4. November 2013 · 09:15
Mal eine Uralt-Anekdote, die in Worte zu fassen mir schon lange am Herzen liegt.
Wer mein wunderbares eBook (Ich bin nicht parteiisch, ich nehme die Amazon-Rezensionen als Grundlage für diese Behauptung!) gelesen hat, der weiß ja zumindest einmal über meine Abiprüfung in Mathe Bescheid. Das ist für mich alles andere als glorreich verlaufen und abgesehen von meiner ins Arrogante rüberdriftenden Coolness bin ich auch nicht stolz darauf gewesen. Aber ja, ich war damals mit Mathematik mehr am Ende als mit dem Latein, das ich nie als Schulfach hatte.
Eine einzige denkwürdige Woche ungefähr gab es aber in der Oberstufe, in der ich der King of Mathe war – und das kam so:
Im zweiten Mathe-Halbjahr der zwölften Klasse gab es eigentlich nichts mehr zu gewinnen für mich. Ich lag alleine beim Wissen gute zwei bis drei Jahre zurück, die mangelnde Motivation tat ihr übriges. Ich hatte es weitgehend aufgegeben. Meine schulische Leistung bestand damals im Wesentlichen daraus, dieses eine Fach immer irgendwie mit anderen auszugleichen. Es war diese leicht unterkühlte Form von Pragmatismus, die ich heute noch ganz gut kann. Zu meinem Unwissen im fachlichen Bereich gesellte sich aber mit dem Erwachsenwerden ein einsetzendes Verständnis für psychologische und systemische Rahmenbedingungen.
Und in erster Linie betraf das meinen Lehrer. Da ich nicht der einzige war, der ihn für unfähig hielt, war er es wohl. Da er, sollte er unfähig sein, kein Interesse daran haben konnte, dass das jemand merkt, würde er es vertuschen. Da ich niemals im Zeugnis 0 Punkte von ihm bekommen hatte, obwohl ich mich geradezu bemühte, war an der Theorie wohl was dran. Wahrscheinlich stimmte das wirklich. Die zwei Klausuren pro Halbjahr gab ich stets mit 0 Punkten ab, die schriftliche Note zählte 80%. Rechnerisch konnte ich damit nur auf 3 Punkte* kommen, selbst wenn ich mündlich 15 Punkte, eine 1+, gehabt hätte. Dass ich stets einen Punkt bekam, war dennoch eher ein Ding der Unmöglichkeit, da sich meine mündliche Leistung lediglich darauf erstreckte, die Hälfte der Stunden zu fehlen und während des Restes der Zeit Briefe zu schreiben.
Dann war es wieder so weit: Klausur! Ui!
An Klausuren nahm ich regelmäßig teil. Mehr noch: Ich bemühte mich diese zwei Stunden redlich und eigentlich hab ich fast all mein Mathewissen aus dieser Zeit, in der ich einfach freihand Lösungen für die Aufgaben suchte. Und dieses Mal gelang mir das überraschend gut. Klar, einen Großteil der Arbeit habe ich nicht einmal verstanden. Aber bei einer Aufgabe hab ich kurz hin und her überlegt, recht wahllos ein paar Zahlen in die Gleichung eingesetzt und ich schien ein brauchbares Ergebnis zu haben: -1 / 0,5 / 1 – das waren die Lösungen! Scheiß auf den Rechenweg, Hälfte der Punktzahl FTW!
Natürlich ging das nicht. Kaum draußen auf dem Flur ergab mein Smalltalk mit den Klassenkameraden, dass 2 / 14 / 7 und 0,75 richtig waren – oder dass sie trotz dreiseitiger Rechnung auf gar kein Ergebnis gekommen waren. So denn: Alles wie immer.
Eine Woche später stand dann unser Aushilfs-Einstein sichtlich gerührt vor der Klasse und fing plötzlich pathetisch an zu faseln, wie sehr es ihn freuen würde, dass dieses Mal – was ein Wahnsinn! – eine völlige Ausnahmesituation eingetreten wäre und er eine sehr gute Klausur vergeben könne an jemanden, der sonst nicht so sonderlich durch Durchblick auffallen würde. Ich kürze an dieser Stelle den vorhersehbaren Spannungsbogen ab: Er meinte wirklich mich. Er hob meine Leistungen bei oben erwähnter Aufgabe 3 in höchsten Tönen hervor, was offenbar tatsächlich begründet war. Ich hatte ganz ohne Witz mit meiner dilettantischen Herangehensweise die richtigen Lösungen gefunden. Noch dazu als einer von nur einer Handvoll Leuten. Einen Beweis in Form eines Lösungswegs war ich aber wie erwähnt schuldig geblieben. Deswegen gab es dafür nur die halbe Punktzahl. Wogegen ich rein aus Prinzip gleich mal protestiert habe.
Als er mir die Klausur aber überreichte, wäre mir wirklich fast schwindelig geworden: 12 Punkte! Zweistellig! Eins komma! Hätte ich die sechs Verrechnungspunkte bei Aufgabe 3 bekommen, wäre da nun ein Blatt mit einer glatten 1 vor mir gelegen. Das hatte ich seit der Grundschule nicht mehr. WTF?
Um es kurz zu machen: Das war natürlich alles Bullshit. Also ja, ich hab die 12 Punkte in der Klausur gekriegt, im Halbjahr dementsprechend 6 Punkte. Das ist somit in mein Abi eingeflossen und noch heute überprüfbar. Auch waren die Ergebnisse der dritten Aufgabe dieser Klausur wohl richtig. Da hatte ich wohl einen cleveren Einfall, wie ich das eigentlich komplexe Problem unbedarft übergehen konnte, wahrscheinlich eine Lösung, die zufällig in diesem einen Spezialfall funktioniert hat, während alle anderen sich beim schwierigen Standardprozedere aufgehangen haben.
Das wirklich abenteuerliche an jener Klausur aber war Aufgabe Nummer 5, bestehend aus fünf Teilaufgaben. Ich hatte bei selbiger nicht den Hauch einer Ahnung, nicht den Ansatz einer Problemlösung, nicht das Mindestmaß an Anstand, es wenigstens zu versuchen. Artig hab ich „gegeben“ und „gesucht“ hingeschrieben, darüber hinaus hatte ich nichts. Diese fünf Aufgaben brachten 30 von 60 Verrechnungspunkten, nach meinem mathematischen Verständnis also immerhin fast die Hälfte …
Und ich hatte bei allen die volle Punktzahl. Bei allen!
Ich hatte geschrieben:
geg: y = 4
ges: x
Mein Lehrer notierte daneben:
6 / 6
Das war das Geheimnis meines überbordenden Genies: Völlige geistige Umnachtung des Lehrkörpers. Was mich nur in jenem Einzelfall, weniger in der großen Gesamtheit überrascht hat. Im Gegensatz zu obigem Ablauf der Ereignisse weiß ich nicht mehr genau, wie das danach lief. Ehrlich! Ich glaube, ich habe es ihm sogar gesagt, aber das will ich nicht leichtfertig behaupten. Ein Lob geht raus an all die Klassenkameraden, die das wussten und es nicht genutzt haben, um eine Wiederholung der Klausur zu fordern oder dergleichen mehr. Ich war einer von wahrscheinlich tausenden – oder Millionen gar – die mal ungerecht benotet wurden. Dumm gelaufen, in dem Fall aber wenigstens positiv für mich.
Ebenso bin ich inzwischen nachsichtiger mit meinem Lehrer. Er hat es nur bedingt verdient, denn er war ein beschissener Lehrer. Von Pädagogik hatte er so viel Ahnung wie Hitler – um nur mal das naheliegendste Beispiel zu verwenden. Darüber hinaus war er aber ein zwar verschrobener, aber nicht einmal unsympathischer Mensch. Ich vermute, er hatte ein beschisseneres Leben als viele seiner ach so schlechten Schüler und außerdem hat ihm damals wirklich niemand gesagt, dass er es nicht konnte. Die Schüler nahm er – das war sicher eine Generationenfrage – als Kritiker nicht ernst, aber genauso handhabte es der Rest. Über ihn wurde immer gejammert, es wurde sich beschwert, es gingen Gerüchte um und was weiß ich. Es hat sich nicht einmal jemand anschauen wollen, was für einen Bockmist der Kerl verzapft hat, da ja kaum einer wegen ihm durchfiel (der eine Gnadenpunkt) und es in Mathe natürlich auch immer die Schüler gab, die es trotz ihm geschafft haben, weil sie es verstanden haben.
Der Mann war ein einsamer Kämpfer, dessen ganz offensichtlich einzige Freude die Mathematik war. Nur hat er die halt nie teilen können, weil wir Schüler einfach ein paar Level unter ihm waren und er das nie verstanden hat. Eine gute Rolle für einen französischen Kunstfilm vielleicht.
Ich bin ihm nicht böse, obwohl ich gerne mehr Mathe-Grundwissen hätte. Aber ich war ja wenigstens auch diese eine Woche lang mal der Held in seinem Fach. Insofern passt das schon. 🙂
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Abschließend aber noch der Versuch, es wenigstens pädagogisch besser zu machen als er:
Sollte das irgendwer lesen, der gerade Mathe lernen muss: Dann mach das! Mathe ist nicht wirklich scheiße, sondern eine faszinierende Sprache, um viele Grundsätze dieser Welt zu begreifen. Es ist nicht „cool“, in Mathe schlecht zu sein! Ich bin nur ein komischer Ausnahmefall, der trozdem zufrieden ist. Einen Scan meiner Gehaltsabrechnung lege ich als Abschreckung gerne bei. 😉
*Hab hier einen wunderbar passenden Rechenfehler korrigiert. Nur falls sich jemand über die Kommentare wundert.