Ich muss zugeben: Ich bin eine Heulsuse.
Und ich hasse dieses Wort. Wieviel Verachtung darin – nicht einmal notdürftig versteckt – liegt! Weinen ist ja etwas, das zumindest Männer (in diesem Zusammenhang eher Machos) nicht dürfen. Dabei ist es eigentlich eine unglaublich angenehme Art, seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Sicher: auch ich trete ungern mit verheultem Gesicht anderen Leuten gegenüber. Weinen ist etwas höchst privates, aber deswegen alleine sollte man es nicht tabuisieren.
Ich bin kein Wissenschaftler und habe trotz regem Interesse an Psychologie auch bisher keine Fachliteratur zum Thema gelesen. Wie die meisten Menschen weine ich zu gegebenen Anlässen einfach für mich selbst, aber ich bin der festen Überzeugung, dass hinter diesem Vorgang eine furchtbar interessante Systematik der Hirnchemie steht. So furchtbar auch meist die Gründe sind, die einen zum Weinen veranlassen, so unglaublich befreiend kann diese körperliche Reaktion sein. Da mag mit reinspielen, dass die Sauerstoffaufnahme des Gehirns bei nebensächlich auftretender Hyperventilation Rauschzustände auslöst, aber schlechter wird es deswegen ja nicht.
Ich heule wirklich oft. Ich bin ein emotionaler Mensch. Und ich finde das in keinster Weise schlimm, obwohl ich mich zu einer naturwissenschaftlich fundierten, skeptischen Haltung bekenne. Gefühle sind kein bisschen weniger bedeutend für meine Lebenswirklichkeit, nur weil ich vielleicht hier und da eine rationale Erklärung für sie habe. Im Gegenteil: Das Wissen, dass mein Gehirn mittels Hormonausschüttungen so tiefgreifende Erfahrungen möglich macht, hinterlässt mich regelmäßig mit einem wohligen Schaudern. Umso mehr erscheint es mir armselig, wenn Kommentatoren mir Gefühlskälte vorwerfen, nur weil ich nicht ihrer persönlichen Wahnvorstellung eines Gottes hinterher renne.
Ich habe mehrfach bittere Tränen geweint, als ich mich vorübergehend von Ozie verabschieden musste und ebenso, als meine Mutter starb. Darüber hinaus war ich stets nah am Wasser gebaut, als mir bekannte Künstler wie beispielsweise Christoph Schlingensief verstarben. Außerdem weine ich regelmäßig beim Lesen guter Bücher.
Und warum nicht? Verdammt, was hat es wehgetan, in John Greens „Looking for Alaska“ die Grenze zwischen „before“ und „after“ zu überschreiten! Wie weh tat es, als in „Feynmans Regenbogen“ der Tod eines der großartigsten Wissenschaftlers des letzten Jahrhunderts Einzug in die Geschichte hielt! Verdammt, ich fange an zu flennen, wenn ich an die beiden Bücher denke, ganz ehrlich.
Und? Bin ich deswegen ein schlechterer Mensch?
Um ehrlich zu sein: Ich finde es eigentlich schön, dass unser Weinen mehr noch als unser Sexualleben bislang die Öffentlichkeit scheut. Es ist schön, dass das noch so privat ist, wie es vielleicht andere Teile unserer Persönlichkeit auch sein sollten. Aber ich halte es für einen Fehler, diese an sich so wertvolle und wichtige Umgehensweise mit schwierigen Themenfeldern zu tabuisieren oder totzuschweigen.
Just my two cents. And some tears of course.