15. Oktober 2012 · 06:03
Ich kann ja nicht anders. Und abgesehen davon, dass meine Geduld manchmal nervig ist, brauche ich sie ja auch. Gerade meine Arbeit besteht letzten Endes nicht daraus, Auto zu fahren, sondern mich mit Menschen zu unterhalten, eventuell nur zu kommunizieren, sie wenigstens aber zu ertragen. Aber man trifft eben immer wieder auf Leute, die einem alles davon schwierig machen. Oder unerträglich.
Aber man ist ja kein Arsch, man haut ja nicht ab …
Auftritt Manfred.
Ungeführ um 4 Uhr heute morgen wollte ich mir eine Cola und eine Schachtel Zigaretten beim Döner holen. Hab ich getan, auf dem Weg nach draußen quatschte mich Manfred vom einzig besetzten Stuhl im Außenbereich an:
„Sag mal, ich will auch nicht unhöflich sein oder so, aber haste mir vielleicht ein paar Kippen zu verkaufen. Wenn ich jetz‘ 5 Euro für eine Schachtel zahle, kann ick mir kein Bier mehr kaufen.“
Verständliches Ansinnen – und ich bin da auch nicht so. Hatte mir selbst zwar gerade genug Kippen zum Eigenbedarf geholt – aber was soll’s? Anderen Menschen geht es dreckiger als mir. Ich bin kurz rein, hab einen Fünfer in Kleingeld zusammengesucht, mir noch eine Schachtel gekauft und ihm rund die Hälfte auf den Tisch gelegt.
„Wat krisse?“
„Passt schon, freu Dich drüber!“
Manfred ist rund 32 Jahre alt, unweit meines Alters also, kahlrasiert von oben bis wahrscheinlich auch unten, trägt Brille und ist jetzt, da ich diesesn Text schreibe, ziemlich besoffen und hat Stress mit seiner Freundin – die ein Kind von ihm erwartet. So wie wir laut Medien alle in Marzahn leben.
Im Grunde ist Manfred aber ein netter Mensch und so reichte er mir auch gleich die Hand und stellte sich vor:
„Hi. Ich bin Manfred und ich hab echt’n schweres Schicksal!“
Bei mir ist das wie bei Gaffern an Unfallorte: ich kann nicht weghören. Also hab ich ein Bier geordert und mich zu Manfred gesetzt.
Und wie zu erwarten palaverte er munter drauf los, seine Beziehungskrise kannte ich, bevor er sich meinen Namen merken konnte. Leitplankenbau hätte er jemacht, und ihm käme es hierauf an – und zeigte auf Bizeps und schweißnasse Stirn. Mit dem Kopf arbeiten also, aha. Prima! Gemeinsames Thema! Hab kurz angerissen, dass ich schreibe und Taxi fahre – folglich hab ich jetzt seine Nummer. Um ihn anzurufen, damit er auch mal ein Buch schreiben kann. Klar, ich kenne diese besoffenen Fantastereien.
Aber: Boxen! Ob ich das kenne? Also Boxen wäre so total sein Ding. Dafür lebt Manfred. Sein fast 80-jähriger Trainer sei auch voll die harte Sau, die gerne mal Anfängern wie ihm Nägel in die Sandsäcke packt, um zu testen, wie „hart“ der Nachwuchs ist. Voll geil jedenfalls! Köpfchen eben, sagt er ja. Also Manfred. Und wie er als Security mal jemanden verdroschen hätte. Klar, der hatte es verdient, Messerangriff und so. Aber hey, noch 46 €, dann ist Manfred die Geldstrafe endgültig los und wert war es das – na klar – der hatte schließlich provoziert!
Während ich dann nach einer Stunde und drei Bier langsam versuche, mich loszureissen, muss er mir unbedingt noch die Geschichte seines Vaters erzählen, der Polizist ist, war und ist. Eigentlich sei er ja in Rente, höre aber immer noch den Polizeifunk ab, um zu den Einsätzen zu fahren. Konsequenzen hin oder her. Um seinem Vater zu gefallen, boxt Manfred ja auch.
„Mach meinem Körper Ehre!“
sagt Papa nämlich. Und immer nur trinken … da braucht es eben einen Ausgleich!
Ich hab nicht mal den Hauch einer Ahnung, in wievielen Punkten mir das alles widerlich und erbärmlich vorkam. Dabei war Manfred eigentlich trotz allem ein netter Kerl. Ich denke, ich werde ihn aber dennoch nicht anrufen. Mein Sozialarbeiter-Gen macht manchmal eben auch sehr lange Pause …