Sommersonnenwende, 21. Juni, Sommeranfang, der längste Tag des Jahres!
Ich habe Verständnis dafür, dass die meisten sich darüber freuen, ich freue mich hauptsächlich, weil die Nächte nun wieder länger werden. Dass ich mich nach dreieinhalb Jahren Nachtschicht inzwischen als Vampir bezeichne, ist keine Neuerung für die Leser meiner Blogs, es fällt mir dennoch schwer, es nicht immer wieder anzureissen.
Es ist unbestritten, dass sich die Sonnenstrahlung positiv auf die Psyche auswirkt – das kann selbst ich bestätigen. Ich hatte sogar im letzten Winter sowas ähnliches wie eine kurze Winterdepression. Allerdings in harmlosem Ausmaß, genügend positive Energie hält meine Psyche allgemein ja dann doch bereit. Dass ich das Licht nicht brauchen oder sogar mögen würde, will ich folglich gar nicht herbeifaseln, wenn ich mich über meine Nachtschwärmerei auslasse. Es ist schön, dass es den Sommer gibt und ich bin wirklich froh, dass ich in Mitteleuropa lebe, wo sowohl die Tageslänge als auch das Klima im Wechsel der Jahreszeiten so vielfältig ist. Wir leben in einer Gegend, in der wir Schneeballschlachten und Freibadbesuche genießen können, ohne dafür in ferne Länder fahren zu müssen. Und die maximalsten -20°C und +40°C hierzulande sind mir eigentlich auch genug – mehr Extreme müssen nicht sein und ich bin froh um alles, was deutlich dazwischen bleibt.
Dennoch habe ich die Nacht immer mehr geliebt als den Tag! Dafür gibt es rationale und weniger rationale Gründe.
Mein Biorhythmus entspricht zwar sicher nicht unbedingt dem derzeit „aufgezwungenen“ meiner Nachtschichten, aber ich war eben auch noch nie jemand, der gerne früh ins Bett ist und es früh wieder verlassen hat.
Dann ist die Nacht gleichermaßen ruhiger und origineller. Ich bin irgendwie ja eine Art Teilzeit-Misantroph: So sehr ich auch „mit Menschen zu arbeiten“ schön finde, so sehr können mir auch alle gestohlen bleiben, die ich nicht kenne – und man trifft nachts einfach weniger. Wenn man aber welche trifft, dann sind es meist interessantere Menschen oder Menschen, die gerade einen interessanten „Tag“ haben. Durch die doch eher exklusive Atmosphäre der Nacht ergibt sich so selbst bei der Arbeit eine wesentlich geringere Konzentration an 08/15-Erlebnissen.
Bei aller außer Konkurrenz stehenden Freude an den Auf- und Untergängen unseres Zentralgestirns und der damit einhergehenden Dämmerung: Wenn ich nur Tag und Nacht optisch vergleichen sollte, würde ich der Nacht insbesondere in der Großstadt immer den Vortritt lassen. Die scharfen Kontraste und das viele Unsichtbare lassen die Welt nachts wesentlich strahlender und vielseitiger erscheinen – ja, wahrscheinlich auch vielseitiger, als sie eigentlich wirklich ist!
Bei der Arbeit schätze ich es, dass die Dunkelheit die Anonymität noch einmal verstärkt und die Details unwichtig werden. Ich mache mir bei Dunkelheit natürlich weniger Gedanken um Schmutz im Auto, meine unsaubere Rasur und mit ziemlicher Sicherheit wirkt sich das umgekehrt auch auf meine Kundschaft aus, die aus dem Dunkel heraus sicher offener ist.
Und wenn ich dann am Schreibtisch sitze, umgibt mich nur das Surren meines PC’s. Tobende Kinder, schreiende Nachbarn, der Verkehr vor der Türe – all das taucht meist erst nach Sonnenaufgang auf und verstummt mit Eintritt der Nacht. Sicher, mich stört es dann mitunter beim Schlafen, aber so lange mir der Schlaf zum Ausruhen reicht, ist mir das lieber, als auf die ruhige Stimmung beim Schreiben zu verzichten. Mindestens 80% der Blogeinträge und der Geschichten, die ich schreibe, entstehen zwischen 23 und 5 Uhr und das ist kein Zufall.
Deswegen freue ich mich darauf, das nächste halbe Jahr wieder jeden „Tag“ ein paar Minuten zu gewinnen. Ich werde mich über jede Schicht freuen, die ich im Dunkeln beginnen und/oder beenden kann und ich glaube so langsam daran, dass sich das nicht so schnell ändern wird – trotz allem Ärger, den so ein Nachtleben natürlich auch mit sich bringt.
Wichtig zu sagen ist allerdings: Ob man sich auf der Sonnenseite des Lebens befindet, hängt nicht alleine von der Neigung der Erdachse und der damit verbundenen Tageslänge ab. Das ist etwas, das jeder von uns für sich erreichen kann, wann und wo man sich auch befindet. Deswegen gönne ich euch den langen Tag heute auch und ich hoffe, ihr habt auf eurer Seite des Planeten Spaß und genießt die rare Zeit. Hier drüben ist jedenfalls alles in Ordnung … 🙂