23. Januar 2012 · 05:28
So wie bekannt ist, dass Gesichter dann am schönsten sind, wenn man die Gesichtszüge am Mittelwert ausrichtet, so herrscht allgemein auch die Einstellung vor, dass in den meisten Punkten Mittelmaß im Grunde zu Glück und wirklicher Qualität verhelfe. Das ist ein leicht zu befolgender Singsang und vielleicht stimmt es ja tatsächlich, dass man beispielsweise Geld besser weder zu wenig noch zu viel besitzen sollte.
Manch andere Dinge im Leben werden aber erst dann richtig gut, wenn sie an Grenzen stoßen.
Nun wissen eigentlich alle Leser, dass ich keinen Hang zum Extremsport habe, wenngleich ich dort – eine gewisse körperliche Eignung vorausgesetzt – wesentlich eher meine Präferenzen sehen würde, als im durchschnittlichen Kick auf einem Bolzplatz.
Meine absolut subjektiven Erfahrungswerte stammen aus drei sehr unterschiedlichen Bereichen: Essen, Politik und Musik. In all diesen Bereichen glaube ich, dass es gut tut, sich zumindest mit den Extremen zu beschäftigen, um unglaubliche Erlebnisse zu haben.
Fangen wir an mit dem Essen:
Ich bin ein ausgesprochener Freund scharfen Essens. Bereits in der Kindheit habe ich mir den Verzehr von Peperonis angewöhnt, etwas über das ich heute nur schmunzeln kann. Zugegeben: Die Habanero, in die ich dereinst reingebissen habe, um zu beweisen, dass sie nur wenig Schärfe enthält, war tatsächlich (und glücklicherweise!) sehr mild, aber ohne jetzt der absolute Chilihead zu sein, kann ich nur schwer verleugnen, mich in den oberen Bereichen der Scoville-Skala sehr wohl zu fühlen.
Kritiker vom Starkoch bis zu meinem Vater (der mich damals die Peperoni probieren ließ) bemängeln immer, dass man bei zu viel Schärfe nichts mehr schmeckt. Das ist schlicht nicht wahr! Capsaicin regt Wärmerezeptoren an, nicht die Geschmacksnerven. Und diese entwickeln eine ziemliche Toleranz mit der Zeit. Schärfe ist somit eigentlich ein völliges Nebengleis geschmacklicher Erfahrungen und jeder geübte Jünger des Feuers empfindet dies lediglich als Bereicherung des eigenen Horizontes, ohne dabei auf etwas zu verzichten.
Dann die Politik:
In einem sehr komplizierten Gespräch habe ich einem alten Freund vor Ewigkeiten versucht, zu erklären, wie eingeschränkt das alltägliche Politikgeschäft einen die Welt sehen lässt. Ich erwarte nicht, dass alle meine radikalen anarchistischen Einstellungen teilen, aber es lohnt sich, einen Blick über den Tellerrand der üblichen Parteienlandschaft zu werfen. Komplexe Systeme wie die hier und anderswo praktizierte Politik lassen sich am Besten von außerhalb beobachten. Das soll kein Werbefeldzug für dummdreiste Indoktrination kurioser Gestalten werden, aber seinen Blick zu schärfen fällt oft schwer innerhalb gesetzter Grenzen. Mich hat in den vergangenen Jahren kein Politikskandal vom Hocker gerissen, ehrlich!
Ob nun verharmloste Neonazi-Zellen, ungezügelter Kapitalismus in Form übereifriger Banker oder die permanenten Datenschutz- und Grundrechtsverletzungen seitens der Polizei: All das ist mir seit 15 Jahren bekannt, weil ich böse böse Blätter wie die verbotene Untergrundzeitschrift „radikal“ gelesen habe. Dass da auch viel Unsinn drinsteht, will ich nicht bestreiten, aber für denkende Menschen ist es einfach eine Erweiterung des Horizontes.
Zuletzt die Musik:
Vor etwa 4 Jahren geisterte eine blöde Meldung über eine sicher unzureichende Studie durch die Presse, in der nachgewiesen wurde, dass die Hörer von Metal überdurchschnittlich intelligent seien. „Auch wenn man unter den Hörern eher einfache Gemüter vermuten würde“ war ein Satz, der begleitend oft genannt wurde.
Nun gut, die Musik-Geschmäcker sind auch verschieden. Dass nicht jeder mit Metal etwas anfangen kann, ist mir klar. Analog zu den oben angesprochenen Chilis verhält es sich jedoch so, dass sich hinter dem oberflächlichen Lärm Kompositionen verbergen, die den Vergleich mit der vielgeliebten klassischen Musik nicht scheuen müssen. Mal ganz abgesehen davon, dass auch Stressbewältigung und Frustrationsabbau legitime Anwendungsgebiete von Musik sind, die manche Musikrichtung nur unzureichend bietet. Tatsache ist, dass sich hinter manchem treibenden Beat ein wohldurchdachtes Gitarren-Arrangement verbirgt, das auf Entdeckung wartet. Die oberflächliche Täuschung mag hier und da zwar Programm sein, eine vorschnelle Verurteilung der gesamten Musikrichtung ist jedoch um vieles stupider als die Musik selbst.
Ich denke, wir sollten manchmal ein Bisschen extremer sein!
Wie eingangs erwähnt: Diese Beispiele sind subjektiv gewählt. Ich bin mir aber sicher, dass es noch einige mehr gibt. Sicher auch welche, die meinen Horizont noch erweitern können. Lasst es mich gegebenenfalls wissen!