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Fernbleiben erlaubt!

Heute mit Entgeisterung im Radio gehört, dass die Kirche den Betroffenen vom Schneesturm Nemo in den USA bedeutet hat, es sei kirchenrechtlich durchaus in Ordnung, dem Sonntagsgottesdienst fernzubleiben, wenn man sich in einer schwierigen Lage befinde. Mir ist bis jetzt keine Formulierung eingefallen, mit der ich angemessen ausdrücken könnte, wie erbärmlich und mitleiderregend gleichzeitig ich die Menschen finde, die diesen Hinweis gebraucht haben …

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Backflash

Es gibt so Momente in meinem Leben, in denen ich irgendetwas in der Presse lese, im Radio höre, in Filmen sehe, das mir bekannt vorkommt – und das dann ein flaues Gefühl im Magen hinterlässt, weil es mich erinnert an eigene Erlebnisse. Ein gutes Beispiel war der 11. September 2001. Als mein Vater mit den unvergessenen Worten „In Amerika isch Halligalli, ein Anschlag jagt den nächsten!“ in mein Zimmer kam und ich anschließend den Fernseher anschaltete, stockte mir der Atem. Katastrophenmeldungen hatte ich schon zur Genüge gesehen, aber beim Anblick der brennenden Twin-Tower dachte ich zunächst an die Aussage unseres Reiseführers Glenn ein Jahr zuvor, dass in den Gebäuden 50.000 Menschen arbeiten; danach daran, wie ich zwischen Nord- und Südturm stand und dachte, dass ich nicht hier sein möchte, wenn die Dinger mal einstürzen. Freilich ohne den Hauch einer Ahnung, dass das zu meinen Lebzeiten passieren könnte.

Nun, Ereignisse wie den 11. September gibt es glücklicherweise zumindest nicht monatlich. Das war ein eigentlich unglücklicher Vergleich zur Einleitung des Textes, da sich selbstverständlich eine Gleichsetzung verbietet. Aber das selbe Gefühl wie damals streifte mich nun, da ich las, dass die Wohnungen einiger Pressefotografen wegen einer Demonstration durchsucht worden sind, auf der sie – eventuell – auch Bilder gemacht haben könnten, die gewalttätige Leute zu identifizieren helfen könnten. Die Problematik daran ist natürlich politischer Natur. Es geht um Verhältnismäßigkeiten, Pressefreiheit, Unverletzlichkeit der Wohnung. Um Schlagworte, wenn man ehrlich ist. Wenn auch Schlagworte mit Verfassungsrang.

Das zugegebenermaßen sind nicht meine Gedanken, zumindest nicht vorrangig. Ich empfinde eher eine Art diffuses Mitgefühl, schließlich habe ich mehr oder minder haargenau das auch schon hinter mir. Am 20. oder 21. Oktober 2006 war eine große Demo in Stuttgart, ich war dabei und habe fotografiert. Nicht offiziell, allenfalls für die eigene Website. An diesem Tag sind zwei oder drei eher halblebige Brandsätze an der Fassade der Commerzbank gelandet, sicher kein Kavaliersdelikt, am Ende jedoch mit dem Ergebnis eines angekokelten Fensterrahmens. Die Polizei wurde auf meine Kamera aufmerksam gemacht und ich hatte kein gesteigertes Interessa daran, sie ihnen auszuhändigen. Und hab außerdem klargemacht, dass ich zum fraglichen Zeitpunkt allenfalls in der Nähe war und keine relevanten Aufnahmen gemacht hätte. Der gar nicht einmal unfreundliche Cop nahm das zur Kenntnis, forderte aber meine Papiere ein und damit war es für diesen Tag gut. Das hätte eine Randnotiz bleiben können, allerdings kamen sie bei der Aufklärung nicht so recht voran, so dass – als es nun wirklich niemand mehr erwartet hatte – am 27. Oktober die Durchsuchung erfolgte. Die unterbleibende abermalige Nachfrage bei mir nach dem Bildmaterial wurde dem Richter gegenüber als untauglich dargestellt, da mich das ja hätte alarmieren und zur Vernichtung der Bilder inspirieren können. Eine Idee, die mir in den 6 Tagen natürlich nie einfach so hätte kommen können …

Als ich den sturmklingelnden Beamten an jenem Tag um 6.25 Uhr die Tür öffnete, war die Kamera mitsamt lauter verwackelten Bildern fernab des Tatgeschehens nicht einmal in Stuttgart und kurz davor, eine Freundin auf ihrer Reise nach Mexiko zu begleiten. Das änderte freilich nichts.

Gegen das, was ich allenthalben gehört hatte, war die Durchsuchung Kinderfasching. Ich war (wie die Fotografen jetzt auch) nur als Zeuge Ziel der Aktion. Wahrscheinlich war das für die Polizei ein Grund, sich aufs Wühlen zu beschränken und keine ungeahndete Sachbeschädigung zu begehen, für die sich natürlich im Nachhinein jede Menge Gründe finden lassen. So gesehen war das damals eine skurrile Aktion, bei der der Chef des Stuttgarter Staatsschutzes mich persönlich ungeachtet seiner Befugnisse nett fragte, ob er hier und da in irgendwelche Kartons schauen dürfe, die ich damals auch entsprechend humorvoll und mit dem Verweis auf allerlei Verfehlungen verbloggt habe.

Aber auch wenn es so harmlos war, auch wenn es keine rechtlichen Folgen hatte: was bei all dem Gerede über Hausdurchsuchungen oft auf der Strecke bleibt, ist das Eindringen in die Privatsphäre und das Ohnmachtsgefühl, das zurück bleibt.

Ich hab damals, 5 Minuten bevor mein Wecker geklingelt hätte, nur mit Boxershorts bekleidet die Tür geöffnet. Über die Treppe verteilt standen Polizisten, teils in Zivil, teils uniformiert, teils gepanzert in voller Montur, die Hand griffbereit an den Schlagstöcken. Während mir der Gerichtsbeschluss unter die Nase gehalten wurde und ich mich ein wenig nackt fühlte, wurde mir ein Typ mit Hornbrille vor die Nase gesetzt, den sie gleich mal als „unabhängigen Zeugen“ mitgebracht hatten. Ich bat darum, wenigstens meiner Freundin sagen zu können, sie solle sich was anziehen, da stand trotz Zustimmung gleich ein Beamter mit im Türrahmen und jubilierte:

„Ach, Sie haben ja schon ein T-Shirt an!“

Na dann.

Mein Zimmer war damals wie heute nicht wirklich angefüllt mit hochgeheimen Sachen, aber wie in jeder Wohnung gab es Dinge, die man ja ungern in einem Bericht über sich stehen haben wollte. Zwei gepanzerte Bullen hielten Wache im Flur auf einem Berg Handtücher, die das Wasser aufgesogen hatten, nachdem unsere Waschmaschine am Abend zuvor ausgelaufen war. Der größte Teil vergnügte sich derweil in der Küche und redete abfällig darüber, dass vom Vorabend noch Fischstäbchen übrig waren. Und ich selbst stand in Unterwäsche dazwischen und fragte mich, was diesen Arschlöchern eigentlich einfällt, sich über meinen Lebensstil ein Urteil zu bilden, nur weil sie gerne Fotos hätten, die nicht einmal existierten.

Natürlich wurde es bald mehr oder weniger hektisch in der WG und ich bin meinen Mitbewohnern bis heute dankbar, dass sie die ganze Aktion mit stoischer Gelassenheit hingenommen und hier und da mal einen Cop verscheucht haben, wenn sie zur Kaffeemaschine wollten.

Ein besonders weises Exemplar Polizist, von den Kollegen H.-P. genannt, setzte sich an meinen heiligen Computer und fing an, ihn nach Bildern zu durchsuchen. Ausgerechnet meine Homepage vermieste ihm das, weil diese einen virtuellen WG-Rundgang mit zerschnippelten Bildern enthielt und mal schnell dafür sorgte, dass sich über 50.000 Bilder auf meinem Rechner befanden. Nichtsdestotrotz lässt sich die Erniedrigung kaum in Worte fassen, die es bedeutet, wenn ein fünfzigjähriger dickbäuchiger Möchtegern-Profiler auf den eigenen Pornoordner stößt und dabei ganz süffisant möglichst laut durch die Wohnung flötet:

„Ha mei, Sie hen‘ da ja naggiche Bilder druff!“

Und ich war schon froh, eine Beziehung zu führen, in der das nicht das nicht das Aus bedeutete. Die gespielte Entrüstung, die nicht so recht fruchten wollte, wurde umgehend durch grenzdebile Häme ersetzt, bei der sich das vorhandene Personal darüber ausließ, dass man das ja „bei jedem“ finden würde, „au bei de radikale Islamischde“.

„Woisch no, der neulich? Zigdausende, ond elle ’sen ’se blond g’wä!“

Bei mir dauerte das Irrlichtern durch Fotos von privaten Parties, Freunden und Unterwäsche nur eine halbe Stunde. Ich kam fast noch pünktlich zur Arbeit und erhielt am Ende außerdem ein gekünsteltes Grinsen mit der Aussage, sie hätten „ja immerhin nix kaputt gemacht.“

Ach?

Nein, so einfach ist das nicht! Das macht was kaputt! Und zwar ziemlich dauerhaft. Das Vertrauen in den Rechtsstaat, den Wert der Unschuldsvermutung, das Sicherheitsempfinden in der eigenen Wohnung, die Meinung von der Polizei.

Ich bin mir sicher: in den meisten Fällen bleibt es nicht bei einem verächtlichen Spruch wegen eines „naggichen“ Bildchens oder einem Lachen über Fischstäbchen. Aber schon das reicht aus. Hausdurchsuchungen sind nicht ohne Grund eigentlich ein Mittel, das nur in besonderen Fällen eingesetzt werden sollte, das Recht auf die Unverletzlichkeit der Wohnung ist nicht ohne Grund verfassungsrechtlich garantiert. Eine Hausdurchsuchung ist – zumal wenn so harmlos wie bei mir – natürlich nichts, über das man nicht hinwegkommen kann. Dennoch: hat man es einmal hinter sich, überliest man so manche Pressemeldung nicht mehr so einfach.

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OP-Update

Naja, so kann man sich täuschen. Statt mit einem glücklichen Hamster ist Ozie jetzt doch mit einem grummeligen Sash nach Hause zurückgekehrt. Und das, obwohl wir den Nikotinentzug schon unterwegs unter Kontrolle hatten. Die OP wird nun doch – was ich ja eigentlich vermeiden wollte – in mindestens zwei Schritten und nur lokal betäubt durchgeführt. Ich bin deswegen zwar gerade grundsätzlich in der Stimmung, kleine Kätzchen zu sprengen, am Ende gibt es allerdings keine Vorwürfe auszuteilen. Der Anästhesist hat sich als sehr kompetenter und dennoch unterhaltsamer Mensch erwiesen und mir von einer ambulanten Vollnarkose abgeraten. Er hätte es versucht, hat aber in Aussicht gestellt, dass er eventuell abbrechen müsste, weil alles nicht so einfach mit Asthma und Übergewicht.

Krankenhaus ist nicht wirklich eine Alternative, da käme ich mir so langsam auch albern bei vor. Immerhin hab ich die letzten 5 (?) Zahnarzttermine alle komplett ohne Betäubung weggerockt. In dem Fall wäre es halt gleichermaßen komfortabel wie auch zeitsparend (weil nur ein Termin und eine Krankschreibung!) gewesen. Der Vorteil ist jetzt halt futsch und wenn ich das gewusst hätte, wäre das alles schon im November erledigt gewesen. -.-

Netter Nebeneffekt: ich hab ohne bürokratische Hindernisse das Geld für den Anästhesisten zurückbekommen, obwohl ich den heute trotzdem locker eine halbe Stunde als Beratung in Beschlag genommen habe.

Und wie sagte diese uralte Weisheit doch?

Irgendwas ist ja immer.

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Die Ruhe vor dem Schlaf

Im Grunde ist genug gemeckert über Krankheiten und co., auch die aktuelle Erkältung hat sich schließlich ergeben. Pünktlich zur Wiedergenesung ist nun aber endlich das mit den Beisserchen ein Haken im Terminkalender und so bleibt mir wenig Zeit, meine neu erworbene Gesundheit zu genießen.

Morgen, am Dienstag, lass ich mir eine gepflegte Dosis Drogen verabreichen, der zu erwartende Kater besteht allerdings weniger aus Kopf-, denn aus Kieferschmerzen. In meinem Mund wird ordentlich entrümpelt werden, etliche Zähnchen verlassen ihr Heimatgebiet und ich stelle mich darauf ein, eine Woche zu gucken wie ein übergroßer Hamster.

Das ist jedenfalls ein großer Schritt während der ganzen Reparaturphase zwischen Bart und Nase und ich bin erst einmal eher froh als verängstigt oder so. Und auch was den ganzen Stress mit Narkose und so angeht: besser ein Ende mit Schrecken …

Vielleicht habt ihr ja Glück und ich kann mich irgendwann am frühen Nachmittag unter Betäubungsmitteleinfluss ins Internet schleichen, das wäre sicher ein großer Spaß. Ansonsten wird’s in den nächsten Tagen vermutlich viel um Suppe gehen.

Trotz allem Optimismus wünsche ich euch einen noch etwas besseren Dienstag und harre gespannt der Dinge, die da kommen.

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Fiebriges

Es ist noch nicht lange her, da hab ich mich gefreut, bislang so heil durch den Winter gekommen zu sein. Meine jährliche Erkältung bleibt eigentlich nie aus, dieses Mal schien es fast so. Aber dann, am Sonntag, nach einer fantastischen Laune nachts im Taxi (die hauptsächlich einer Tour nach Cottbus geschuldet war), wachte ich auf und fühlte mich, als hätte ich 39° Fieber. Ich konnte kaum noch aufstehen, alles war entsetzlich schwer – und das, obwohl mein Fieberthermometer stoisch Temperaturen unter 37°C verkündete. Der erste Gedanke war natürlich:

„Fuck, Grippe!“

Irgendwoher hab ich noch die alte Weisheit im Kopf, dass man eine richtige Grippe am Besten daran erkennt, dass sie binnen weniger Stunden voll durchhaut, während eine Erkältung dann ja doch eher so was schleichendes ist. Aber ich scheine entweder doch was anderes aufgesammelt zu haben, oder ich hab irgendwelche hippen Turbokillerviren am Start, denn der Verlauf war beeindruckend:

Sonntag: Gefühltes Fieber
Montag: Halsschmerzen
Seit Dienstag: Abklingen von allem …

Gut, mein Schlafbedürfnis ist derzeit etwas erhöht, einen ganzen Tag ohne Unterbrechung schaffe ich irgendwie noch nicht. Ansonsten könnte man sagen, dass es mir blendend geht. Mein Appetit ist erschreckenderweise größer als sonst, keine Schmerzen, kein gar nix. Nur ein paar allgmeine Plattheiten eben. Arbeit ist aber dennoch liegengeblieben. Insbesondere am eBook. Bezüglich des Taxifahrens bin ich ja ohnehin quasi am Wochenende krank gewesen und hab arbeitgeberfreundlich darauf verzichtet, mir einen gelben Schein zu holen. Das mit dem Bloggen hab ich zumindest bei GNIT alles geschafft und zudem hab ich mich wie letztes Jahr auf ein Literaturstipendium der Stadt Berlin beworben. Dieses Mal zugegeben mit weniger Aufwand und weniger Panik. Ich hab ein paar repräsentative Sachen eingeschickt und entweder sie mögen es – oder eben nicht.

Falls ja, habe ich runde zwei Jahre lang keine Finanzprobleme mehr, die statistische Chance unabhängig vom Talent liegt bei rund 1:30, so gesehen wäre es doof gewesen, es nicht zu probieren. Aber sich verrückt zu machen, wäre auch Unsinn. Die letztjährigen Gewinner waren allesamt Autoren, die schon seit Jahren erfolglose Bücher schreiben und auf ihren Fotos bei Wikipedia Wollschals tragen. Da bin ich eventuell als erfolgreicher Blogger mit einer Abneigung gegenüber Wollschals ein bisschen chancenlos.

Dafür läuft das mit dem eBook durchaus ein bisschen. Z.B. steht der Coverentwurf schon zur Hälfte! Wenn er fertig ist, dann kann man ihn hier umgehend sehen, versprochen. Beim Titel sind wir immerhin schon mal endgültig sicher jetzt. Es wird heißen:

Papa, ich geh zum Zirkus!
oder: Karriere, kann man das essen?

So, und jetzt hoffe ich mal, dass ich heute Abend fit genug sein werde, wenigstens ein paar Runden im Taxi durch Berlin zu drehen.

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Julius Duttlinger

Drei Monate hatte ich nun mein Taxi vor der Türe, inzwischen fahre ich wieder Bahn. Ich habe wieder das, was gemeinhin Arbeitsweg genannt wird. Und das ist toll. Dabei gehöre ich ja noch zu den Leuten, die im Rahmen ihrer Arbeit ganz schön rumkommen – der Mangel an Aussicht ist es also nicht, der dafür sorgt, dass ich mich heimlich freue. Der Arbeitsweg hat für mich immer schon eine gesonderte Bedeutung gehabt: er vermittelt den Abstand zur Arbeit und ist zugleich Zeit, sich vorzubereiten, bzw. runterzukommen.

So gesehen fand ich schon in der Schule den Witz gar nicht so komisch, in dem ein kleiner Junge ein leeres Blatt abgibt, als er seinen Schulweg beschreiben soll – weil er der Sohn des Hausmeisters ist.
Während der Schule war der Weg sowieso noch einmal wichtiger. Da ist man ohnehin nicht immer auf den selben Pfaden gewandelt – auf den Umwegen gab es ja so viel zu entdecken und auch Blödsinn zu machen. Aus den Details, die mir von den dann irgendwann doch vertrauten Wegen noch im Kopf sind, ziehe ich heute noch Sätze für Geschichten. Auch Julius Duttlinger, Namenspatron dieses Eintrags ist so ein Detail. Sein sehr schöner schlichter schwarzer Grabstein hat mit jahrelang verkündet, dass ich den Großteil der Steigung des Gablenberger Friedhofs hinter mir habe. Wer weiß, woran ich heute bei meinem Schulweg denken würde, wäre Julius Duttlinger nicht zwei Jahre vor meiner Geburt gestorben.

An den täglichen Wegen treffen einen die Jahreszeiten intensiver und doch überschaubarer als sonst: Kann ich durch die kahlen Bäume im Herbst bereits ums Eck sehen, ob der Bus kommt? Verdeckt der Schnee tatsächlich schon die Inschrift auf der Friedhofsmauer und ist die Pfütze an der schmalen Stelle des Gehwegs tatsächlich so breit, dass man nasse Füße bekommt?
Man lernt seinen kleinen Teil der Stadt bis auf’s letzte Fitzelchen kennen. Hier ein neues Haus, dort haben sie jetzt ein Stopschild aufgestellt und – Wahnsinn! – die Leute in der Nummer 53 haben inzwischen ihre Fensterläden gestrichen.

Und dennoch ist dabei manchmal viel wohltuende Monotonie. Die Reihenfolge der Haltestellen wechselt nur selten, selbst die meisten Neubauten stehen irgendwann einfach da und am Ende ist das wohl auch gut so.

Sicher, für manchen ist das nur die öde Fortsetzung des öden Tages – und auch ich hätte gerne hier und da mal den Weg übersprungen, um die Verspätung aufzuholen oder gleich ins Bett zu kommen. Am Ende hab ich es dann doch immer geschafft. Inzwischen schlafe ich notfalls in der Bahn schon ein Stückchen vor. Und das geht. Ich erkenne selbst im Schlaf die Kurve, nach der ich aussteigen muss.

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Marzahn lebt!

Als erstes erfuhr ich es von einem Kollegen:

„In de‘ Havemannstraße is‘ einer mit’n Panzer über de Schilder jebrettert!“

WTF?

So ganz falsch lag der Kollege damit nicht, wie mir am Tag darauf die Pressemeldung der Berliner Polizei mitteilte. OK, ein Panzer war es nicht! Aber ein besoffener Held mit einem Hummer ist diese Woche wohl in Marzahn sowas wie „behutsam Amok gefahren“. So zumindest meine Einschätzung. Wie es bisher aussieht, ist er hauptsächlich über die Mittelstreifenbeschilderung der hier recht breiten Straßen hinweggepflügt – immerhin ohne Privat-PKW zu beschädigen!

Für diese Aktion – wie auch für den offensichtlichen Versuch, in einen Laden zu fahren – kann ich dem Typen natürlich nur die Klatsche des Monats übergeben und keinerlei Sympathie entgegenbringen. Für Leben gesorgt hat er in der Umgebung offenbar genug. Immerhin gingen gleich mehrere Meldungen bei der Polizei ein …

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