15. Januar 2016 · 06:37
Ich muss es gleich vorneweg sagen: Ich hab als langsam erwachsener Linker manchmal ein seltsames Problem mit der Gesellschaft.
Nämlich einfach nicht so, wie ich es vorhergesehen hatte, als ich noch wirklich aktiv in „der Szene“ war. Als ich in den 90ern in der Antifa war, da hätte ich schwören können, dass bis zu meinem Ableben im Fernsehen niemals das Wort „Sexismus“ fällt. Waren wir wohlstandsveröhnten Freizeitrevolutionäre schon stolz darauf, einfach bei einem Streit nicht „Fotze“ zu sagen und Frauen genauso ernst zu nehmen wie Männer, war das weit entfernt von jeder Relevanz. Von Mainstream ganz zu schweigen.
Und heute? Überlege ich manches Mal, wie spießig ich geworden bin, weil die ein oder andere Meinung, die selbst vom zum reaktionären Schundblatt verkommenen Spiegel wiedergegeben wird, teile. Und dann – aber immer erst im zweiten Anlauf – frage ich mich schüchtern: „Hmm, haben wir am Ende vielleicht wirklich sogar irgendwas erreicht?“
Ich will ehrlich sein: Vermutlich nur bedingt – und ich gleich dreimal nicht. Wahrscheinlich war ich einfach nur nie so underground, wie ich gerne gewesen wäre. Aber Tatsache ist, dass ich verwundert feststelle, dass sich ein Teil meiner Jugendrebellion in der Realpolitik manifestiert hat und ich nicht weiß, wie ich damit umgehen soll, weil ich doch eigentlich damit aufgewachsen bin, immer nur „dagegen“ zu sein – und all meine Einwürfe abgekanzelt wurden mit Verweisen darauf, wie unmöglich oder gar kriminell das alles sei.
Und aus meinem linken Selbstverständis heraus war für mich ebenso wie der gesellschaftliche Rassismus und Sexismus auch die ständig unverhältnismäßig bei den Linken zugreifende Staatsgewalt ein Fakt.
Ich will hier mal – so sehr ich manchem Genossen von damals auf die Füße treten werde – zugeben, dass ich an diesem Punkt in den letzten Jahren am meisten gezweifelt habe. Sicher auch, weil ich selbst als meist eher wenig Beteiligter nie wirklich die ganze „Härte des Gesetzes“ spüren musste. Aber ja, da driftete die Gesellschaft ein kleines Bisschen nach links, ich hab im Rahmen meines Jobs öfter mal konstruktiv mit den Cops zusammengearbeitet und dann kam die ein oder andere persönliche Auseinandersetzung mit intelligenten Vertretern dieses Berufsstandes im Rahmen meiner Schreibtätigkeit – und das hat dann doch dazu geführt, dass ich offener geworden bin. Und in der deutschen Polizei nicht einfach simplifiziert Büttel eines faschistischen Staates gesehen hab, die mich und meine Freunde mit Gewalt daran hindern wollten, ein paar Gramm Gras zu rauchen.
Das war wahrscheinlich nicht gänzlich falsch. Ja, selbst bei den Cops gibt es solche und solche und ich erkenne im Nachhinein auch an, dass sie bei mancher Aktion meiner Peergroup nur wenige Optionen bezüglich der Antwort hatten.
Aber …
wenn ich nochmal detailliert nachdenke, dann war einiges davon nicht völlig an den Haaren herbeigezogen, auch wenn es noch nicht so groß thematisiert wird wie die Tatsache, dass das N-Wort kein Bestandteil aktueller Leitartikel sein sollte.
Zum einen kann ich als Milchbubi-Antifa auch im Nachhinein nur feststellen, dass mein Verhalten niemals die Schläge, Tritte und Wasserwerfertreffer wert war, die ich erhalten habe. Ich war allerhöchstens frech, aber selbst ich bin heute der Meinung, dass ein bisschen Frechheit keine Körperverletzung rechtfertigt.
Schlimmer aber ist wirklich die Blindheit auf dem rechten Auge. Ich will mich hier nicht in Verschwörungstheorien versteigen oder die alte Formel „Ob grün, ob braun, Nazis auf die Fresse hau’n!“ wieder hochholen. Ganz ehrlich? Ich hab in den letzten Jahren sogar mal einen (ironisch natürlich!) mitleidigen Blick aufgesetzt, wenn ich gesehen hab, was Nazis bei ihren Demos so für Auflagen hatten: Keine Springerstiefel, keine Aufnäher XY, usw. – andererseits muss ich an der Stelle doch auch mal einen geschichtlichen Break machen:
Wir wissen inzwischen vom NSU, wir wissen über das desaströse Versagen des Staates bei den Ermittlungen diesbezüglich Bescheid. Darüber hinaus haben wir seit Pegida ansteigende Zahlen von fremdenfeindlicher Kriminalität, meist in Form von Brandanschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte oder gar offene Angriffe auf nichtdeutsche Menschen auf der Straße. Hundertfach. Obwohl ich mich politisch hinter letzterem auch nicht mehr positionieren würde: Die ausufernde rechte Gewalt lässt die überwiegend Linken zugeschriebene Abfackelei von Autos in den letzten paar Jahren völlig verblassen. Nicht nur zahlenmäßig. Denn man sollte wenigstens so viel Anstand besitzen, zwischen der Gewalt gegen Sachen und der gegen Menschen zu unterscheiden. Selbst wenn man gerne AfD wählt.
Ich will nicht sagen, dass wir Linken nicht auch was auf dem Kasten hättten, aber spätestens seit der Flüchtlingskrise hat das Land ein Problem mit rechter Gewalt. Und seit Köln nochmal mehr. In Heidenau haben die Cops sich überwiegend zurückgezogen (abgesehen von dem Tag, als es eine linke Gegendemo gab), in Köln waren sie überfordert und vor ein paar Tagen in Leipzig-Connewitz hat erst die Entglasung eines halben Viertels dafür gesorgt, dass ein paar Faschos ihre ED-Behandlung bekommen haben. Ganz abgesehen davon, dass kurz zuvor erst rauskam, dass fast 400 Nazis gesucht, aber bisher nicht festgesetzt wurden.
Und dann kam Berlin!
Am 13. Januar 2016 wurde gegen Mittag in Friedrichshain offenbar ein Polizist angegriffen und leicht verletzt. Von vier Leuten, die vermeintlich „linksextrem“ waren. Und ich glaube das der Polizei sogar. Ich hab zwar auch zuerst die Indymedia-Meldung gelesen, in der stand, dass der Cop der Angreifer war, aber das schien mir insgesamt eher unwahrscheinlich. Sorry, liebe Mitstreiter, aber die Version war echt nicht überzeugend …
Nun ja, die Leute verschanzten sich daraufhin offenbar in der Rigaer 94, einem linken Wohnprojekt.
Dass das aus Sicht der Polizei nicht toll war – geschenkt! Was dann aber passierte … man glaubt es kaum.
Ein paar Stunden später rückten 500 (!) Polizisten an, um die Rigaer 94 zu durchsuchen. Klingt plausibel? Ähm, nein!
Um nur mal das Allernötigste plausibel zu machen: Ich wurde mal am Rande einer Demo angehalten, weil ich Fotos gemacht habe. Infolgedessen hatte ich eine Woche später eine Durchsuchung meines Zimmers an der Backe. Ich kann’s heute offen fragen: Ratet mal, in welchem einzigen Zimmer der westlichen Hemisphäre ich inzwischen dafür gesorgt hatte, dass keine Spuren der Fotos vorhanden waren?
Und hier waren die (total unterbesetzten) Cops Stunden nach dem Vorfall vor Ort. Besser aber noch: Sie hatten keinen Durchsuchungsbeschluss! Weswegen das so war, weiß ich auch nicht, aber man braucht seine Fantasie nicht allzuweit abscheifen lassen, um zu vermuten: Sie hätten keinen gekriegt! Von außen klingt das immer so belanglos mit der Hausdurchsuchung, tatsächlich ist das ein mehr als nur schwerer Eingriff ins Leben von Menschen (wie gesagt: Ich hatte das schon!). Sowas ist hier im guten Deutschland eben keine Kleinigkeit. Also hat sich die Polizei auf eine „Hausbegehung“ beschränkt, die – ich hab das jetzt nicht überprüft – anscheinend eine Durchsuchung des Hausflurs erlaubt. Es ging ja (angeblich?) auch nicht um die Festnahme von Personen (warum eigentlich nicht?), sondern um die Frage, ob da gefährliche Gegenstände herumlägen.
Laut dem Anwalt der Betroffenen wurden übrigens sehr wohl Wohnungen aufgebrochen und die Bewohner gewalttätig drangsaliert. Meine Überraschung hielte sich in Grenzen, sollte es so gewesen sein …
Wunderschön war es dann, auf Twitter zu verfolgen, was alles gefunden wurde. Steine! Feuerlöscher! Eisenstangen! Krähenfüße!
OK, das mit den Krähenfüßen wird schwer zu erklären. Aber es bleibt doch auch zu erwähnen, dass selbst das allenfalls passive Waffen sein können. Beim Rest müsste sich jeder zweite Hausbesitzer in Deutschland mal umsehen, ob er nicht versehentlich die vorgeschriebenen Feuerlöscher … oh, wait!
Ganz ehrlich: Es ist kein Wunder, dass Zitate aus dem Scherben-Lied „Rauch-Haus-Song“ gepostet wurden:
„Und die deutlichen Beweise sind 10 leere Flaschen Wein,
und 10 leere Flaschen können schnell 10 Mollies sein“
Was mich eigentlich umtreibt:
So sehr ich versuche, nicht in alte Reflexe zu verfallen und die Cops als Grund allen Übels zu betrachten: Sie machen es mir schwer! Soweit ich weiß, ist bisher wegen Connewitz keine Wohnung durchsucht worden, soweit ich mich erinner, klang unser Innensenator Henkel immer vergleichsweise unaufgeregt, wenn es „nur“ um angezündete Flüchtlingsheime ging.
Aber bei der Rigaer 94 musste dann doch mal „der Rechtsstaat“ mit voller Härte eingreifen, ja?
Soll ich dann als halbwegs sozialkompatibler Pseudolinker auch endlich mal wieder die „Slime 1“ ausgraben und „ACAB“ mit gutem Gewissen hören? Ja, doch, ich glaube, das mache ich jetzt. Es scheint ja längst nicht mehr um nötige oder sinnvolle Auseinandersetzungen zu gehen, sondern um’s Aufrechterhalten der Feindbilder. Wenn die Bullen nicht erwachsen werden wollen, will ich’s auch nicht!
„They say it’s law and order but we live in fear
– fuck off Cops, get out of here! All Cops …“