Während Alexa ihren schweren Reisekoffer auf den rudimentären Rollen durchs Gebäude des Ostbahnhofs zog, sprang Jan schnell unter die Dusche. Ein Gentleman war er nicht wirklich, aber so langsam fiel selbst ihm auf, dass er nicht mehr ganz nach Mitbewohner, sondern eher nach Stallbenutzer roch. Bei der Gelegenheit konnte er gleich noch hier und da etwas Dreck von den Duscharmaturen wischen und seinem Hals durch die weitgehende Abnahme des Bartes wieder etwas Kontur zurückgeben.
Gut, die letzten Wochen zwischen Jacky Cola und Tiefkühlpizza sah man ihm an, aber abgesehen von einer kleinen Wohlstandsplauze war er eigentlich ein ansehnlicher junger Kerl. Seine halblangen dunkelbraunen Haare pflegte er bewusst nicht übermäßig, von den Socken bis zum Gesicht bestand er auf einen Used-Look. Aber er gehörte zu den Leuten, die sich das erlauben konnten.
Wenn er seine Brille abnahm – die völlig überflüssigerweise 5 Jahre nach ihrer Anschaffung auch noch hip geworden war – und er seinen Bauch ein kleines bisschen einzog, ging er als gut gebauter Student durch und hätte sich sicher auch zwischen Alexas Snowboardern sehen lassen können. Nur änderte sein cooles Aussehen nichts daran, dass er einfach nicht cool war. Er stand nicht auf die angesagte Musik und ging schon deswegen wenig aus. Er stand nicht auf die angesagten Drogen, was ihn in letzter Konsequenz dann wiederum davon abhalten sollte, künftig auf angesagte Musik zu stehen und deswegen öfter auszugehen. Er stand auch nicht auf angesagte Klamotten, angesagte Leute und angesagte Läden. Er machte lieber selbst die Ansagen und nahm es mit stoischer Gelassenheit hin, dass seinen Ansagen niemand folgte.
Er verwendete seinen Rasierer ausschließlich fürs Gesicht, die einmalige Ausnahme vor ein paar Jahren ließ ihn bis heute wissen, dass es so seine Richtigkeit hatte. Während er sich einseifte und sich unter dem immer mal wieder in der Temperatur schwankenden Duschstrahl herumdrehte, tat er, was er am liebsten tat: Relaxen, das Hirn ausschalten und sich gelegentlich an die Nudel fassen. Er freute sich auf die Rückkehr von Alexa, das allerdings hatte nichts miteinander zu tun. Ja, sie waren mal kurz zusammengewesen, aber dass sie jetzt einfach zusammen wohnten, machte die Sache um einiges einfacher.
Natürlich hatten sie reihenweise Leute kennengelernt, bei denen das anders war. Auch ein Grund, warum Jan es genoss, anders zu sein als die meisten.
Alexa schleppte sich durch die Bahnhofshalle, ließ sich einen Döner einpacken und sah vor der großen Glasfront die ein oder andere Schneeflocke hinabsinken. Der Tritt durch die Schiebetür ließ sie abermals ob der Kälte erschaudern, sie hatte beschlossen, ein Taxi zu nehmen. Aber welches von den 25?
Etwas stockend orientierte sie sich nach links und steuerte ohne es wirklich zu wissen auf den ersten in der Schlange zu.
„Sind sie frei?“
piepste sie mehr als dass sie sprach. Ihre Stimme hatte etwas gelitten unter dem wochenlangen Missbrauch von Gras und Alkoholika in Zusammenkunft mit der vielen kalten Luft.
„Hier ist Berlin und ick bin frei!“
Ralf, der kleine und rundliche Taxifahrer, hatte glatte anderthalb Stunden auf diese Tour gewartet. Dass es kein großer Wurf werden würde, war ihm klar, als der das Gepäck sah. Die klassische Fahrt vom Bahnhof ums Eck nach Friedrichshain. Oder vielleicht Kreuzberg.
„Na reich ma den Koffer, Keule! Hätteste mal besser’n Gaul mitjebracht für dit Mordsding!“
Ralf hatte nicht selten Kunden verjagt mit seinem etwas sonderbaren Humor. Dabei meinte er es nicht wirklich böse. Er machte einfach gerne Scherze und er kümmerte sich eben nicht drum, ob sie bei seinem Publikum ankamen oder nicht.
„Ich müsste nur kurz in die Köpenicker Straße…“
„Kurz? Kurz is jut. Aber weeßte, ick kenn noch’n paar Köpenicker. Machen wir ’ne Rundtour, ha’m wa beide was von!“
Alexa zuckte zurück. Sollte sie wirklich den Kerl…? Ach, ist auch egal. Hauptsache heim!
„Was kostet das denn etwa?“
In Anbetracht der umherhetzenden Kugel, die Ralfs Bauch war, war nichts mehr zu spüren von ihrem eigentlich so ausgeprägten Selbstwertgefühl. Sie wollte doch nur nach Hause!
„Könn‘ wa halten wie die uff’m Dach! Bring dir nach Biesdorf, kost‘ 20. Bring dir nach… is auch ejal! Willst nach Kreuzberg, wa?“
„Äh, ja.“
„Na machen wa’n Fünfer. Kannst aber auch mit’n Kollejen hinter mir fahr’n. Der kennt’n paar nette Umwege. Der is da so jut, det merk ick selbst nich‘ mal!“
„Äh…“
„Nu komm rin, Keule! Ick bring dir übern Fluß, ist schon ok!“
Während der Fahrt stellte sie fest, dass Ralf eigentlich ein ganz netter Kerl war, ein bisschen vorlaut vielleicht. Wahrscheinlich genauso ein Chaot wie Jan. Sie musste ein wenig schmunzeln. Solche Originale fand man wahrscheinlich wirklich nur in Berlin. Ihre Fahrt hatte über 12 Stunden gedauert, sie war durchgefroren, leicht erkältet und geschwächt vom vielen Sport und den Exzessen auf der Hütte abends. Wohnung, Jan begrüßen, Bettchen! Für mehr war sie heute nicht mehr zu gebrauchen.
Auf der anderen Seite der Spree angekommen, keine 3 Minuten nach Fahrtantritt, verabschiedete sie sich ziemlich hektisch von Ralf. Dieser hatte es in den letzten Sekunden noch geschafft, sein Trinkgeld auf beinahe den Fahrpreis zu erhöhen, indem er ihr irgendeine Story von russischen Kunden vorgebetet hatte, die er am Abend zuvor im Auto gehabt haben wollte. Wie dem auch sei!
Das vom Ruß des Verkehrs leicht graubraun verschmutzte Haus ragte steil vor ihr empor und sie freute sich mit jedem Schritt mehr. Während Ralfs Reifen auf der Straße beim Wenden quietschten, erklomm sie Stufe um Stufe des Altbaus um nach 3 Stockwerken vor der Türe zu stehen. Ihrer Türe! Die Türe der ersten „eigenen“ Wohnung. Glas, umrahmt von absplitterndem braunen Lack. Daneben eine Messing-Klingelknopf und zwei auf einem Papierstreifen aufgemalten Namen:
„Merkel & Suhlisch“
Zuhause.
Sie kramte in der Tasche nach ihren Schlüsseln und als sie sie gerade ins Schloss stecken wollte, öffnete sich die Tür wie von Zauberhand, während dahinter ein dunkler Schatten vorbeihuschte:
„Moin Alex, wart kurz, ich sollte mir noch was anziehen…“
rief Jan im Vorübergehen. Sie lächelte erleichtert, während sie beim Eintreten gerade noch den knackigen Hintern ihres nackten Mitbewohners in seinem Zimmer verschwinden sah. Es war also alles wie immer. Schön. Sie glaubte ein leises Knirschen zu hören, als sie den Läufer im Flur betrat, kümmerte sich aber nicht darum. Sie ließ ihr Gepäck im Flur stehen, öffnete die Türe ihres Zimmers und schmiss sich aufs Bett. Ja, das war gut!
Was sollte Jan nun machen?
- Alexa bei einem Tee in der Küche über die Reise ausquetschen. (35%, 37 Votes)
- Alexa vorschlagen, runter in die Eckkneipe zu gehen. (32%, 34 Votes)
- Markus anrufen, ob er nicht vorbeikommen will. (20%, 21 Votes)
- Alexa in Ruhe lassen, sie hatte eine lange Fahrt. (15%, 16 Votes)
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