr aufgestanden bin, ist sicher alles andere als toll und jeden Tag würde ich das nicht machen wollen – aber für zwei Tage und dazu als Kontrast zur Nachtschicht letzte Woche ist das schon echt ok.

Die Frühschicht bringt mich auch am ehesten völlig aus dem Takt, denn abends um 21 Uhr ins Bett gehen ist so dermaßen gegen meinen natürlichen Rhythmus, dass es eigentlich nur klappt, weil ich es im Grunde zur Abwechslung lustig und absurd finde. Was mein Gehirn auch ganz sportlich zu interpretieren weiß. Die ersten Stunden meines Schlafes vorher zum Beispiel bin ich ungelogen 20 bis 30-mal aufgewacht. Um dann festzustellen, dass ungelogen erst zwei Stunden vergangen waren. Das ist natürlich in erster Linie extrem ungesunder Schlaf und etwas, das wirklich nur vereinzelt und nur zum Nacht-Früh-Wechsel auftauchen sollte, aber es war auch faszinierend, weil ich während der Zeit ernsthaft was geträumt habe. Und da kommen wir dann auch zum Titel, denn irgendwie scheint mein Hirn immer noch so ein kleines Bisschen kreativ sein zu wollen und hat mir eine wunderbare Traumlandschaft aufgetan, in der ich mich auf eine abenteuerliche Fahrradtour mit meinem Bruder begeben habe. Wir sind mit zu knappen Ressourcen und verletzt in absurden Künstlerkolonien gelandet, die obskurste Bedingungen und Angebote für Übernachtungen gestellt haben. An einem Ort gab es beispielsweise einen Band-Kapu*** kostenlos dazu, wenn man eine Nacht übernachtet, dabei aber seine Rucksäcke als Materiallager der Rezeption überlässt.

Da war er dann mal wieder: Der Gedanke: Das musste aufschreiben! Der hat mich wie gesagt in letzter Zeit nur selten gestreift..

Tatsächlich wäre natürlich auch das Spätzle stets berichtenswert. Er lernt gerade mit beeindruckender Geschwindigkeit sprechen, entwickelt dabei ein so faszinierendes Vokabular, dass gerade ich als sprachinteressierter Mensch nur staunen kann. Aber kaum, dass man das getippt hat, wird er wieder mal krank, man muss den Arbeitstag abbrechen, alles umorganisieren und weiß kaum noch, warum man gerade etwas darüber schreiben wollte, wie lustig es ist, dass er neben den üblichen Ein- bis Zwei-Wort-Sätzen in der Kita ein erstaunlich ironisch klingendes „Was ist das?“ aufgeschnappt hat, das er nun empört immer dann fragt, wenn gerade mal keine Straßenbahn auf dem Bild zu sehen ist, das er untersucht.

Es ist furchtbar anstrengend und es ist 3.30 Uhr. Mehr muss man eigentlich nicht wissen. Deswegen also so wenige Blogartikel.

*bevor da jetzt irgendwer wieder mosert: Ja, bei den Rechnern ist teilweise Luft nach unten, aber die werden für 24/7-Live-Video-Rendering gebraucht, Geldverschwendung prangert man dann doch besser woanders an.

** „jetzt gerade“ ist schon ein paar Tage her, ich schreibe den Artikel tatsächlich in Etappen.

*** Eigentlich war es ein Kapu, der die Warped-Tour ’97 beworben hat, aber wer kann sowas heute noch einordnen?

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Wochenende

In diesen Minuten schleicht das Wochenende aus. Die ersten zwei Arbeitswochen mit rund 40 Stunden pro Person sind ausgestanden, so ganz überzeugt sind wir vom Konzept allerdings noch nicht. Denn das ist irgendwie ganz schön wenig Freizeit, insbesondere wenn man nebenher noch mit dem weltbesten Spätzle kämpfen muss.

Und das müssen wir wirklich. Beim Abendessen heute haben wir wieder einmal festgestellt, wie unfuckingfassbar anstrengend sowas simples wie ein Essen mit einem Einjährigen sein kann. Obwohl er eigentlich total lieb ist und sogar die Hälfte des Tischdeckens übernimmt. Denn das tut er. Teller, Besteck, Brot und diverses Zeug kann man ihm in der Küche in die Hand drücken und er bringt es ins Wohnzimmer und stellt es dort auf den Tisch. Und hat deutlich mehr Spaß dabei als wir es hätten.

Beim Essen dann sieht das teilweise ganz anders aus. Sobald sein Hunger etwas nachlässt, klettert er vom Stuhl auf den Tisch, schiebt Essen und Gegenstände umher, spuckt bisweilen schwierig zu kauende Nahrung einfach wieder aus und zu guter Letzt fängt er irgendwann an, alles vom Tisch zu schmeißen, was er nicht mehr essen will. Da hat auch noch kein Gegenmittel gefruchtet bisher.

Man nimmt das ja im Laufe der Monate recht gelassen hin und plant den Aufwand einfach mit ein. Aber wenn man dann doch mal etwas Ruhe findet, stellt man fest, wie absurd es ist, dass der persönliche Wunschzustand bei einer Familienmahlzeit im wesentlichen der ist, bei dem einfach kein Essen absichtlich auf den Boden geworfen wird. Nicht einmal, dass nichts dreckig wird, nichts runterfällt oder so. Einfach nur, dass nichts absichtlich geworfen wird. Erholung von einem Bürojob sieht anders aus.

Mit meiner Arbeit selbst sieht es allerdings erst einmal sehr gut aus. Trotz des unschönen Schichtplanumschmisses letzte Woche. Ich hab jedenfalls schon mehr Ampeln geschaltet und Tunnel gesperrt als ich mir für diesen Zeitpunkt erhofft hatte. Das könnte was werden mit mir und dem öffentlichen Dienst. 🙂

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Hallo Mama

Ich weiß, dieser Text kommt ein paar Tage zu spät. Ich bin sicher, dass das bei 10 Jahren nicht so viel ausmacht, da kennen wir alle schlimmeres von der Bahn.

Ja, 10 Jahre. Wahnsinn, oder?

10 Jahre – und ein paar Tage, wie gesagt – ist es jetzt her, dass Tobi mich angerufen hat. Tobi, mit dem ich schon lange keinen Kontakt mehr habe, weil er inzwischen dazu übergegangen ist, Nazis zu wählen und das auch noch im Internet feiert. Du hast auch ein paar ziemlich eklige Wörter gebraucht vor 10 Jahren, aber solche Arschlöcher wie sie dein Schwiegersohn heute wählt, die hättest auch Du vermutlich als Arschlöcher und Nazis erkannt. Aber es hat sich halt viel geändert in diesen 10 Jahren. Das soll Dir dein Mann erklären, der ist ja jetzt bei Dir und es ist schließlich sein Sohn.

Das Wichtigste für uns beide damals war der Grund für Tobis Anruf: Dein Körper hat nicht mehr mitgemacht. Wir wussten das vorher, wir beide, wir alle. 15 Bier am Tag. Kann man eine Weile machen, aber halt keine Ewigkeit.

Sophie und ich wollten euch noch besuchen, ehrlich. Aber so lange hast Du nicht durchgehalten. Das ist ok. Oder zumindest besser als wenn damals dein Suizidversuch geklappt hätte, als ich Dich auf den Rückfall angesprochen hatte.

Es war sehr traurig und auch sehr chaotisch damals in 2009. Wir waren alle da, haben irgendwie zwischen den Tränen alles geregelt und ich weiß, dass es ok war, dass wir zwei Wochen später zu der von Dir gewünschten Seebestattung nicht mehr gekommen sind. Du wusstest ja selbst, wie das Leben mit wenig Geld aussieht.

Da kann ich Gutes berichten. Geld ist gerade genug da. Wir arbeiten jetzt beide im öffentlichen Dienst, mal sehen wie lange das gut geht …

Aber das wollte ich gar nicht erzählen.

Dabei ist genau das das, was mir fehlt: Dir Dinge erzählen zu können. Weder Du noch ich haben Vollzeit aneinander gedacht damals. Das hätte sich in den 10 Jahren auch nicht geändert. Aber ich hätte Dir so gerne von meiner Hochzeit mit Sophie erzählt. 2011 war das und ich hätte mir sehr gewünscht, dir all die Grüße aus deiner ehemaligen Stammkneipe ausrichten zu können, so zynisch das in Anbetracht deiner Krankheit klingen mag.

Ich hätte Dir auch gerne mein Buch geschenkt. Ich hab nämlich ein Buch geschrieben! Ein lustiges. Übers Taxifahren. War kein großer Hit, aber es ist ein Buch mit meinem verdammten Namen auf dem Cover!

Am Allermeisten aber würde ich mir wünschen, ich könnte Dir deinen ersten Enkel vorstellen. Der schläft gerade nebenan. Er ist anderthalb Jahre alt und hat Fieber und ich werde ihn trösten und kann das auch echt gut, aber ich würde ihm eigentlich auch eine Oma wünschen. Wir haben ihn nicht nach irgendwem aus der Familie benannt, aber der kleine Held würde Dir gefallen. Ob er was von Dir hat, kann ich nicht sagen, wir sind schlecht darin, sowas zu erkennen. Er ist halt wie er ist und das ist super so. Mehr als das sogar. Das weiß ich ganz sicher.

Ich weiß auch, dass Du mir zustimmen würdest, wenn ich sage, dass dieser Brief eigentlich keinen Empfänger mehr hat. Das ist ja das Problem. Es sind jetzt 10 Jahre und Du fehlst trotzdem noch.

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Beim Müller

Ich hab nie groß was über eine eigentlich sehr prägende Phase meines Lebens geschrieben, also zumindest nie in der würdigen Zusammenfassung, die sich am Vermieter aufhängt. Nein, ich meine dieses Mal nicht die legendäre WG bei Dieter, sondern meine Jahre zuvor, in denen Herr Müller – ich wünschte, es wäre eine einfallslose Verfremdung! – der Vermieter meines Vaters und seiner Freundin war.

Wie wir da hingeraten waren, verstehen heute vor allem Berliner, die plötzlich in einem Klo aufwachen, das ihre ganze Wohnung ist, aber 1299 € im Monat kostet, einfach weil Kreuzberg: Der beschissene Wohnungsmarkt. Mein Vater hatte so um 1995 rum das Problem, dass ein ziemlich großer Bandwurm in Sohnesgestalt in seinen Frisch-Geschiedenen-Haushalt eingezogen war und er sich zudem noch eine neue Freundin zugelegt hatte. Ich hab selbst gute Erinnerungen an die Zeit, aber das Wohnzimmer maß vielleicht 11 m², mein Zimmer 9 und das meines Vaters 8. Die Küche mit eingebauter Dusche (!) waren die restlichen 4, die nicht auf Flur und Klo entfiehlen. Trotz der guten Erinnerung an die Zeit: rückblickend verstehe ich, dass er schnell raus wollte. Zumal die Wohnung der Freundin ähnlich klein, nur auch noch ohne Pennplatz für meine Bandwürmigkeit war.

Er hätte damals trotz passablem Einkommen gerne eine größere Wohnungsauswahl gehabt, aber der Markt war da schon so hinüber, wie Berliner das heute noch kaum erahnen. Selbst wenn die Preise andere sein mögen: Wir haben mal eine Wohnung nicht bekommen, weil mein Vater und seine Freundin nicht verheiratet waren!

Ich wünschte, diese Anekdote wäre unwichtig, aber man muss sich vor Augen halten, dass er beim Müller damals eingezogen ist, obwohl die Wohnung rund 5 Kilometer vom Lieblingsstandort entfernt war und er besagten Vermieter ein paar Tage nach dem Erstgespräch um unser Haus schleichend aufgefunden hat, was dieser erschreckend ehrlich damit begründet hat, dass er halt mal gucken wollte, wer dieser beim Gespräch nicht anwesende Sohn sein sollte …

„Ned, dass da so oiner mit blaue Haar …“

Die Ironie der Geschichte wollte es wohl so, dass ich Punk-Musik erst im Hause Müllers zu schätzen gelernt habe. 😉

Wir wohnten im ersten Obergeschoss. Über uns die zwei jüngeren Söhne (so um die 14) mit der Mutter (?), unter uns Herr Müller mit Blumenladen – der sich direkt unter meinem Zimmer befand. Ich bewohnte wirklich ein paar Jahre das Zimmer über einem Blumenladen!
Und im ersten von zwei Kellergeschossen war der volljährige Sohn nebst den üblichen Stau- und Hobbyräumen untergebracht. Geiles Setting! Weniger aus unserer „Eindringlingssicht“, aber es war Bombe!

Als Soundtrack der früheren Tage ist mir neben Punk vor allem Nas mit unglaublicher emotionaler Präsenz im Kopf:

Mehr als das ging damals gar nicht. Da waren sich OG 1 und 2 einig!

Nicht, dass wir viel Ahnung davon gehabt hätten, was da gerappt wurde, aber ich muss anmerken, dass uns das vielleicht seltsam vorgekommen wäre, wir aber auch beileibe keine rassistischen Mittelstandskids waren. Immerhin.

Wirklich geil gemacht hat die Jahre aber am Ende doch nicht der Soundtrack, sondern die Zock-Sessions im Keller beim großen Sohn. Er 18, ich 16, mein und seine Brüder 13 und 14. Grundausstattung war eine PlayStation – die damals niemand Playsie genannt hätte! – die Spiele „Resident Evil“ und ganz besonders „Tekken 2“. Dazu ein paar Elephant-Bier und für die, die damals schon rauchten (erstaunlicherweise alle außer mir) gab es Kippen. Und um Bier und Kippen wurde Tekken gezockt. Im Bett und den Stühlen daneben, eingequalmt und mit Vorhängen aus den 70ern. Es war so furchtbar und gleichzeitig so geil, wie es sich anhört.

Ich bin in meinem Leben glücklicherweise in allen Belangen weit über diesen Punkt hinausgelangt, aber ich würde lügen, würde ich diesen Punkt als Wiedereinstieg bei einer Zeitreise komplett ausschließen. Wir hatten wirklich einen Haufen Spaß da unten.

Unser Vermieter blieb so komisch wie er seit jeher war. Wir kamen zum Beispiel mal aus dem Urlaub und fanden plötzlich einen Einbauschrank im Flur vor. Im Wesentlichen ein Schuhschrank, der zudem als Verkleidung einiger hässlicher Rohre diente. Hatte er uns einfach mal eingebaut, weil das irgendwann in den letzten drei Jahren mal so eine Idee war. Während unser Kabelanschluss weiter auf sich warten ließ.

Aber während „Vadder“ hier und da kuriose Vorstellungen von Söhnen mit blauen Haaren hatte, hat der älteste Sohn – in wenigen Momenten durchaus auch mal mit mir – gekifft wie das letzte Voll-Opfer. Ist mir alles als Beispiel für die gerne hergenommene gut-bürgerliche Fassade im Kopf geblieben. Aber will ich rückblickend meckern? Nee, eigentlich gar nicht!

Der Müller mag ein Idiot und Arschloch gewesen sein, aber er hat mir mein Leben immerhin nicht versauen können. 😉

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Einschlafbegleitung

Wir stillen das Spätzle gerade ab, und da es noch nicht sehr gut darin ist, trotz Anwesenheit der Mama nicht an Milch zu denken – und weil es nach anderthalb Jahren mal wenigstens etwas Geschlechtergerechtigkeit in diesem Punkt bringt – bin ich gerade dafür zuständig, den Kleinen zum Schlafen zu bringen.

Ja, zu bringen.

„Einschlafbegleitung“ ist so ein tolles Wort aus tausend Ratgebern, das suggeriert, man sehe dem Kind halt ein bisschen dabei zu, wie es von selbst einschläft. Kann sein, dass das alles noch kommt, ich werde sicher dereinst mit einem Geschichtenbuch neben dem Kinderbett sitzen, aber momentan ist es einfach mal nervenzehrend harte Arbeit.

Das Spätzle einfach ins Bett legen geht nämlich bisher nicht. Die Antwort ist bitterliches Weinen in so vielen Tonlagen, dass Opernsänger sich neidisch gen Marzahn verbeugen. Aber wer will’s dem Kind verübeln? Es fühlt sich alleine.

Deswegen haben wir neben dem Bettchen eine 140x200er-Matratze liegen, auf die ich mich mit dem Kleinen schmeiße, wenn er müde zu sein scheint. Meist findet er das schon komisch, weil es keine Milch gibt, also gucken wir ein paar Clips mit der Maus und dem Elefanten. Dafür, dass er die noch nicht einmal versteht, lacht er extrem oft an Stellen, die bittere Schadenfreude vermuten lassen. Aber sei es drum. Papa macht nach ein paar Minuten das Handy aus und versucht dann das aufkommende Weinen zu unterdrücken. Derzeit funktioniert das am besten, indem ich mich selbst ohrfeige und Schmerzenslaute von mir gebe, denn schneller kann man das Spätzle nicht zum Lachen bringen.

Dann wechseln wir schnell zu dem Part, wo das Spätzle mich „ohrfeigen“ darf. Das dauert höchstens eine Minute, dann lachen wir beide und ich kann den kleinen Feger kitzeln und knuddeln und er denkt nicht mehr an Milch. Super Schritt, hat sich bewährt.

Im Prinzip – will heißen: an den perfekten Tagen – kann ich ihm dann ein bisschen den Rücken streicheln und er schläft ein. Leider sind perfekte Tage rar gesäht. Im Normalfall also nehmen wir Schlafpositionen ein und ich versuche, langweilig zu sein, sprich zu „schlafen“. Meist hält das etwa so lange, bis das Spätzle sich aufrichtet und sich einmal längs über meinen Kopf wirft. Praktischer Zwischenschritt, denn da kann ich nochmal ohne Aufwand checken, ob vielleicht inzwischen die Windel voll ist.

Das mündet dann meist in Gewargel von der einen Seite zur anderen. Mal liegt das Spätzle rechts, mal ich. Ich „schlafe“, das Spätzle brabbelt. Ich „schlafe“, das Spätzle zieht mir am Bart. Ich „schlafe“, das Spätzle versucht, mir in der Nase zu bohren. Das zieht sich zwischen 2 und 45 Minuten, je nach Energielevel.

Ein weiterer Schritt – wenn es noch nicht zu einem plötzlichen Einschlafen kam – wird dadurch eingeleitet, dass der Kleine sich müde aufrafft und sich mit voller Wucht in meine Arme schmeißt. Was meistens bedeutet, dass unsere Köpfe zumindest für mich schmerzhaft aufeinander krachen. Was ist schon eine aufgeplatzte Lippe, wenn das Kind schlafen soll?

In dem Stadium ist das Spätzle wirklich müde und sucht nur noch Körperkontakt. Das ist toll und ausgesprochen niedlich, hat aber für mich als Erwachsenem mit dem Plan, das Zimmer später zu verlassen, den Nachteil, dass ich meist irgendwie unauffällig noch einen Arm unter dem Kind hervorziehen muss, es daran gewöhnen, ihm nicht in den Nacken zu atmen, etc. pp.

Meist geht das dann gut und ich kann mich nach ein paar Minuten entfernen. Wenn ich mich traue, komme ich etwas später nochmal zurück und lege den Wurm in sein Bett, damit er nicht nachts versehentlich von der Matratze kullert. Was bisher allerdings auch nur einmal passiert ist.

Wenn es nicht gut geht, geht das Spiel gerne mal wieder von vorne los. Oder in der Mitte, es ist jeden Abend anders.

Inzwischen habe ich es sogar zweimal geschafft, mit der Ansage, dass ich jetzt rausgehe, ein müdes Spätzle nicht weinend und folglich sehr schnell schlafend zu hinterlassen, aber das ist als Plan noch lange zu unsicher. Denn wenn er nicht klappt, dann müssen wir wieder beim richtig heftigen Weinen anfangen und ich mich wieder ohrfeigen lassen. Und ich will neben zweiterem auch ersteres nicht.

Ich will nicht lügen: Ich freue mich auf die Zeit, wo eine Geschichte reicht. Andererseits hab ich auch selten das Gefühl, mit dem Kleinen eine engere Bindung aufzubauen als beim Einschlafen. Nicht-Eltern verstehen das sicher nur bedingt, aber das Wissen, dass man sein Kind beruhigen kann, wenn es sehr schlecht drauf ist (und müde Kinder sind sehr sehr schlecht drauf!), ist ein über alle Maßen befriedigendes Wissen, eine Art heiliger Gral der Elternschaft. Und für mich als Vater, der kein Stillen als allmächtige Geheimwaffe bieten kann, umso mehr.

Also ja: Bitte lass das bald vorbei sein! Aber ebenso ja: Lass mich das Spätzle noch eine Weile beim Einschlafen „begleiten“!

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